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Hobelspähne.

nimmt, is lauwarm un schineckt nach Seefe; aber bot schad't Alles nischt,
ieber sonne richtije Kremserparthie seht eben nischt.

Aber von't Verjniejen wollen wir man jetzt nich so bitte reden, denn
de Zeiten sind ernst jenug. De Bergleite in Westfalen sind von ihre Unter-
nehmer beese injeseeft worden, ihre sojenannte loyale Haltung hat se nischt
jenutzt, de Kohlenbarone fragen den Deibel da wat nach, vor die Brieder iS
„verdienen" een Hauptwort un wird jroß jeschrieben, un wie bet noch werden
soll, bet mögen de Jötter wissen, ick wenigstens weeß et nich. Un in Schlesien
is et dieselbe Sache. Mir kommt et janz so vor, als ob die Leite, die unsere
Politik machen, jlooben, bet die armen Arbeeter blos vor lauter Verjniejen
streiken. Det stimmt aber nich. Wenn der Hunger die Leite nich zu sonne
verzweifelten Schritte dreiben wirde, denn wurden se janz wahrhaftig nich an
Jewaltssachen denken, wenn aber Eener bei de vollste Arbeet schließlich nich
soville hat, det er sich wat in'n un wat uff'n Leibe schaffen kann, na, denn
looft ihn natierlich de Jalle ieber un denn schlagen se natierlich Alles kurz
un kleen. So is et hier in Berlin jetzt ooch. Hier streiken de Bauarbeeter,
de Maurer un de Zimmerleite, un de Andern ooch, die zu'n Bau jeheeren.
Der Streik is natierlich nich ans heiler Haut jekommen, de Unternehmer
haben det schon vor 'n Paar Monate jewußt, aber von Vernunft annehmen
un sich eenigermaßen uff'n respektablen Standpunkt stellen, davon is natier-
lich keene Rede nich. Da heeßt et janz einfach: Wir woll'n doch nu mal
sehen, wie der Hase looft un wer et am längsten aushalt — un dabei kann
natierlich Keener wat jewinnen, un de Erbitterung wird natierlich alle Dage
jrößer. Wir wollen blos wünschen, det Alles in Ruhe un Frieden abjeht,
un det de Soldaten sich mit ihre Paraden bejniejen un det se usfpassen, det
uns de Russen nich ieber'n Hals kommen. Denn wenn et hier in Berlin
so losjehen sollte wie in Gelsenkirchen, denn wirde ick det vor een jräßlichet
Unjlick halten. Ville mehr Spaß wie die Sache mit de Bauhandwerker
macht, hat der Streik der Pferdebahnkutscher jemacht. Det war eens, zwee,
drei zu Ende, de Direktion hat jleich nachjejeben, un nu duht se sich in de
Zeitungen dicke, wat sie vor eene jietije „Brodjeberin" is, un det ihr in
Bezug uff ihre Arbeeterfreindlichkeit so leichte Keener an de Wimpern klim-
pern kann. Die Brieder hatten nämlich Manschetten davor, det et ihnen
vielleicht in Berlin ebenso jejangen wäre, wie ihre Jesinnungöjenossen in
Wien, un det wollten se natierlich nich ferne haben, weil man se hier in
Berlin ooch nich trabe jrien is, un weil se denn vielleicht nich mehr sonne
fette Konzessionen jekriegt hätten. Da haben se denn rasch mit de Wurscht
nach de Speckseite jeschmissen, natierlich haben se aber ooch de sojenannte»
Rädelsführer rausjeschmissen, und die liefen ja nu ooch zur höheren Ehre
von die Jesellschaft — Sippschaft, sollte man eijentlich sagen — uff't Straßen-
flaster.

Doch laß man jut sind, Jacob, et is ja nu Fingsten. Piepen bei Eich
de Jungens uff de Straße jetzt ooch mit Kalmus? Wenn et der Fall sein
sollte, koof Dir ooch welchen un piepe mit, un steck Dir Maien in Deine
Bude uff un sei verjniejt, denn so wie et draußen immer un immer wieder
Friehling wird, so wird ja woll vor uns jeplagte Menschenkinder ooch mal
det liebliche Fest der Freide un des Friedens anbrechen, un denn, Jacob,
denn schwenken wir beede unsere Blitzen un schreien Hurrah, bis die Pulle
platzt, womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An 'u Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Die Freude der Berliner beim festlichen Em-
pfange des Königs von Italien wäre beinahe in

den neuen Begas-Brunnen gefallen.

