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- 6«

Ick kann nich seifen, lieber Jacob, oder wenigstens man blos janz schlecht,
weil ick in meine Jugend weiter keene musikalische Ausbildung genossen habe,
als det ick nach Noten Wichse jekriegt habe. Aber wenn ick so scheen flöten
kennte wie 'ne Nachtigall, denn würde ick immerzu det saubere Lied seifen,
Du weeßt doch, lieber Jacob, aus det Liederbuch mit den blauen Deckel,
Nummer elbe, wo der Fettfleck is, det heeßt: „Ick Hab' mein Messer ver-
loren" un wird jesungen nach der Melodie: „Mutter, der Mann mit dem
Kooks is da"

womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobelspähne.

~,i Herr von Bennigsen hat die Ernennung eines

i‘ verantwortlichen Finanzministers für das

(n j 1-Reich empfohlen, damit die unverantwortliche

/ / Bereitwilligkeit, mit welcher seine Partei An-

lwv/r« leihen und Zölle bewilligt, einigermaßen aus-
''E geglichen werde. Als geeignete Person, welche in
Defizit-Sachen Verantwortlichkeit übernehmen könnte,
0# soll Rothschild in Aussicht genommen sein.

Die „Norddeutsche Allgemeine" ist höchst ent-
1 1über die Privat-Enquete, welche der
r- lljAbg. Bebel veranstaltet, um Material für die

.Zr • b Arbeiterstatistik zu erhalten. Nach dem Wunsche

J des gouverncmentalen Blattes sollen die Bolks-

'-- 7 Vertreter nichtStatistiker, sondern Statisten sein.

* *

*

Bei einem Gebäude, welches man für lange Dauer errichten will, ist
die Hauptsache, daß es aus sicherem festen Grunde steht. Für das dauernde
Sozialistengesetz ist ein genügender Grund jedoch von keiner Seite
beschafft worden, sodaß man das versumpfte Terrain der Kartellparteien als
Basis nehmen muß.

* *

*

Daß Schnaps mit Wasser wird gefälscht —

Dem Reichstag will's lächerlich scheinen.

Natürlich, denn mancher Kartellbruder trinkt

Den Schnaps, der auf üppiger Tafel ihm winkt,

Verfälscht nur mit spanischen Weinen.

* *

*

Nachdem pessimistische Zeitungen sich nicht entblödet haben, unsere ost-
afrikanischen Kolonien als unfruchtbar und ungesund in schlechten
Geruch zu bringen, rächt sich Ostafrika, indem es uns Cigarren von selbst-
erbautem Kolonialtabak sendet, bei deren Berbrauch ganz Europa in

schlechten Geruch kommen wird.

* *

-X-

Die Kartellbrüder sind den Sozialdemokraten sehr dankbar für ihren
Antrag auf Abschaffung der Zölle, denn elftere werden bei der Abstimmung
über diesen Antrag zeigen, daß sie „Nein" sagen können, was bisher
bezweifelt wurde.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

>1

Sendschreiben des Philologen vr. Jronikus
an Herrn Wilhelm Liebknecht.

Sehr geehrter Herr! Da Sie Ihr treffliches Volksfremdwörterbuch
in einer neuen Auflage erscheinen lassen, so erlaube ich mir, Ihnen in
Betreff mehrerer Fremdwörter einige Winke zu geben.

Sie werden mir zugeben, daß von dem Gesetz der Veränderlichkeit,
welches die ganze Welt beherrscht, die Sprache keine Ausnahme macht. Die
Natur kennt eben keine Ausnahmegesetze und die Sprache ist auch ein Stück
Natur, Menschennatur. Demgemäß nehmen gewisse Wörter allmälig eine
Bedeutung an, welche der ursprünglichen geradezu entgegengesetzt ist.

