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••►•eg* Des Winters Noth. -ss--

n's Fenster lehnt, aus kurzem Schlummer
Erwachst ein armes Weib das Haupt;

Nock) ist sie jung, doch hat der Rümmer
Der Jugend Anmuth ihr geraubt.

Und durch die frostbeschlagnen Scheiben
Wird ihr des Winters Nahen kund;

Sie sieht die ersten Flocken treiben
Und seufzt dazu von Herzensgrund.

Sie wird sich willig ja bequemen
Zu jeder Arbeit immerdar.

Jedoch woher die Schuhe nehmen
Für ihre kleine, blonde Schaar?

Sie braucht von früh bis Abend Feuer,
Hängt Nauchfrost sich an jedes Reis,
Doch spärlich sind die Rohlen Heuer
Und stehen sündlich hoch im Preis.

In Angst beginnt ihr Herz zu klopfen.
In bittrer Angst in 8ram und Zorn:
Wie soll sie all die Näuler stopfen
Bei diesem theuern Fleisch und Rorn?

Ls sinkt ihr Haupt entmuthigt nieder.

Denn daß die Zölle hart und schwer
Von Fleisch und Rorn man nehme wieder.

Die Hoffnung kennt sie längst nicht mehr.

Und soll ihr Blick sich nicht verschleiern?
Der Winter ist die Zeit der Noth.

Nun muß der Arm des Vaters feiern
Und immer theurer wird das Brot.

Auf ihre Lippen steigt die Rlage,

Die keinen Trost auf Lrden kennt;

Wie schrecken sie die kurzen Tage,

In denen früh die Lampe brennt!

Berlin, in'n November.

Lieber Jacob!

Wat unsere Reichsboten sind, die sind nu mitten drin in den Hammel-
sprung. Jetzt heeßt et, nu immer feste bewilligen, wat nachkommt is Bärme.
Se sind jetzt bei den Militäretat.

Et is wirklich 'ne scheene Sache um unser herrlichet Kriegsheer, bet
sichert den Frieden sage ick Dir, Jacob, un et wird den Frieden so lange
sichern, bis ieberhaupt in janz Eiropa keen Mensch mehr is, der Krieg an-
fangen will von wegen dem verflixten Jelde. Bei uns is ja ooch Matthäi
am Letzten, Scholz'n jeht schon mit den jrosien Klingclbeitel rum. Doch bet schad't
Alles nischt, wir wollen ja recht jerne Noth leiden, wenn de Soldaten man
immer uff de richtije Zeit ihr Kommißbrot kriejen, un wenn wir man blos
immer alle andere Nationen mit det knall- un roochlosc Pulver eene halbe
Nasenlänge vor sind. Alles Andere is heit zu Dage, so zu sagen, janz jemeinet
Blech, un bei de jetzije Berathungen von den Militäretat da kannste eben
sehen, wat zu eenen richtijen Patrioten jeheert. Wie mir det aber scheint,
haben se det Allerneieste bei uns doch noch nich. Neilich habe ick uemlich
jelesen, det se in Amerika eene neie Kanone erfunden haben, mit de se bei
jeden Schuß sechs dausend Fund Dienamit verschießen kennen, lim Dir det
deitlicher zu machen, lieber Jacob, stell Dir mal Foljendet vor. Wenn se
sonne Kanone hier bei uns uff'n Kreizberg ufffahren un se jeben eenen eenzigen
Schuß ab, denn kann janz Berlin mit seine beeden beriehmtesten Vorörter,
Plötzensee un Rummelsburg, in de Luft fliejen. Sechste, Jacob, so werden
nu ooch die iebertriebenste Ansprüche mit eenmal befriedigt, nu wie lange
wird et noch dauern, denn sprengen se unfern janzcn ollen Erdhaufen in de
Luft, uns beede natierlich mit, un wir fliejen denn womeeglich jleich bis
nach'n Mond, wo wir denn janz eenfach die Beene runterbammeln lassen,
un seelensverjniegt uff de alljemeine Zertöpperung unten runter kieken kennen.
Dhu mir man den Jesalleu, un verjeß denn Deine lange Feife nich, damit
wir denn wenijstens wat zu roochen haben. Ick kann Dir sagen, ick freie

mir jetzt schon uff die Rutschparthie. Et is een ollet Sprichwort, aber et
bleibt immer wahr: „Wat der Mensch braucht, muß er haben, un wenn et
een papicrlederner Leibrock von Holz is."

