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51)4

Gegenwart. °sZ°°°-

^d)ort, wo das Meer in schönem Bogen
Istriens Gestade einschließt,

Wandelte ich am User frühmorgens einsam.

Ueber die blaue Rdrlabucht
Märchenhaft klar
Grüßten Alpengipselhäupter
Schneeblinkend herüber;

Aber mein Gemüth war kummerschwer
And bitt'rer Groll fraß mir am Herzen.

Ich dachte der düsteren Gegenwart,

Wie Alles scheinbar rückwärts sich gewendet:

Menschenelend ringsum,

Mittelalters brutale Nachtgespenster,

Aon den Erwartungen der Zeit nichts erfüllt.

And Spott und Hohn und Nückfchrittsübermuth der Gegner.

Da schlug ein seltsam Geräusch an mein Ghr,

Wie polternd kam es näher und näher;

Und da ich aufblickte.

Sah ich auf der Straße vor mir,

Die von der Werste zum Hafen führte,

Dampftvandeln ein Wagenungethüm.

Sausend schwirrte droben das Schwungrad,

Aber die großen Näder drunten
Wälzten sich langsam,

Langsam vorwärts unter Aechzen und Stöhnen

lind zermalmten auf der Straße den Aies und die Steine

Knirschend.

And hinter sich her an Retten schleppte der Wagen
Line riesige Schiffsdampfmaschine.

Ich trat heran;

Doch wie ich in die Näder starrte.

Da durchzuckt' es mich feltsamlich.

Daß die Speichen beim Nadmnlanf
Nach unten scheinbar rückwärts gingen.

Immer rückwärts nach unten nieder.

And doch stampfte der Wagen vorwärts
And rollten die Näder vorwärts unaufhaltsam.

Da ward ich getröstet wunderbar.

Wie der Roloß an mir vorbeizog,

Lin Bild der Zeit:

Der Wagen der Zeit rollt vorwärts unaufhaltsam
Unter Aechzen und Stöhnen,

And ein Niedergang im Nadumlauf
Lolch ein Moment ist die Gegenwart.

Wie wenn Fliegen aus den Speichen sitzend
Sich freuen, daß sie rückwärts niedergehen.

So ist der Spott der Gegner heute.

Goldig glänzte die Luft und das Meer
Im aufsteigenden Sonnenstrahl,

And ich grüßte über die Adriabucht
Die schneefunkelnden Alpenhäupter

freudigen Herzens. Leopold Zacobp.

Berlin, so um Pfingsten rum.

Mein lieber Jacob!

diu sind wir ja ooch wieder jlicklich bei det liebliche Fest, wie et Je-
heimrath Joethe jeuaunt hat, anjelangt, un de Natur steht nu in de vollste
Blicthe. De Vögel singen draußen, det et man sonne Art hat, de eenzigste
Wunder dabei is, det se die Lieder als zu revolutionär noch nich verboten
haben. Der Flieder is abjeblieht, aber davor stehen nu de Rosen in de
bliehendste Bliethe un sämmtliche Gensdarmen in den janzen Teltower-Bes-
kower Wahlkreis müssen Dag un Nacht alle Oogen des Jesetzes uffhalten,
det man ja nich Eener mal 'ne rothe Rose in't Knopploch stecht, denn sonst
kennte nehmlich det janze moderne Staatswesen beese in't Wackeln kommen.

Doch davon nach Neune, ick wollte erst von wat Anderes anfangen.
Det sind nehinlich de Friehkonzerte. Ohne Friehkonzert is Pfingsten vor so'n
richtigen Berliner jar nich denkbar, et is ieberhaupt nischt, wenn keen Frieh-
konzert is oder wenn eens verregnet. De Friehkonzerte haben nämlich zwee
Zwecke. Erstens muß man det Abends vorher so lange kneipen, det man
des Morjens jleich nach't Friehkonzert loofen kann, un zweetens drinkt man
denn da so ville, det man sich mit so'n friehmorjentlichen Affen den je-
sammten Rest von de iebrijen Feierdage mit de jreeßte Seelenruhe voll-
ständig verderben kann. Det is Zweck un Nutzen der Friehkonzerte. Un
weiter leben wir jetzt ooch in de Zeiten der Landparthien. Nee, Jacob, bei
Eich in Stuttjart mag et ja janz scheen sind, det jloob ick ja janz jerne, aber
ick weeß nich, ob Ihr ooch Landparthien per Kremser machen kennt, un wenn
det nich is, na denn is bei Euch ieberhaupt nischt los. Sonne Kremserparthie
durch den Jrunewald, wenn jerade sonne scheene, stickije Hitze is wie heile,
wo ick an Dir schreibe, un denn so'n Paar recht dicke Budikerfrauen mit in
den Kremser drin, un Eene fangt denn pletzlich an zu schreien: „Ach Jotte
doch, Frau Milleru, seh'n Se doch mal blos an, ick jloobe, ick sitze uff
meinem Freßkober, wo de jekochte Eier drinne sind", un det wird denn unter-
sucht, un denn werden sämmtliche Stullen un de Karbonade mit Eijelb be-
schmiert vorjefunden, un de dicke Budikersche fangt vor Wuth an zu weenen,
uu die Anderen lachen wie de Spitzbuben — nee, Jacob, wenn et det bei
Eich nich siebt, denn siebt et ieberhaupt nischt. Na, un denn so'n Friehstück
in'n Jruneivald. De Stullen sind von de Sonne so durchjewärmt, als ob
De se eben aus de Ofenröhre jezogen hättest; det Bier, wat mau sich mit-

Dio Stirfrlchrn der Gräfin.