Ich will Ihnen da gleich ein Beispiel anführen. Nehmen wir das
Wort „Ordnung". Dasselbe bedeutet ursprünglich einen Zustand, in dem
alles höchst angemessen, vernünftig, gesittet, ordentlich beschaffen ist oder her-
geht, jeder Theil an seinem rechten Platze und dem Ganzen harmonisch ein-
gefügt ist, weshalb zwischen den einzelnen Thcilen unter einander und zwischen
diesen und dem Ganzen die schönste Uebereinstimmung, der beste Einklang
herrscht. So in materiellem, so in moralischem Sinne. Nun betrachten Sie
sich einmal die Kreise, welche sich „Ordnungspartei", „Freunde der Ordnung"
nennen. Den wüthenden Konkurrenzkampf, den Zustand, in welchem, wie
ein Philosoph sagt, der Mensch gegen den Menschen ein Wolf ist (komc>
komiui lupus), das krasse Mißverhältniß zwischen Kapital und Arbeit, kurz
die ganze wirthschaftliche Misere, die Sie ja besser kennen als ich, heißt also
jetzt Ordnung. Diejenigen hingegen, welche diesem ewigen Krieg zwischen
Kapital und Arbeit und zwischen Kapital und Kapital ein friedliches Ende
machen, die Klassengegensätze ausgleichen und „Frieden auf Erden und den
Menschen ein Wohlgefallen" herbeiführen wollen, nennt man Feinde der
Ordnung. Sie sehen, geehrter Herr, daß das Wort Ordnung heutzutage
einen ganz anderen Sinn als früher hat und eigentlich Unordnung bedeutet.

Ich könnte noch mehr dergleichen anführen, wende mich aber nun zu
den Fremdwörtern. Nehmen wir das Wort „liberal". Dasselbe stammt
von liker, frei, und demgemäß bedeutet es freisinnig, freimüthig, wie
es in allen Fremdwörterbüchern verdeutscht ist. Dem entsprechend müßte
also nationalliberal zu übersetzen sein nationalfreisinnig oder
nationalfreimüthig. Würde aber nicht jeder mit Recht ausgelacht werden,
der die Nationalliberalen als Nationalsreisinnige bezeichnet? Ganz gewiß.
Daher empfehle ich Ihnen, in Ihrem Fremdwörterbuch zu sagen:

Liberal, unfreisinnig, des Freimuths und der Selbständigkeit ermangelnd,
gegen die Freiheit feindselig. Das Wort „national" hat ebenfalls diese
Verwandlung erdulden müssen. Heutigen Tages nennt man die karrierelustige,
titel- und ordenssüchtige Streberei, welche zu allem Ja sagt, was man oben
wünscht, national. Ich empfehle Ihnen daher, zu sagen:

National nennt man eine politische Richtung, welche sich jeder Er-
wägung über Vorschläge der Regierung grundsätzlich enthält.

Nun noch ein Beispiel: „Studiren". Es bedeutete einst: sich mit der
Wissenschaft eifrig beschäftigen. Betrachten Sie dagegen das Treiben unserer
Studenten auf den Universitäten, so werden Sie nicht umhin können, in
Jhrciu Fremdwörterbuch zu sagen:

Student, Studiren. Studiren heißt, mit Eifer und Fleiß kneipen,
fechten, das Gesicht mit Schmissen verzieren, bummeln und allerlei Utk treiben.

Bei diesen wenigen Beispielen will ich es bewenden lassen. Ich bin
überzeugt, daß Ihr Fremdwörterbuch, wenn Sie es in diesem Sinne durch-
führen, allgemein den größten Anklang finden wird.

Ihr ganz ergebenster

De. Jronikus.

Da kam auch der Wirth mit dem Rehziemer. Wie konnte ich jetzt in
Gegenwart des Fremden meine Zahlungsunfähigkeit eingestehen? Ich mußte
es auf eine nachträgliche Rücksprache ankommen lassen und nöthigenfalls
meine Uhr zum Pfände geben. So ließ ich mir den Braten schmecken und
das Glas auf's Neue füllen.

Während ich speiste, traten wieder mehrere Gäste ein, lauter behäbige
Gestalten. Sie warfen auf mich verwunderte, feindselige Blicke und riefen
den Bauer, der mir Gesellschaft leistete, zu sich. Nun begann ein leises,
eifriges Disputiren, mit Flüchen untermischt, und die Blicke Aller waren
fortwährend auf mich gerichtet, so daß kein Zweifel blieb — ich war der
Gegenstand der allgemeinen Entrüstung.

