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Die beste der Welten.

8 ist so schön auf dieser Welt,

ZE) So hieß es im Reichstag drinnen,
Und wem's im deutschen Reich nicht gefällt,
Der mag sich heben von hinnen!

Ihr lieben Herrn, in diesem Land
Herrscht eine weise Verwaltung;

Es ist darinnen recht interessant
Und giebt gar viel Unterhaltung.

Viel hunderttausend Bürger marschir'n
Zu jeder Zeit unter Waffen;

Die haben mit all' dem Exerzir'n
Drei volle Jahre zu schaffen.

Umsonst geschieht dies Alles nicht,

Es macht uns manche Qualen;

Die anderen Bürger haben die Pflicht,
Die Rechnung dafür zu zahlen.

Und ob dem Exerzir'n und Marschir'n
In dieser schönsten der Welten,

Da möchte gar Mancher räsonnir'n
Und möchte tadeln und schelten.

Dem wird geboten ein mächtiges Halt,
Man braucht nicht solch Geschimpfire;
Die Polizei und der Staatsanwalt,
Thun immer mit Freuden das Ihre.

So geht es schon lange Tag für Tag,

Ihr wißt's ja, ihr lieben Kinder;

Man weiß nicht, was da noch werden mag
Im Frühling und auch nicht im Winter.

Langweilig ist's nicht in solchem Land,

Das muß ich zugestehen;

Es ist für Jedermann interessant
Und lehrreich mit anzusehen.

Ich seh' mir's an und denk' dabei —

Doch ich will Niemand kränken
Und sag' drum Niemand die Litanei,

Die ich muß manchmal denken!

Berlin, Mitte November.

Lieber Jacob!

Nanu haste die Kiste. Wenn De etwa dachtest, bet De bei de Verhand-
lungen über bet Sozialistenjesetz aber ooch blos bet jeringste Neie erfahren
wirdest, denn warste einfach der Jeblaßmeierte. Die Sache jing so jemieth-
lich ab, det De kaum wat davon merktest, un det Scheenste dabei is, bet wir
uns wenigstens nich jeschnitten hatten; wat ick Dir wenigstens mit meine
bemerkenswerthe Seherjabe längst prophezeit hatte, det is nu Alles so fein
injetroffen, det ick woll wahrscheinlich Aussicht habe, uuter die Propheteu
uffjenommen zu werden, die in de Bibel zwischen det alte und neie Testa-
ment stehen.

Wat Herrfurthen von de Spitzel jesagt hat, det hat meinen Beifall,
un ick jloobe, det den Minister det freien wird, wenn er lest, det ick ihm meine
Anerkennung nich versage. Ob et aber ooch jehalten wird, det is natierlich
'n andret Ding, worieber ja Jeder janz nach Belieben seine Ansicht unaus-
jesprochen lassen kann. Wenn wir erst de Spitzel und sonstige Gentlemens
los sind, denn sind wir schon een janz Endeten jebessert, un wenn der
Minister von't Innere et wirklich fertig kriegt, det de Jhring-Mahlows un
sonstige Naporras bei uns der Vcrjessenheit un Verjangenheit anheimfallen,
denn hat er, wenn er schließlich ooch mal zu den „Verbrauchten" jeheeren
wird, wenigstens det preiß'sche Innere nich janz umsonst verwalt't. Schade,
det sein Vorsänger det von de Spitzels nich jeheert hat. Puttkamer war
nehmlich ooch in'n Reichsdag, aber blos oben uff de Tribienen, denn unten
hat er nischt mehr verloren, un so leichte wird er sich da woll ooch nich
wieder blicken lassen derfen. Ick habe Puttkammern, den ick zwar nich selbst
jesehen, aber die ihn jesehen haben, die haben mir erzählt, det er noch jenem
so ausseht wie frieher, mit den weißen Bart und det dicke Pincenez uff
seinen aristokratischen Jesichtsvorsprung, bei jewehnliche Menschen nennen
wir des Ding bekanntlich Riechkolben. Puttkamer hat sich blos bei de
Etatsberathuugen als Zuschauer blicken lassen, bei de Rechenschaftsberichte
ieber den kleenen Belagerungszustand un bei det jemeinjefährliche Jesetz, da
war er nicht zu sehen, wo er doch jrade bei die Jeschichten frieher seine
jreeste Forsche drin jezeigt hat. Un er kann ja nu det mit sich un sein
Jewissen ausmachen, wenn er aber heite noch Minister jewesen wäre, denn

