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Dürer, Albrecht; Winkler, Friedrich [Oth.]
Die Zeichnungen Albrecht Dürers (Band 1): 1484-1502 — Berlin: Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.61954#0014

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VIII

VORWORT

größte Nachdruck zu legen. Niemals können Wiedergaben, und seien sie noch so vollkommen und
werden sie noch so eingehend studiert, das ersetzen, was ein einziges Original dem Betrachter zu sa-
gen vermag. Die Gefahr, vorschnell zu urteilen statt zu genießen und zu lernen, ist gewiß mit der
Vermehrung der reich illustrierten Bücher über bildende Kunst gewachsen. Durch den ausführlichen
kritischen Apparat und zahlreiche andere Hinweise des vorliegenden Bandes ist, hoffe ich, dafür ge-
sorgt, daß der Betrachter nicht vergißt, daß er nach Wiedergaben, nicht nach dem wundervoll le-
bendigen Organismus urteilt, den jedes Werk von Dürers Hand darstellt. Er wird zumal vor dem
Original, aber auch vor der oft treuen Nachbildung im Lippmann, den Begleittext zu den einzelnen
Nummern mit Nutzen lesen. In erster Linie ist dieser als Ausgangspunkt für die zukünftige For-
schung, nicht für den genießenden Betrachter gedacht. Dieser soll am Schluß des ganzen Werkes eine
Einführung in das Wesen und die Geschichte der Dürerschen Zeichnung erhalten. Ohnedies wird
er auch in diesen Nachbildungen, die mit größter Sorgfalt meist nach eigens für dieses Buch herge-
stellten Aufnahmen angefertigt wurden, die ungemeine Vielfältigkeit und unvergleichliche Lebensfülle
dieses Größten aller Zeichner ahnen.
Wenn die Zeichnungen in der bildlichen Wiedergabe wieder in den alten zeitlichen Zusammenhang
gebracht werden, so lernen wir nicht nur den einzigartigen — ich fühle mich versucht zu sagen atem-
raubenden — Werdegang dieser faustischen Natur kennen, sondern wir erhalten einen geschicht-
lichen Hintergrund, auf dem sich die vollendeten Werke des Künstlers abheben. Hier spricht Dürer
viel unmittelbarer als in den fertigen Werken zu uns. Wir erleben den Künstler Dürer bei der Arbeit.
Seine Absichten und Einfälle, seine technischen Bemühungen und die Bindungen durch die Besteller,
die seelischen und stofflichen Grundlagen werden sichtbar. Es ist Kunst aus erster Hand, von der
lebendigen Unmittelbarkeit, die zeitlose Größe immer besitzt, oft fragmentarisch, aber fast immer
zündend und von ungeheurer Lebenskraft. Kein Zweifel, daß wir nicht nur die fertigen Werke bes-
ser verstehen werden, wenn wir von den Zeichnungen ausgehen, wir werden Dürer schlechthin leich-
ter begreifen. Denn das Fragment wird eher als das Ganze erfaßt und der Einblick in die Werkstatt
der Gedanken und Bilder erschließt ihre Grundlagen.
Daß wir über der Bewunderung der außerdeutschen Kunst die eigene vergessen haben, daß wir erst
wieder lernen müssen, die großen Leistungen unserer Vorfahren zu verstehen, ist in den letzten 125
Jahren das Glaubensbekenntnis manches Kunstforschers gewesen, das seine Arbeit geleitet hat. Seit
Jahrzehnten ist die Kunstwissenschaft auf breiter Front am Werke, uns das Neuland zu erobern, das
vor unseren Türen liegt. Der Weg ist lang, und mühevoll wie in aller Forschung werden die Ergeb-
nisse gefördert. Wir haben uns Dürer zuletzt auf einem Umwege genähert. Seine Auseinandersetzung
mit Italien ist für viele zum Kernproblem seines Lebens geworden. Er hat dadurch etwas von der welt-
geschichtlichen Bedeutung zurückgewonnen, die ihm eignet, aber zugleich ist in sein Schaffen eine
Problematik hineingetragen worden, die Dürer im Grunde fremd ist.
Aus der Zusammenschau vieler Einzelergebnisse muß das neue Bild von Dürer entstehen, das viele
von uns erhoffen. Ein Lebensbild durchblutet von der reichen Kunde, die wir von ihm selbst über
sein Künstlertum, seine Familie, sein Leben und seine Zeit haben, vor dem Hintergrund des großen
Ideenkampfes, der damals ausgetragen wurde. Dürers Kunst gehört der deutschen Gotik an und er ist
bis zuletzt ein spätgotischer Künstler gewesen. Italien hat für ihn nicht die Bedeutung besessen, die
es für einen Elsheimer, für die Hackert und Reinhart, Cornelius und Overbeck, später für Marees
und Hildebrandt gehabt hat. Italien als Land der klassischen Kunst, wie es die Deutsch-Römer be-
wunderten, hat es für ihn nicht gegeben. Manches, was Dürer in dunklem Drange wollte, sah er dort
erreicht oder der Erfüllung nahe gebracht. Das heitere Sonnenland hat gewiß auch ihm von seinen
Reichtümern verschwenderisch geschenkt. Die Ideen, die den italienischen Künstler damals bewegten
 
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