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Nr. 86.

Preis pro Nummer 10 Pfennig.

1886

Erscheint monatlich zweimal.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure.

Blitzdrahtmeldungen.

Berlin. Die Vermuthung, daß Graf Waldersee der zukünftige
Kanzler werde, bestätigt sich. Er hat bereits eine Probe im Kanzeln
abgelegt, indem er die „National-Zeitung" öffentlich abkanzelte.

Dresden. Im sächsischen Landtagsgebäude wurden die wachthaben-
den Diener kürzlich durch ein lautes Gepolter erschreckt. Als sie die Ursache
ermittelten, ergab sich, daß die Ministerbank sich vor Freude über
die Rückkehr Liebknechts in den Landtag auf den Kops gestellt hatte.

Elberfeld. In hiesigen juristischen Kreisen ist man der Ansicht,
daß die Anklage im großen Sozial! st enprozetz recht gut auf die
ganzen <6 Millionen Einwohner des Reichs ausgedehnt werden könne,
welche doch alle mehr oder weniger schon mit Sozialdemokraten in Be-
rührung gekommen sind.

Belgrad. Der serbische Thron ist mit Schutzvorrichtungen
und Sicherheitsnadeln versehen worden, damit Natalie sich nicht un-
versehens daraufsetzt und die Herrschaft ergreift.

Das letzte Mal.

Vergänglich find des Lebens Wonnen,
Vergänglich ist des Weltalls Pracht;

Du willst in feinem Glanz dich sonnen,

Doch kalter Reif kommt über Nacht,

Es finken Blum' und Blüthe nieder,

Rauh von des Herbstes Hauch berührt,
Und auch der Reichstag tagt nun wieder,
Vom Herbftesstnrme hergesührt.

Was er gebracht, dies decke Schweigen,

Uns ist ja keine Last zu schwer;

Uns hängt der Himmel voller Geigen,

Wir haben Geld — fürs Militär.

Wir haben Geld für Zoll und Steuern,

Wie sie auch wachsen, riesengroß,

Es wird, dem Reichstag Dank, dem theuern,
Kein Exekutor arbeitslos.

Was er noch bringt, das ist die Frage,

Die bald sich zu entscheiden hat!
Beschließen will er seine Tage
Gewiß mit einer großen That!
Wahrscheinlich einige Bataillone
Wirft er so nebenbei uns hin,

Damit er ja das Geld nicht schone,

Doch Größeres hat er noch im Sinn.

Die Nuß liegt aus des Hauses Tische,

Die harte Sozialisten-Nuß,

Die stets gebracht der Sorgen frische,

Die man nun endlich knacken muß.

Ilnd hört, es thnn mit vollen Backen
Die Ritter vom .Kartell uns kund:

Sie werden diese Nuß jetzt knacken,

Sie haben ja den größten Mund!

D, möge Weisheit sie beseelen!

Mög' ihnen wachsen der Verstand,

Daß sie den rechten Weg nicht fehlen
Zur Rettung für das Vaterland!

Es ist so schwer ja für den Braven,

Der stets nur kindlich ,,Ia" gesagt,

Wenn ihn des Meisters Blicke trafen,

Daß man nach „wie" und „was" ihn fragt.

Sie möchten uns nicht dauernd geben,

Was längst sich wirkungslos gezeigt,

Sie möchten nicht nach Neuem streben,

Das schädlich ihnen selbst vielleicht,

Sie möchten nicht in alter Weise
Verlängern oder mildern gar,

So grübeln sie in saurem Schweiße:

Was sie wohl möchten? klipp und klar?

O Wähler! schauet ihre Leiden,

O Wähler! schauet ihre Müh'n,
Seht, wie sie noch vor ihrem Scheiden
Für Euch in Opsermuth erglühen.
Am nächsten Wahltag dran gedenket,
Und wendet Euch der Freiheit zu,
Daß diesem Parlament Ihr schenket
Die längst verdiente süße Ruh!

Zu beziehen durch Albin Langer, Buchhandlung in Chemnitz.
 
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