So jehen wir nu eene scheene un bewaffnete Zukunft entjejen. Die
Paar Jroschen Jeld, die wir haben, stechen wir in't Militär, un sollte wider
Erwarten noch wat iebrig bleiben, denn bauen wrr vor det Jeld schnell 'n
Paar strategische Bahnen.

Sonst is hier noch Allens bei'n Alten. Et rejnet alle Dage, wat von'n
Himmel runter will, un uff det deihre Asphaltpflaster da klettern Dir de
Droschkenferde man so hin, det se daliejen wie de Padden. De Arbeeter
sind jetzt eklig mang de Kommunalwahlen, un et hat ja den Anschein, als
wirden se de Brieder in't rothe Haus mal 'n orndtüchen Seefensieder uff-
stechen. Schaden Wirde det janz bestimmt nischt, denn et is in unsere Stadt-
verwaltung 'ne janze Masse zu bessern. Die Majorität die duht sich nämlich
bei jede Jelejenheit, ob se nu paßt oder nich, det is ejahl, mit ihre Freisinnig-
keit riesig dicke, — wenn se aber mal wat vor de Arbeeter duhn sollen, denn
is keen Mensch zu Hause, denn sind de Freisinnijen jenau so dickköppig wie
de ärgsten Reactionäre. Ick habe et immer jesagt, dat zwischen det Kapital
ieberhaupt keen Unterschied is, un wenn erst Eener mal sein Heu reinhat,
denn kennen ihn die, die nischt haben, jetrost den Puckel runter rutschen,
denn reißt sich Keener Beene aus. Bille praktischen Zweck hat et ja natier-
lich nich, ob von unsere Fremde welche in't rothe Haus sitzen; aber et is
janz jut, wenn da mal een orndtlicher Ton losjelassen wird, wie et den
Arbeeter zu Muthe is; da werden de ollen Brieder mal aus ihren Dusel
ufsjerittelt, un se merken denn wenigstens, det et außer ihnen ooch noch
Menschen uff de Welt siebt.

Det inerken jetzt iebrijens ooch noch andere Leite. Noch vor een Paar
Monate da war et doch de Arbeeter janz unmeejlich, mal 'ne ver-
nünftije Versammlung abzuhalten, aus den einfachen Jrunde, weil et die
uffjeblasenen Lokalbesitzer nich infiel, ihre Reimlichkeiten zu Versammlungen
vor de Arbeeter herzujeben. Wo een Arbeeter hinkam, um sehr heeflich um

Drs Poltzeiinspektors Traum.

Mitgetheilt vou Hans Flux.

ie Freunde des Herrn Polizeiinspektors Greif zerbrechen sich schon
seit einiger Zeit die Köpfe über das Benehmen des Inspektors,
das sie gar nicht verstehen können. Früher war er die Lustigkeit
selbst und sprudelte über von Witz und munterer Laune. Be-
sonders gerne pflegte er zu erzählen, wie viele Sozialisten er schon verhaftet
oder behaussucht hatte, und er schmückte seine Erzählungen mit allerlei
pikanten Details aus, die seine Zuhörer stets sehr belustigten, Namentlich
that er sich etwas zu Gute auf seine in aller Frühe, etwa um fünf Uhr
Morgens, vorgenommenen Haussuchungen, bei denen er in die Geheimnisse
der Schlafgemächer eindrang, und er konnte die Ucberraschung der also Heim-
gesuchten gar nicht drastisch genug schildern.

Seit einiger Zeit aber ist Herr Greis ganz tiefsinnig und hat seine
frühere Munterkeit schier völlig verloren. Abends sitzt er nachdenklich an
seinem Stammtisch im Gasthause und erzählt gar keine Geschichten mehr.