* *'

•3fr

Der Dortmunder Streik hat sich glücklicher-
weise nicht bis auf den Berliner Reichstag er-
streckt, denn während in Westphalen die Förderung
von Kohlen gänzlich eingestellt war, wurde im
Reichstage eifrig weiter gekohlt.

* *

*

Wohlthätig ist des Feuers Macht,

Wenn's der Gensdarm bezähmt, bewacht,

Doch furchtbar wird die Himmelskraft,

Wenn wo ein Redner Luft sich schafft
Und mit Feuer vertritt die Opposition,

Denn Auflösung wird der Versammlung dann droh'u.

-3fr *

•3fr

»Wir führen mit den im Reichstage befindlichen Sozialdemokraten Krieg
wie mit den Franzosen", hat Bismarck ungefähr gesagt. Die Franzosen sind
über diese Kriegserklärung aber jedenfalls nicht sehr erschrocken, denn sie
wissen, daß der Krieg gegen die Sozialdemokraten bis jetzt noch ganz wohl-
gemuth geführt wird.

* *

Die konservativen Sozialreformer mühen sich ab, den Stein
der Weisen zu finden, damit sie ihn den Nothleidenden an Stelle des ver-
langten Brotes reichen können.

* *

*

Bei dem heutigen Bauwesen kommen in alten und neuen Häusern gar

oft Einfälle vor. Rur dem „hohen Hanse" der Reichsboten in Berlin

fällt nur selten etwas Rechtes ein.

* *

#

Ich seh' es an und glaub' cs kaum,

Eö ist ein schöner Frühlingstraum!

Grün ist der Wald und grün die Flur

Grün ist die herrliche Natur;

Doch was am schönsten strahlt lind prunkt

Als aller Schöpfung Mittelpunkt,

Noch grüner als wie Wald und Flur,

Das ist ein grüner Lieutenant nur.

* *

*

In Bochum hat ein Lieutenant seinen Eifer für die Streik-Angelegenheit
so weit getrieben, daß er den Streikenden etwas vorschießen ließ.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

Diese Affäre machte ungeheures Aufsehen und man nannte Fränzchen
in öffentlichen Blättern eine verworfene Courtisane. Sie lachte. Sie wußte,
daß sie für die Männer der großen Welt nun um so anziehender war, und
richtig, sie umschwärmten die interessante Dame der Halbwelt wie die Mücken
das Licht, au dem sie sich die Flügel versengen. Ein Börsenmann wußte sie
zu fesseln, der ihr ein Paar prachtvoller Stiefelchen überreichte, die mit Edel-
steinen besetzt waren. Fränzchen war entzückt und nahm sich ans dem Schwann
ihrer Verehrer den Börsenmann heraus. Auch ihm kainen die Stiefelchen
theuer zu stehen, denn Fränzchen spannte ihre Wünsche immer höher. Die
Spekulationen ihres Galans glückten um jene Zeit und er schenkte ihr eine
prachtvolle Villa mit einer sehr kostspieligen Einrichtung. Er war ungebildet
und plump und hatte eine kindliche Freude, wenn seine Gäste das zierliche
Füßchen Fränzchens bewunderten. Er hielt ihr schon einen eigenen Fuß-
bekleidungskünstler.

Aber der Stern des Börsianers sank und eines Tages ward er als
Betheiligter bei einer schwindelhaften Gründung in Hast genommen. Fränzchen
konnte froh sein, daß sie ihre Villa behalten durfte. Sie sah sich nach einem
neuen Liebhaber um und es erschien ein Fabrikbesitzer, der ihr im Winter
ein Paar Stiefelchen brachte, die mit dem feinsten und kostbarsten Pelzwerk
sehr zierlich besetzt waren. Fränzchen klatschte vor Vergnügen in die Hände
und im Frühjahr ging sie mit dem Industriellen auf Reisen. Sie bezauberte
ihn dermaßen, daß er erklärte, nie mehr von ihr zu lassen. Sie befanden
sich schier ein Jahr unterwegs und bereisten Italien, Frankreich und Spanien.
Fränzchen ließ sich ihre Stiefelchen überallhin nachführen und hatte einen
eigenen Waggon dazu.

