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Nr. 75

Preis pro Nnnrmer 10 Pfennig.

1889

Erscheint monatlich zweimal.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure.

Berlin. Die Deutschfreisinnige» werden künftig ganz dicht ver-
schleiert in der Tracht von Haremsfrauen in den Reichstag komme», 1
um den Mangel an Verschämtheit, de» ihnen der Gebieter vorge-
ivorfen, wieder abzustellen.

— In der Panke, dem Berliner Jordan, findet gegenwärtig die
feierliche Umtanfe der Nationalliberalen in Konservative statt.

In Westfalen werden die Bruchle iden epidemisch. Eine ganze
Reihe sonst angesehener Grubenbesitzer und Direktoren leiden an akutem
Wortbruch, vi. Eisenbart, welcher anläßlich des Streiks nach

Westfalen kam uud in Bochum aiu Bahnhofe arbeitete, ist dieser Krank-
heitserscheinuug gegenüber rathlos.

Schwede». Die Regierung null ei» Sozialistengesetz nach
deutschem Muster einsühren. Im Stockholmer Jntelligenzblatt werden
bereits geeignete Persönlichkeiten, die sich als Nichtgentleinen legitimiren
können, zum ttockspitzeldienst gesucht.

Bulgarien. Fürst Ferdinand beabsichtigt sich zu verheirathen.
Er scheint demnach seine Kondition als bulgarischer Herrscher für eine
dauernde zu halten.

Pfingstgedanlren.


waren sie so froh erschrocken, Das Hoffen, daß aus neuen Pfaden
Die Männer einfach und gering, Erreichbar sei das ferne Ziel,
wie fühlten sie die Hülse stocken, Das allen denen, die beladen,

Als Windesbrausen sie umsing
Und es von hellen Heuerflocken
Auf ihre Häupter niederging!

Aoch stets in graue Nebel siel,

Daß in der Hluth sich dürfe baden
Des festgefahr'nen Schiffes Kiel.

Und als dem Schreck sie sich entrungen, Die Aberweisen aber standen

Da fühlte Zeder Kraft und Werth,
Da sprachen plötzlich sie in Zungen
Die Keiner ihnen je gelehrt,

Da ist ihr Wort beredt erklungen
Und hat die Lauschenden bekehrt.

Die Menge sah es tief betroffen,

Von ehrfurchtsvoller Scheu bewegt;
Ähr Herz ward einer Ahnung offen,
Die wenig Träumer nur gehegt,

Und schüchtern hat ein frohes Hoffen
Zn ihrer Seele sich geregt:

Vor diesem Schauspiel tief verstimmt,
wenn And'rc eine Lösung fanden,

Die ihrem trüben Blick verschwimmt
Zu aller Zeit, in allen Landen
Hat die Gelahrten das ergrimmt.

Sic mieden klüglich all und jede
Begegnung, dämmend ihren Groll;

Zn Scheu vor jeder Geistesfehdc
Erklärten sie das Volk für toll
Und spöttisch klang die H lüsterrede:
„Sie sind des süßen Weines voll!"

Der alte Text, die alte weife,

So lang der Erde Vesten steh'n!

Sic müssen eben, laut und leise,
Verläumdcn, fälschen und verdreh'»;
Sic wollen stets im alten Kreise
Sich ehrfurchtsvoll beräuchert feh'n.

Und wer die Hände keck und schnöde
Legt in die Wunden seiner Zeit,

Der wird verstoßen in die Dede
Zm Wege der Gerechtigkeit;

Von da zum wilden: „Tödtc! Lödte!"
Zst es bekanntlich auch nicht weit.

Doch stimmen solche alten Bilder,
Beschaut man sie im rechten Licht,
Den rechten Menschen merklich milder
Man tobtet ja die Wahrheit nicht,
Und wenn noch giftiger und wilder
Die alte Satzung man versieht.

Zn solchen tröstlichen Gedanken
Schwillt immer wieder mir die Brust,
wenn in's Gewirr von Laub und Wanken
Zch flüchte aus der Gaffen Wust;

Zm Hochgefühl der Hrei'n und Hrankcn
Liegt doch die höchste Hrühlingslust.

Und allen, die durch grüne Breiten,
Aus denen Halmgewoge sprießt,

Zm Thau der milden Hrühe schreiten,
wo sie der Blumen Dust umfließt,
Mag das Gefühl die Seele weiten,
Das Pfingsten in die Brust mir gießt!

Z a c o b.
 
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