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Berlin, Mitte April.

Mein lieber Jacob!

Kennste Schillern? Ick meene natierlich nich den, der hier jleich um de
Ecke wohnt un 'ne mächtije Planschneese hat, sondern Dichter Schillern, der
nff'n Schandarmenmarcht 'ne Statue hat, wo er druff ausseht wie 'n ver-
hungerter Dorfkister. Also Schiller sagt an eene Stelle von seine bis jetzt
merkwirdijer Weise noch nich verbotene Werke: „Es freue sich, wer da athmet
im rosigen Licht!"

Merkste wat, Jacob? Mir wird nämlich beese melanklöterig zu Muthe,
wenn ick an die Zeiten denke, die wir jetzt entjejen jehen. Mit uns Zeitungs-
schreiber — wenn ick mir so bezeichnen derf — wird et woll nu bald Zappen ab
sein. Mit de neie Preß- un Strafjesetznovelle da sind se ja nu so an uns
ranjeklettert, bet wir uns man jetrost jleich möblirtc Zellen in Plötzensee miethen
kennen, denn da wir ja nu doch eenmal in Jeruch stehen, de Staats- un Jesell-
schaftsordnung nach Kräften zu unterjraben, so bleibt uns ja weiter jarnischt
iebrig, als in den sauren Appel zu beißen, — inechte mir wenigstens een jietijet
Jeschick vor de Zukunft immer eenen recht jnädijen Staatsanwalt bescheeren.

Et wird mir wenigstens nächstens nu woll nich ville anders iebrig bleiben,
als det ick meine Berichte an Dir, lieber Jacob, am besten jleich uff unser
Pollezei-Büreau hier an'n Jörlitzer Bahnhof schreibe; da kann mir denn der
Wachtmeester de Hand führen, un rechts un links muß een Schutzmann zukieken,
det man ja nischt Unrechtet passirt un det de Staatsordnung nich in't Wackeln
kommt. Na, un schlage ick denn doch noch ieber de Stränge, denn muß
ick rin in de jriene Jungfernjondel, un denn nach'n Molkenmarcht un von da
nach Moabit. Un da kriege ick denn meine zwee bis drei Jährekens uffjebrummt,
un wenn ick denn wieder rauskomme, denn is de Welt um eenen „Pollezei-
beuffsichtigten" reicher. Aber der Staat is jerettet un det is de Hauptsache.

Mit de Presse wird det ja woll ooch besser werden, wenn wir erst de
Chinesen haben. Bis jetzt haben se sich ja mit Mamelucken bejniejt, aber
die Brieder kennen se nu wahrscheinlich ooch nich länger brauchen. Denn
det muß man unsere Preßmamelucken nachsagen, de Haupteijenschast von ihre
Rasse haben se effentlich niemals verleugnet, un det is bekanntlich der Muth.
Die Brieder vertheidijen Allens, wat blos zu vertheidijen is, se wanken un
weichen nich uff ihre Posten: wat heite schwarz is, det erklären se morjen
vor weiß, un wat se heite runterreißen missen, det erheben sc morjen in'n
Himmel, — ick kann Dir blos sagen, lieber Jacob, der heechste Muth is un
bleibt doch der, det man immer den Muth hat, keene Ueberzeugung zu be-
sitzen. Det is nämlich det Eenzigste, womit De heite noch ehrlich un recht-
schaffen durch de Welt kommen kannst.

De westpreiß'schen Arbeeter wollten se mit de Chinesen den Zimmt
besorjen, un det wäre den Arbeetern janz Recht jewesen. Denn warum

