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Nr. 87.

Preis pro Nummer 10 Pfennig.

1889.

Erscheint monatlich zweimal.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure.

Bitzdrahtmeldungen.

Berlin. Der Reichstag war bei Berathung des Sozialistengesetzes
schwach besetzt. Er wollte sich mit der Begründung der Vorlage, die
ebenso schwach war. nicht in Widerspruch setzen.

— fiaInoc£t) hatte mit Bismarck eine Konferenz, um letzteren
zu bewegen, er möge bei der Pforte Informationen darüber einholen,
wie die Technik der Staatsschulden-Anhäufung bis in's Unend-
liche durchgeführt werden kann.

Elberfeld. Das landespolizeiliche Verbot der Verhandlung des
großen Sozialistenprozesses ist stündlich zu erwarten, weil sich bei
denselben zahlreiche Sozialdemokraten ansammeln und sozialistische Ten-
denzen zum Ausdruck bringen würden.

Madrid. Der König von Spanien bekommt immer einen Zahn
nach dem andern. Die Nachbarstaaten des spanischen Reichs sind an-
gesichts dieser Rüstungen genöthigt zu erwägen. ob sie nicht ebenfalls
durch vermehrte Bewaffnung ihre Wehrfähigkeit stärken sollen.

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Unsere Todten.




Zur stillen Stadt der Todten ziehn mit Kränzen wir und Blumenzweigen
Und an den grünen Hügeln knien wir feuchten Aug's in ernstem

Schweigen.

Man schiebt den Ephen schonend fort, der über Stein und Schrift

gekrochen,

Und denkt an manches liebe Wort, das, der nun ruht, zu uns gesprochen,
An manchen guten klugen Rath, den er voll Freundlichkeit gegeben,
An manche opsersrohe That, an manches früh geknickte Streben.
Man hat's in Lärm und Drang und Hast des Alltags nahezu vergessen,
Es ist verschmerzt, verwunden fast, was einstmals man an ihm besessen,
Und nur an diesem stillen Tag, der uns geführt an seinen Hügel,
Berührt das Herz mit leisem Schlag der Trauer und der Reue Flügel.
Wir fühlen wieder stark und schlicht, was schweigend er für uns

gelitten,

Und unsre Seele zögert nicht, ihm ihren Undank abzubitten,

Der rasch verbleichen ließ sein Bild, den tiefer er empfunden hätte,
Als wüchsen Nesseln wirr und wild auf seiner letzten Ruhestätte.

Und solcher Gräber, drauf im Spiel der Luft die hohen Gräser

schwanken,

Giebt es in deutschen Landen viel und Stofs zu grollenden Gedanken.

An meinen Gräbern kann ich nicht in Trauer lange mich versenken —

Mir raunt in's Ohr die ernste Pflicht, viel fremder Gräber zu

gedenken,

Und — was ich nicht im Leben kann — im Geist an sie heranzutreten

Und für den todten, stillen Mann nach meiner eignen Art zu beten.

Wohl möglich, daß kein niedrer Knecht an meinem Spruch Gefallen

fände,

Doch wär' er wohl dem Todten recht, wenn er die Worte noch

verstände,

Wenn still das Herz nicht, das gesund und rasch und frei im Busen

klopfte,

Wenn man ihm den beredten Mund nicht längst mit kalter Erde

stopfte.

Die Gräber mein' ich weit und breit, in denen unsre Todten schlafen,
Ob sie im heißen Männerstreit die Stiche der Verläumdung trafen,
Ob in Verbannung über's Meer ein Völkersrühling sie getrieben,
Ob sie in Kämpfen hart und schwer lang vor der Zeit sich auf-
gerieben.

Wenn treu sie bis zum letzten Hauch der Sache, der sie jung sich

weihten,

Sind ihre Gräber heilig auch dem echten Mann für alle Zeiten,
Und sind sie ohne Stein und Schmuck und ohne Schatten der Zypressen,
Er wird sie allem Hohn und Druck zum Trotze nimmermehr ver-
gessen.

Mit Gold und Marmor ehrt die Macht, wer ihr zu Diensten war

und Willen —

Wir fragen nichts nach kalter Pracht und feiern schlicht und ernst

im Stillen,

Mit einem treugemeinten Wort, mit einer Blume, einem Liede
Leidend und kämpfend fort und fort des Geistes kühne Winkelriede,
Die, ob verstumme Alles bald, aus vollem Herzen furchtlos sprechen,
Die durch der Feinde Lanzenwald der Freiheit eine Gasse brechen.
Bei diesen Gräbern weilt mein Geist — vom einen laß ich zu

dem andern

Wie Falken rasch, wie Falken dreist die ehrenden Gedanken wanderrr.
Ob sie versteckt in Waldesnacht und unter grünen Wintersaaten,
Ob längst dem Boden gleich gemacht den armen Hügel Pflug und

Spaten —

Ich finde jedes, weil ich will, und ob man sie verborgen hätte,
Und lege tiefbewegt und still ein Reis auf die geweihte Stätte.


Zu beziehen durch Albin Langer, Buchhandlung in Chemnitz.
 
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