Dir verzauberte Waldschrnke.

fch hatte mich auf einem Vergnügungs-Ausflug um einen ganzen
Tag verspätet und wäre nun gern von der nächsten Station aus
mit der Eisenbahn nach meinem Wohnort, der Universitätsstadt M.,
zurückgekehrt. Allein die Fahrt nach dort kostete eine Mark und
fünfzig Pfennige und ich nannte nur noch sechszig Pfennige mein eigen. Diese
Differenz zwischen Soll und Haben zwang mich, den Weg, der vier bis fünf
Stunden Entfernung umfaßte, zu Fuß anzutreten.

Meine gute Laune litt unter dieser Zwangslange keineswegs. Denn
Zeitverlust fiel bei mir, einem alten Studenten hohen Semesters, der sich
als Privatlehrer seinen „Wechsel" selbst verdiente, nicht sehr in's Gewicht,
und Geldmangel war mir noch viel weniger eine auffallende Erscheinung.
Die „bemoosten Häupter" sind ja am häufigsten ohne „Moos".

Ich schritt auf einer von Gras überwucherten Fahrspur durch den Wald
und deckte mich' im Schatten der Bäume gegen die glühenden Strahlen der
Mittagssonne.

Nach fast zwei Stunden traf ich plötzlich auf ein ganz einsam gelegenes
Wirthshaus im Walde.

Der Anblick eines Wirthshauses macht auf mein Gemüth stets einen
freudigen Eindruck. Er berührt mich so heimisch, wie es etwa den Schiffer
berühren muß, wenn er nach langer einsamer Fahrt den Hafen der heimath-
lichen Küste begrüßt. Aber im vorliegenden Falle war mir die Schenke
doppelt willkommen, denn ich litt schwer an Durst und nebenbei sogar an
Hunger. Beides vollständig zu stillen, dazu reichte wohl meine Baarschaft
nicht, aber eine kleine Labe würde in der einfachen Waldschenke schon zu
haben sein, dachte ich.

In die Gaststube tretend, blieb ich überrascht stehen. Da sah ich einige
gedeckte Tische, eine lange Tafel, eine Menge Stühle, Alles sauber geordnet,
wie es in den Dorfschenken dieser abgelegenen Gegend sonst nie zu finden

hätte er bestimmt wat zu Heeren jekriegt, wo ihn vierzehn Dage lang de
Ohren noch nachjeklungen hätten.

Na, lieber Jacob, det kann uns nu schnuppe sind, aber janz jediegene
Sachen sind denn doch bei die Debatten vorjekommen. Wat meenste denn
blos zu die Idee von Liebknechten, bei seine Rede mit eenmal een rothet
Schnuppduch aus de Tasche zu ziehen un det bei die Rechte als 'ne rothe
Fahne auszujeben. Denkste vielleicht, von die Brieder hat det Eener jejloobt?
Keene Spur. Aber in Sachsen, wo et bekanntlich so mächtig jemiethlich zu-
jeht, da haben de Richter det Schnuppduch vor 'ne rothe Fahne jehalten,
und haben den Besitzer injespunnt. Hast Du vielleicht ooch rothe Schnupp-
dücher, lieber Jacob?