In Madrid erreichte den Industriellen, der sich weit mehr um Fränzchens
Füße, als um sein Etablissement gekümmert hatte, die Hiobspost, daß sein
Geschäft schwere Verluste erlitten habe. Er kam eilends zurück, konnte aber
dem Ruin seines Geschäfts nicht mehr Vorbeugen. Er ward bankerott und
als er sein Unglück der Geliebten eingestand, dankte sie ihm für seine Güte
und Liebenswürdigkeit und wies ihm ganz einfach und ohne alle Umschweife
die Thür.

Kaum war der Unglückliche draußen, so tänzelte ein Diplomat herein,
der Fränzchen ein Paar einfache Ballschuhe überreichte. Fränzchen sah ihn

halb fragend und halb verächtlich an, aber er sagte ihr, daß er sie in eine
feine und lustige Gesellschaft bringen werde, wo sie tanzen könne. Sic kam
mit ihm in einen jener seltsamen Zirkel, die ans Roues und aus Damen
der Halbwelt bestehen. Sie kokettirte dort wieder mit ihren Füßchen und
bald hatte sie mit Augen und Füßen den neuen Anbeter so bezaubert, daß
er sie mit sich nach Paris nahm, wohin ihn eine diplomatische Mission rief.

Fränzchen >var intriguant und verschmitzt und mischte sich bald in die
diplomatischen Arbeiten und in das Ränkespiel ihres neuen Anbeters ein.
Er ward unwillig, aber er mußte bald die Erfahrung machen, wie zornig
sie mit den zierlichen Füßchen und mit den feinen Stiefelchen aufstampfen
konnte. Muth zum Widerstand hatte er nicht und an Schlauheit war sie
ihm mindestens gleich. Sonach mußte er gute Miene zum bösen Spiel
machen. Aber bald verspürte man die Tritte von Fränzchens Stiefelchen in
der Politik und es wäre dadurch beinahe eine Feindschaft zwischen den beiden
Höfen entstanden, denn Fränzchen wollte partout mit ihren Stiefelchen Krieg
oder Frieden machen, wie es ihr gerade gefiel.

Dem Diplomaten ward seine Mission wieder abgenommen und Fränzchen
verließ ihn, um sich dein alten Grafen von Felseneck zuzuwenden, der zwar
schon sehr abgelebt, aber auch sehr reich tvar. Dieser hatte ihr jeden Morgen
ein Paar prachtvolle Stiefelchen, mit Dukaten angefüllt, überreichen lassen.
Sie bezauberte ihn so, daß er sie heirathete, und so ist aus dem einstigen
Blumenmädchen, dem kleinen Fränzchen, eine Gräfin von Felseneck geworden,
die immer noch ihr zierliches Füßchen der Männerwelt auf den Nacken setzt.
Man murmelt von vielen Liebesabenteuern, die die schöne Frau als Gräfin
noch bestanden, aber der alte Graf lacht dazu und freut sich, wenn seine Frau
auch Andern gefällt. So geht's eben manchmal zu in der großen Welt.

Man sagt, ein Schriftsteller gehe damit um, eilt Buch zum Lob nud
Preis der schönen Füße und der Stiefelchen der Gräfin zu schreiben. Als
sie dies erfuhr, hat sie ihre sämmtlichen Stiefelchen gezeigt, die nun ein ganzes
Magazin anfüllen. Es ist eine originelle und kostbare Sammlung. _

„Sehen Sie", meinte die Gräfin, „so viele Paar Stiefelchen Sie hier
sehen, so oft habe ich sonst ganz vernünftige Männer verrückt gemacht."

„Ich glaub's", antwortete der Schriftsteller.
 
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