Der Bauer, der mich erst so freundlich begrüßt hatte, nahm schweigend
sein Bierglas weg und setzte sich in eine Ecke. Immer neue Gäste kamen,
jeder nahm sichtlich an meiner Person Anstoß. Ich rief den Wirth, aber
er hatte für mich keine Zeit mehr und je näher die andern Gäste, die schon
fast das ganze Zimmer füllten, mich umringten, desto schwieriger wurde es,
unter ihren beobachtenden, fast drohenden Blicken die heikle Angelegenheit
bezüglich der Zeche zu regeln. Unter diesen Umständen beschloß ich, einfach
dazubleiben, bis die Andern gehen würden und legte mir für alle Fälle
meinen Stock als Vertheidigungswaffe zurecht.

Die Andern hielten jetzt förmlich Kriegsrath. Ihre Gesichter waren
geröthet vor Aufregung. Dann trat unter allgemeiner Stille ein stämmiger,
protziger Gutsherr an mich heran und fragte kurz und gut, zu welchem
Zwecke ich hier anwesend sei.

„Jedenfalls zu demselben Zwecke, wie Sie", gab ich ruhig zur Antwort;
ich wollte damit die Meinung erwecken, als hielte ich noch ganz unbefangen
die Anwesenden für gewöhnliche biertrinkende Gäste des Wirthes.

Darauf fragte der Bauer, ob ich mich Herbeilaffen wolle, sofort das
Lokal zu verlassen und meiner Wege zu gehen.

„Fällt mir gar nicht ein", sagte ich.

Der Frager trat zurück. Neue Beratbung, die noch eifriger geführt

wurde. Dann kam wieder ein Abgesandter zu mir und erklärte mit süß-
saurer Miene, man wolle mir dreihundert Mark bezahlen, wenn ich sofort
das Lokal verlasse.

Ich war im ersten Augenblick sprachlos vor Erstaunen. Aber etwas
mußte ich doch autworten und so sagte ich auf's Gerathewohl:

„Ist zu wenig."

Der Sprecher ging ab und ich kam mir vor, wie in einem verzauberten
Walde. Erst freundliche Bewirthung, dann feindseliges Bedrohen, und nun
gar dieses Angebot! Ich hatte dafür keinerlei Erklärung, aber jedenfalls
wurde es Zeit, mich aus dieser unheimlichen Affäre zu ziehen.

Als der Parlamentär der Bauern wieder kam, bot er für mein Weg-
gehen fünfhundert Mark, die sogleich ausgezahlt werden sollten. Ich nahm
an, erhielt das Geld, zahlte stolz meine Zeche, grüßte die ärgerlich drein»
schauenden Bauern und ging unbehelligt meines Weges, ganz in Gedanken
versunken über das merkwürdige Abenteuer, das ich für eineu Traum gehalten
hätte, wenn nicht die schönen Hundertmarkscheine meinen sechszig Pfennigen
so stattlich Gesellschaft geleistet und alle finanziellen Sorgen der nächsten Zeit
von mir gebannt hätten.

Nach einigen Tagen erst erfuhr ich an der Hand einer Zeitungsnotiz
die prosaische Lösung des romantischen Räthsels von der verzauberten Wald-
schenke.

Der reiche Holzstand der Waldung war versteigert worden und die
Bekanntmachung hatte nur in einem wenig gelesenen Amtsblatte gestanden.
Dieser Umstand und der abgelegene Ort hatten es den nächsten Interessenten,
reichen Bauern der Gegend, ermöglicht, sich über Angebot und Zuschlag unter
Theilung des Gewinnes der billigen Erwerbung zu einigen. Ein einziger
Fremder, der sich auf eigene Faust an der Auktion betheiligt haben würde,
hätte die niedrigen Sätze der Koalition überboten und das Geschäft verdorben.
Einen solchen hatten sie in mir vermuthet, darum ließen sie sich meine Ent-
fernung ein Stück Geld kosten. Wie gut, daß sie von meinem Kassenbestand,
den sechszig Pfennigen, keine Ahnung gehabt hatten!
 
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