Doch det war selbstredend blos 'ne kleene Episode aus de janzen Ver-
handlungen. Mir hat se aber Spaß jemacht, un et wäre wirklich janz jut
jewesen, wenn man Alles mal, wat so uff Jrund des Sozialistenjesetzes mit
eben sonne brillanten Jrinde verknackt worden is, uff den Disch von det
hohe Haus niederlegen kennte. Verschiedene Dinger wirden da zum Vor-
schein kommen, un ick jlobe janz bestimmt, dat die „Rechte" sich bei den Anblick
det Lachen vor längere Zeit beese verkneifen wirde. Det hat die Rechte
nämlich 'raus, eenen anständigen Menschen bis in de Zähne 'rin vor'n
Narren zu halten un auszulachen, aber weiter kennen se ooch nischt. Et is
ja richtig, wir brauchen uns den Kopf jarnich weiter unnütz zu zerbrechen,
det Sozialistenjesetz, det haben wir nun eenmal uff den Puckel un det werden
wir ja ooch so leichte nich Widder los, aber jedenfalls is ihnen in'n
Reichsdag mal eklich die Wahrheit jegeigt worden, un wenn auch weiter
nich ville bei rauskam, so weeß die Jesellschaft von de Rechte nu
wenigstens, wie die Leite in'n Land ieber sie denken. Wat det Kartell
anjeht, so bin ick davor, dat sich de janze olle windschiefe Jesellschaft mal
orndlich austobt, wat se schließlich davon haben, det werden se ja sehen.
De Schutzleite alleene machen et ooch nich immer. Mit die is et janz det-
selbe wie mit de Hundertmarkscheine. Se sind woll beede blau, aber wenn
man jrade eenen braucht, denn hat man keenen. Un det kann det Kartell
ooch noch passiren, un ick habe et immer jesagt, jrade, wenn der Mensch am
dickneesigsten is, denn muß er sich am Meisten vorsehen, det er nich stolpert,
denn det macht denn immer eenen dämlichen Jndruck.

Nu helft ja natierlich keen Maulspitzen mehr, nu muß jefiffen sind

war. Und da kam auch schon der Wirth, mich überhöflich begrüßend und
zum Niederlassen am gedeckten Tisch einladend. „Bier oder Wein?" fragte
ev. „Bier!" sprach ich kategorisch.

Und wirklich ein schönes, frisches, schäumendes Bier wurde gebracht und
dann — beinahe wäre ich umgefallen vor Verwunderung! — sogar eine
Speisekarte.

Ich sprach einige Worte des Lobes über die hohe Kulturstufe, auf welcher
diese Kneipe augenscheinlich stand, worauf der Wirth bescheiden sagte, daß dies
allerdings „nur heute" sei und mich dabei verständnißvoll anblinzelte, was
natürlich mein Verständniß der Situation keineswegs förderte.

Die Speisekarte setzte mich übrigens in Rücksicht auf meine sechszig
Pfennige Baarschaft etwas in Verlegenheit. Ich wollte Backsteinkäse bestellen,
aber der Wirth rühmte unermüdlich seine Braten und verweilte namentlich
bei Rehzimmer, dem theuersten von allen.

„Wenn ich nun aber kein Geld habe", sagte ich endlich.

Der Wirth lachte herzlich, als ob ich einen guten Witz gemacht hätte
und verschwand mit den Worten „also Rehziemer" aus der Stube.

Was hatte nur dieser Wirth? Eine Vorliebe für Studenten? Aber er
konnte mir unmöglich den Studenten ansehen, denn ich habe mir nie von
dummen Jungen das Gesicht zerhacken lassen, habe auch seit meinen frühen
Kinderjahren nie mehr mit bunten Bändern und bunten Mützen gespielt.
Meine Tracht überhaupt, die graue Joppe mit dem grünen Aufschlag und
der dazu paffende Hut, hatte gar nichts studentisches.

Mein Nachdenken wurde durch den Eintritt eines andern Gastes unter-
brochen, eines behäbigen alten Bauern, dessen ganzes Aeußere Wohlhabenheit
verrieth. Derselbe musterte mich erst argwöhnisch, dann trat er mit einem
„Grüß Gott" auf mich zu, reichte mir die Hand und begann mit mir sofort
ein Gespräch über Forstwesen und Holz-Ertrag.

Dieses Entgegenkommen seitens eines der sonst so verschlossenen und
geldstolzen Grundbesitzer dieser Gegend war wieder so wenig landesüblich,
daß es mich in neues Erstaunen setzte.
 
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