ricken se denn vor de väterlichen Agrarier aus, un zwar jleich bis nach
Amerika, un wie kommen se denn dazu, vor ihre Arbeet Jeld zu verlangen,
wo doch de darbenden un nothleidenden Latisundjenbesitzer kaum so ville
erschwingen kennen, det se mit knapper Noth sich de allernothwendijsten Renn-
pferde halten kennen, janz abjesehen von det bisken Kaviar mit Sekt, wat
doch nothjedrungen zu'n standesjemäßet Leben jeheert. Da wären de Chinesen
wirklich sehr an'n Platze jewesen. Denn vor so'n richtijen Chinesen is een
krepirter Hund immer noch 'ne Delikatesse, wo se sich alle zehn Finger nach
lecken un sich schließlich noch mit'n Zopp det Fett von't Maul wischen, damit
nischt umkommt. Soweit sind ja de westpreiß'schen Arbeeter denn nu doch
noch nich, un det is sehr schlimm vor de Ritterjutsbesitzer. Jeder muß bei
de heitijen schlechten Zeiten zusehen, det er mit den Puckel an de Wand
kommt, un de jrößte Arbeeterfreindlichkeit von de ostelbischen Magnaten is
doch immer noch det, det se ihre Arbeeter weiter nischt in'n Weg lejen, det
die wenijstens ruhig nach Amerika auswandern kennen, wo se natierlich ooch
mitten in't Schlaraffenland rinplatzen. Wenn de westpreiß'schen Arbeeter
nich bleiben wollen, na, denn kann se keen Mensch mit Jewalt halten,
jenöthigt wird nich, det is 'ne olle Sache, denn sollen se in Jottes Namen
loofen, et kommen denn blos een paar Chinesen in't Land — un wat
schließlich den Landlord recht is, det wird woll den Schornsteenbaron noch
immer billig sein, un wenn et den Jndustrieproletarier hier etwa in't Deitsche
Reich nich jefallen sollte, denn kann er ja ooch ruhig seine Weje jehen, denn
holen wir uns vor die ooch Chinesen, det sind wenijstens Leite, die noch wat
uff den ollen Zopp halten.

Potz Wetter, Jacob, wenn ick wat von den ollen Zopp Heere, denn
fallen mir ooch jleich de Innungen mit ihren Befähigungsnachweis in. Et
soll neilich vorjekommen sein, det se hier in Berlin bei irjend een Danz-
verjniejen Eenen, der sich 'n bisken sehre uffällig bedrug, det Nasenbeen
etwas ausjebessert hatten. Natierlich blutete der 'n Paar Dröppken. Et
war ja woll nich janz so schlimm, als wenn sich 'n Paar Reserveleitnants
uff krumme Beene - nee, ick wollte sagen, uff krumme Säbels jefordert
hätten. Kurz un jut, et fand sich een barmherziger Samariter, der den
Verplett'ten mit sein Schnuppduch die blutije Neese verband. Nu soll hier
unter de verschiedensten Jnnungsbrieder een mächtiger Streit entstanden sein,
ob se, um die jequetschte Neese zu verbinden, nich eenen wirklichen jeprieften,
zinftijen Nasenverbinder hätten rufen missen, un ob de betreffende Innung
nich det Recht hat, den Samariter, weil er unbefugter Weise een Jewerbe,
wozu er keenen Befähigungsnachweis erbracht hatte, ausjeübt hat, nich noch
vor Jericht zu belangen.

Du wirst woll jetzt sagen, lieber Jacob, „Nu, Naucke, halt' aber de Luft
an, so leichte lass' ick mir von Dir nu doch nischt vormachen —" aber Du
kannst mir jlooben, lieber Freind, so weit sind wir nu bald in de Metropole

Dir Welt liegt im Argen.

Historische Enthüllung über die Schlacht von Zorndorf.

? Bon Hans Flux.

(zHj^Ocberecht Piefke hatte als Husar im siebenjährigen Kriege gedient
' un^ bis zum Wachtmeister gebracht. Wie es mit seinen

strategischen Kenntnissen beschaffen war, wissen wir nicht, allein
es wird überliefert, daß er einen mächtigen Schnurrbart besaß
und sich im Fluchen eine ganz besondere Virtuosität angeeignet hatte. Wenn
er sein „Schockschwerenoth" oder sein „Kreuzmillionendonnerwetter" losließ,
so zitterten nicht nur die Mannschaften seiner Schwadron bis in das hinterste
Glied, sondern auch die militärfrommen Husarenpferde, die im Geschützfeuer
nicht scheu wurden, schnaubten und stiegen, wenn sie seine gewaltige Baß-
stimme vernahmen.

Ms der Krieg aus war, hatte man, wie es damals häufig mit alten
Wachtmeistern vorkam, Piefke zum Schulmeister ernannt und zwar in Wuster-
hausen in der Mark. Der alte Wachtmeister ging mit den Schulkindern
nicht viel zarter um, als mit den Husaren und den Pferden. Die Fenster
des armseligen Schulgebäudes zitterten oft von seinen martialischen Flüchen.