Der Herr Inspektor hat nämlich einen bösen Traum gehabt.

Ihm träumte, man sei im Jahr 1900 und soeben sei der lenkbare Luft-
ballon erfunden worden. Herr Greif begriff sofort, daß diese Erfindung die
Sozialistenverfolgung ungemein erschweren würde, und er machte beim Mi-
nisterium des Innern seine Vorstellungen. Er ward für seine Vorsicht sehr
belobt und ihm baldige Beförderung in Aussicht gestellt. Außerdem stellte
man ihm einen sehr schönen und komfortabel eingerichteten Luftballon zur
Verfügung, um die Sozialisten zu verfolgen, wenn sie etwa verbotene Zu-
sammenkünfte im Reiche der Luft abhalten oder verbotene Schriften per
Ballon verbreiten sollten.

Es gab auch bald zu thun, denn die Sozialisten hatten sich die neue
Erfindung natürlich sofort zu Nutzen gemacht und sich einen großen Ballon
für geheime Versammlungen in der Luft auf Parteikosten Herstellen lassen.

Es war an einem Freitag, als Herr Greif erfuhr, die Sozialisten wollten
in ihrem neuen Ballon die erste Versammlung in den Lüften abhalten. Der
Inspektor rüstete sich sogleich, sie zu verfolgen; er bestieg seinen vortrefflichen
Dienst-Ballon, während ihm mehrere L-chutzleute in kleinen, je einen Mann
tragenden Ballons folgten. So hoffte man den Sozialisten-Ballon abzufangen
und den Sozialisten die Versammlungen im blauen Aether gleich von vorn-
herein ordentlich zu verleiden.

Als es dunkelte, sah man von der Beobachtuugsstation aus den So-
zialistcn-Ballon rasch emporsteigen. Im Augenblick war Inspektor Greif mit
seiner Mannschaft hinterher. Der Sozialisten-Ballou flog gegen Norden und
die Polizei-Ballons verfolgten in einer langen Linie das staatsgefährliche Luft-
schiff, um es im gegebenen Augenblick umzingeln zu können.

Indessen der Sozialisten-Ballon flog sehr schnell dahin, schneller, als man
erwartet hatte. Im Eifer der Verfolgung sah man nicht, daß ein furcht-
bares Wetter heraufzog. Schwarzes Gewölk, aus dem unaufhörlich Blitze
hervorzuckten, ballte sich drohend zusammen. Der Sozialisten-Ballon war bald
nicht mehr zu sehen und Greif wollte eben verdrießlich das Zeichen zur
Heimfahrt geben, als ein furchtbarer Wirbelwind seinen Ballon ergriff. Greif
wollte sein Steuer anwenden, allein der ganze Apparat versagte; die Haupt-
feder war gebrochen. Hier mußte eine böse Hand im Spiele gewesen sein.
Sollten diese Sozialisten-

Der Inspektor hatte aber nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken. Er
verlor die Ballons seiner Mannschaft aus den Augen; sein eigenes Fahrzeug
aber, das mit dem beschädigten Steuer nicht mehr zu lenken war, flog mit
einer rasenden Eile vor dem Sturme dahin, so daß dem Insassen schier der
Athem verging. Der Inspektor war wehrlos dem Sturme preisgegebcn und
wußte nicht, welche Richtung der Ballon nahm. Er flog die ganze Nacht
hindurch mit dem Sturme und es schien nicht mehr Tag werden zu wollen;
denn der Ballon befand sich in Wolken und Nebel.

Endlich — der arme Inspektor konnte gar nicht berechnen, wie viel
Tage und Nächte er im Sturm umhergerast war — ließ der Sturm nach,
die Nebel und das Gewölke zertheilten sich und der Ballon sank langsam
hinab. Der Inspektor konnte noch von Glück sagen, daß der Ballon nicht
in's Meer fiel; er kam gerade am Strande eines unabsehbaren Eismeeres
nieder und erreichte noch festen Boden. Alles war mit Eis bedeckt und die
 
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