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Dürer, Albrecht; Winkler, Friedrich [Oth.]
Die Zeichnungen Albrecht Dürers (Band 1): 1484-1502 — Berlin: Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.61954#0025

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EINFÜHRUNG

XIX

zeichnet sind (Cicerone 1928 XX. Jahrg. S. 471 und Berliner Jahrbuch 1929 S. 16). Nichtsdesto-
weniger kann dieser Band in bezug auf Literaturzitate als nützlich empfohlen werden, während im
übrigen von der mit willkürlichen Urteilen stark durchsetzten, sehr flüchtigen Arbeit dringend ge-
warnt werden muß (vgl. meine „Kritik und Abwehr“ in Cicerone Jahrg. XX, 2. Juliheft 1928).
Auch von Wölfflins Dürerbuch oder von der H. W. Singer’schen Dürerbibliographie kann der Weg
zu der Spezialliteratur leicht gewonnen werden. Außer Flechsig, der sich zu jeder Zeichnung ge-
äußert hat, und Tietzes sind noch immer heranzuziehen das Register zu den 10 großen Bänden der Dü-
rer Society, die Ausstellungsverzeichnisse von Pauli und Conway sowie die Bücher von Thausing
und Ephrussi.
Die Literatur allein ergibt nicht das zutreffende Bild über die Ansichten der zünftigen Beurteiler. So
mancher Verwalter Dürer scher Zeichnungen, der sich nicht über sie geäußert hat, besitzt eine min-
destens ebenso beachtenswerte Kenntnis von Dürerzeichnungen auf Grund der ihm anvertrauten
Werke wie die, die über sie geschrieben haben. Die allzu Phantasievollen, die durch unbegründete
Meinungen den Stand der Forschung verfälschen, befinden sich nicht unter den „Stillen im Lande“.
Zu diesen letzten möchte ich trotz seiner heftigen und zuweilen — milde ausgedrückt — sehr unge-
rechten Urteile Ed. Flechsig rechnen, den Verfasser des wichtigsten Werkes über Dürer seit Wölff-
lin. Er hat drei Jahrzehnte schweigend an seinem Werk gearbeitet.
Mein Urteil über die Literatur, dem ich in der Einleitung zum 6. Bande des Lippmann’schen Dürer-
werkes, noch frisch unter dem Eindruck der Enttäuschungen stehend, die sie mir bereitet hatte, Aus-
druck gegeben habe, hat großes Mißfallen bei einem meiner Kritiker erregt. Ich befinde mich mit
meiner Auffassung jedoch in guter Gesellschaft. Die hervorragende Bearbeitung der Zeichnungen
Lionardos im Besitze des Königs von England — es ist neun Zehntel dessen, was von Lionardo er-
halten ist — durch Kenneth Clark (Cambridge Press 1935, 2 Bände), hat diesem ganz ähnliche Ein-
drücke beschert. „When interpreting the drawings (of Lionardo) it is essential to know, what is
written on them, if only because this is often so astonishingly irrelevant“
schreibt er.
Woran liegt es, daß die Kritik der Dürerzeichnungen oft so — sagen wir es offen — heillos töricht
ist? Man komme nicht mit dem Hinweise, daß die Wissenschaft wie die Natur verschwenderisch her-
vorbringt, daß immer auf ein Ergebnis viele unfruchtbare Versuche kommen und was dergleichen
schöne Erklärungen mehr sind. Es liegt ein gewisser Notstand der Kunstwissenschaft vor, der nicht
mit Stillschweigen übergangen werden darf, um so weniger als er sich gerade in der Kritik der Zeich-
nungen Dürers in den letzten Jahrzehnten stark geäußert hat.
Der menschliche Fürwitz bekundet sich in der Kunstwissenschaft häufig in einer Verachtung der in
den Kunstwerken verborgenen Fingerzeige auf den Urheber, den Zeitpunkt der Entstehung, die
Technik, in einer Verachtung wie man sie schlechterdings nicht für möglich halten sollte. Nur der
Stil wird unter dem Eindruck der vollendeten Analysen Wölfflins mit einer Besessenheit seziert, als
ob es gälte, das Gras wachsen zu hören. Signaturen, Eigentümlichkeiten der Technik, Beschaffenheit
des Papieres, Herkunft der Blätter, alles Fingerzeige für den, der sich in der Geschichte der Zeich-
nung etwas umgetan hat, werden in ihrem Werte geflissentlich herabgesetzt, wenn nicht gar totge-
schwiegen. Das ganze weite Gebiet der historischen Hilfswissenschaften, das als eine Grundlage der
Geschichtswissenschaft heute seine eigenen Vertreter hat, existiert für viele, ja die meisten Kunst-
historiker überhaupt nicht. Und dazu gesellt sich ein Mangel an Ehrfurcht vor der Überlieferung,
an Behutsamkeit in der Kritik, der eine — ich möchte sagen einzigartige — Weltfremdheit dieser Ge-
lehrten erkennen läßt. Viele dieser Sünden sind auf die üble Gewohnheit zurückzuführen, nach Ab-
bildungen zu urteilen. Die wenigsten Autoren geben zu erkennen, ob sie ihr Urteil nach einem Ori-
 
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