Eines Tages aber erschrack der alte Wachtmeister. Gerade hatte er
einen Kernfluch losgelassen, als die Thür sich öffnete und der König, der
alte Fritz, hereintrat. Der alte Fritz liebte solche Ueberraschnngen.

„Fluchen kann Er, das Hab' ich draußen schon gehört", sagte der König.
„Aber das gehört nicht zum Unterricht. Laß Er sehen, was die Kinder wissen
und können."

„Zu Befehl, Majestät", sagte Piefke erbleichend.

„Was soll ich vornehmen?"

„Nun, Geographie", sagte der König.

Piefke stellte sich in Positur.

„Wie heißt die Hauptstadt von Preußen?" rief er.

„Berlin", riefen die Kinder im Chor.

„Wo liegt Preußen?"

„In Europa!"

„Wo liegt Europa?"

„In der Welt!"

„Und wo liegt die Welt?"

„Im Argen!" antworteten fünfzig Kinderstimmen.

Der König konnte nun nicht mehr an sich halten und brach in ein lautes
Lachen aus.

„Ja", sagte er endlich, „die Welt liegt im Argen. Aber Sein Unterricht
liegt auch im Argen. Mach' Er, daß Er aus dem Argen herauskommt!"

Da-nit nahm der alte Fritz eine Prise und schritt hinaus.

! Als die Kunde von dieser Szene im Dorfe sich verbreitete, war Piefke
der Held des Tages. Man hielt die Sache für einen guten Witz.

Den Abend kam Piefke in die Dorfschenke und die Bauern saßen schon
dichtgedrängt zusammen und harrten seiner. Als er kam, ward er mit vieler
Ehrfurcht empfangen. Denn er hatte ja mit dem König gesprochen und das
wollte bei den Wusterhauser Bauern viel heißen. Piefke war mit einem
Wort der Held des Abends.

Er trank zu seinem dünnen Bier einen Kümmel über den andern. Bald
wurde er gesprächig.

„Na, Piefke", sagte der Steffenbauer, „die Majestät hat Euch wohl noch
aus dem siebenjährigen Krieg gekannt?"

„Freilich", sagte Piefke gravitätisch.

„Aber der König kann doch nicht alle seine Soldaten gekannt haben",
warf der junge Bauer vom Mooshof schüchtern ein.

„Millionen Bomben und Granateuelement", schrie jetzt Piefke, „Er wird
mir doch Nichts erzählen wollen. Der König kennt mich ganz genau, denn
durch mich hat er ja die Schlacht von Zorndorf gewonnen."

„Ich habe gemeint, der Seydlitz und der Ziethen . . ." sagte der Moos-
hofbauer wieder.

„Ach was", rief Piefke, „die Schlacht von Zorndorf ist durch mich ge-
wonnen worden." Die Bauern lachten und der Stcffenbauer meinte:

„Dann ist es nur sonderbar, baß Ihr nicht auch Feldmarschall oder
nicht mindestens General geworden seid."

Piefke warf ihm einen bitterbösen Blick zu.

„Jaja", grollte er, „die Welt liegt im Argen. Ich hätte auch die Ge-
schichte von der Schlacht bei Zorndorf erzählt -

„Bitte erzählen", riefen die Bauern.

„Da ihr aber so ungezogene Bemerkungen macht, so erzähle ich sie lieber
nicht."

„Bitte, Vater Piefke", rief jetzt eine glockenhelle Stimme, „erzählen!"
Des Wirths Töchterlein, die hübsche Hanne, kam schmeichelnd an den grim-
migen Alten heran. Er streichelte ihr die rosigen Wangen.

„Nun ja, Kind, Dir zu Liebe will ich's thun. Also aufgepaßt."

„Wir passen auf", sagten die Bauern.

„Es war kritisch geworden", begann Piefke, „denn auch die Russen
zogen mit großer Macht gegen uns heran. Das Gerücht vergrößerte ihre
Zahl und man erzählte sich schreckliche Dinge von den Brutalitäten, die sie
gegen Wehrlose verübten. Wir können es heute schon eingestehen, daß wir
nicht besonders guten Muthes waren, als wir gegen die barbarischen Horden
Halbasiens rückten; sie sollten schier zahllos sein, wie der Sand am Meer.

„Als wir den Feind erwarteten und der König das Heer musterte, kam
es, daß der ganze Generalstab mit dem König an der Spitze die Front unseres
! Regiments entlang ritt. Er bemerkte mich und hielt an.
 
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