Bon Hans Jütx.

ie Gräfin Franziska von Felseneck ist weithin bekannt durch ihre
Schönheit, durch ihren Geist und durch ihre Stiefelchen.

Sie war nicht immer Gräfin von Felseueck. Es rollt kein
„blaues Blut" in ihren Adern, wenn sie auch bläulich durch die
Haut ihres marmorweißen Halses schimmern. Wie sie früher eigentlich hieß,
weiß man nicht; man nannte sie nur Fränzcheu. Ihre Eltern waren sehr
arm und sie war mit ihren vielen Geschwistern recht übel dran. Sie mußte
schon mit neun Jahren in den Restaurants Blumensträußchen verkaufen. Die
rohen Scherze der Gäste fielen bei Fräuzchen auf einen fruchtbaren Boden
und bald that sie es ihnen zuvor. Sie verstand es, mit ihren Antworten
ein wieherndes Gelächter zu erregen, und wurde dabei ihre Blumen los.
Der Fluch der Armuth schlug hier nicht nach der gewöhnlichen Seite aus;
Fränzcheu nahm viel Geld ein und wurde frech.

Mit fünfzehn Jahren verließ sie ihre Eltern und stellte sich auf eigene
Füße. Sie blieb Blumenverkäuferin und sie sollte als solche ihr Glück machen.

Ein alter Professor, ein Maler von Ruf, sah das Mädchen in seiner
eigenartigen Schönheit mit den krausen goldblonden Haaren, den kirschrothen
Lippen und den tiefschwarzen Augen. Die Augen wären wunderbar schön
gewesen, hätten sie nicht einen etwas frechen und frivolen Ausdruck gehabt.
Aber daran kehrte sich der alte Künstler nicht. Die außergewöhnlich feine und
zarte Gestalt des Mädchens lockte ihn an. Er bewog sie, ihm als Modell zu
dienen, und sie that es mit Freuden, denn sie hoffte auf Abenteuer und Glück.

Der alte Maler war ganz bezaubert von seinem Modell, das er auf
einer Reihe von Bildern verewigte. Das Publikum und der Meister schwärmten
für das schöne Modell. Besonders ihr reizender kleiner Fuß erregte das
Entzücken ihres Herrn, und als er den Fuß in Lebensgröße gemalt und das
Bild ausgestellt hatte, forschten die Lebemänner der Residenz nach der Besitzerin
des kleinen Fußes.

Ein Gardeoffizier, bekannt als Salonlöwe, ein Herr von Schmeckwitz
aus Ponimern, that den Schwur, nicht zu rasten, bis er der Besitzerin des

kleinen Fußes sein Herz und sein Vermögen anbieten könne. Solche Schwüre
werden, einmal gethan, gemeinhin gehalten und eines Tages erschien der
schöne und elegante Soldat in dem Atelier, wo Fränzcheu gerade für eine
Bacchantin Modell saß.

Sie verhüllte sich kokett, und während der Alte dem Eindringling kühl
entgegeutrat, war ihr Entschluß schon gefaßt. Der Offizier gefiel ihr natürlich
besser als der langiveilige Professor. Der Offizier wurde von dem Alten
langsam aus dem Atelier hinauskomplimentirt. Aber er fand Gelegenheit,
den schönen nackten Fuß Fräuzchens zu küssen, sie sah in seine glühenden
Augen und flüsterte ihm rasch Ort und Zeit eines Stelldicheins zu.

An demselben Tage hatte der Professor seinem Modell ein Paar sehr
zierlicher und eleganter Stiefelchen von braunem Atlas zum Geschenk gemacht.
Sie ging in diesen Stiefelchen zu dem Rendezvous, um nicht mehr zu dem
Professor zurückzukehreu.

„Ich werde Dir ein Paar schönere Stiefelchen machen lassen, mein
Kind", hatte der verliebte Sohn des Mars gesagt.

Von diesem Tage an wurden schöne, zierliche und elegante Stiefelchen
die Leidenschaft Fränzchens. Sie wollte bei jeder Gelegenheit die schöne
Form ihres Fußes bewundern lassen. Bald staken ihre Füßchen in weißen
Atlasstiefelchen, bald in rothen, bald in gelben; zur Abwechselung manchmal
auch in Pantöffelchen von Maroquin oder Saffian. Bald hatte sie so viele
Stiefelchen, daß sie jeden Tag ein anderes Paar tragen konnte, und wo sie
erschien, kokettirte sie nüt ihren Füßen. Am liebsten ließ sie, wenn sie graziös
da saß, den Fuß mit den zierlichen Stiefelchen unter dem Saum ihres
Gewandes hervorsehen und man sagte ihr nach, sie strecke den Fuß, resp.
das Bein manchmal weiter hervor, alö gerade nothwendig sei. Ueber solche
„philisterhaften" Einwürfe konnte Fränzcheu unbändig lachen.

Die Stiefelchen hatten für den Liebhaber Fränzchens allerlei Beziehungen
zu Champagner, zu feinen Soupers, zu Equipagen und Badereisen. Herr
von Schmeckwitz war nicht arm, aber auch kein Millionär. Er konnte kaum
einen Tag ohne Fcänzchcn sein und war so verliebt, daß er sein ganzes
Vermögen für sie drangab. Er machte Schulden und Unterzeichnete Wechsel,
die er nicht mehr einlösen konnte. Die Stiefelchen Fränzchens hatten ihn
ruinirt, und als er sein Elend ihr gestand, lachte sie ihn aus. Er erschoß sich.
 
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