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Die wilde Schweiz und die Reptilien.

Das wilde Frankreich sitzt bereits Illnd wenn Ihr nicht die Spitzel ehrt,
Uns schrecklich auf dem Nacken, Und tvollt sie chikaniren,

Nun will uns auch die wilde Schweiz Dann wird gewiß der Krieg erklärt,
Noch an der Kehle packen! Die Schweiz zu annektiren.

Hat eingesperrt den Wohlgemuth, , Der Rigi, der wird abgesägt,
Verrathen durch ein Schneiderblut! ! Die Jungfrau in den Skat gelegt,
Ganz ohne Schani zu fühlen, Um unfern Zorn zu kühlen.

Hat ihn sie überhäuft mit Schmach, > Der Wohlgemuth wird Feldmarschall,
Ihn, der die gold'nen Worte sprach: , Es braust sein Ruf wie Donnerhall:
„Nur lustig weiter wühlen!" z „Nur lustig weiter wühlen!"

Drum lodert der Entrüstung Brand Und wer ein freier Mann will sein,
In der Reptilien Spalten: Und haßt den Sozialismus,

„Du sollst, verruchtes Schweizerland, Den sperrt man in die Schweinburg ein
" Lockspitzel heilig halten! ! Des deutschen Reptilismus.

DieLeutchen sind, merkt's Euch inBern, Dort wird das Krumme grad gemacht,
Des neuen Reiches Ruhm und Kern Des Mann's Gehirn tvird abgeflacht,
In ihren Hochgefühlen, Begeisterung zu kühlen,

Und edel ist es stets gemeint, Bis es zur Weisheit so gereift,

Wenn Einer auch zu hetzen scheint: Daß es den Geist des Worts begreift:
„Nur lustig weiter wühlen!" „Nur lustig weiter wühlen!"

Nehmt Belgien zum Muster doch,

Dort halten die Minister-
Gar wacker ihre Spitzel hoch
Wie Vettern und Geschwister,

Und selbst das Brüss'ler Parlament
Den Werth der Braven anerkennt
Aus Volksvertreterstühlen,

Dieweil es gar so lieblich klingt,

Wenn Polizei die Losung bringt:

„Nur lustig iveiter wühlen!"

Berlin, Mitte Juni, bei de jroße Hitze.

Lieber Jacob!

Ehr ick anfange loSzulegen, lieber Jacob, pump' mir mal erst Dein
Schnuppduch, damit ick mir den Schwitz abdrockene, denn, weeste, sowat,
wie in de letzte Zeit, bet hat man wirklich in Perleberg noch nie nich erlebt.
Js bei Eich ooch sone Bullenhitze jewesen? Hier war et einfach nich ans-
zuhalten, un mir wäre et manchmal wirklich ejal jewesen, wenn se mir jleich

Der Streik.

Zeitbild von Sigmund % rf| W ä V h.

|ei- Herr Hofrath Streber kehrte ans dem Reichstage, dem er an-
gehört, mit hoher Befriedigung zurück, denn er gehört zu den
Kartellbrüdern und hatte eifrig am Altersversorgungsgesetz mit-
^ gearbeitet. Er war sich bewußt, für die Weltgeschichte etwas ge-
than zu haben, denn er hatte an dem großen Werke seinen Antheil, das den
Arbeitern vom 70. Jahre an die großartige Rente von 24 bis 48 Pfennig
verschafft. Er war überzeugt, daß in dem sonst ziemlich unruhigen Deutsch-
land nunmehr eine allgemeine Zufriedenheit herrschen müsse, und er ging
deshalb bernhigt in die Sommerfrische, um sich von den anstrengenden par-
lamentarischen Arbeiten zu erholen. Seine Feinde sagten ihm nach, er leide
an beginnender Rückgratsverkrümmung in Folge der vielen Bücklinge, die
er vor dem Reichskanzler gemacht habe. Mit den Bücklingen mochte eö
seine Richtigkeit haben, aber die Verkrümmung — die war gewiß nur eine
ab sch euli ch e Verleumdung.

Der Herr Hofrath gehörte zu den „oberen Zehntausend" und da er
selbst ziemlich zufrieden war, glaubte er leicht, die anderen Leute müßten
dies auch sein, namentlich die Arbeiter, für die er seiner Meinnng nach so
viel gcthan. Die Erfahrungen, die er machen sollte, waren dazu angethan,
ihn eines Besseren zu belehren, wenngleich er ein wahrer Zufriedenhccks-
Apostel geworden war.

In einem kleinen romantisch gelegenen Orte des Thüringer Waldes
hatte der Herr Hofrath eine niedliche Villa angekauft, die für seinen Lieb-
ling, für seine einzige Tochter, bestimint war. Diese Tochter Emma sollte
einen jungen und verdienstvollen Gelehrten, den Doktor Ernst, heirathen,
die Hochzeit sollte in der Sommerfrische stattfinden und das junge Paar
sollte dann auf der Billa seine Flitterwochen verbringen. Der Herr Hofrath
und die Frau Hofräthin nebst Tochter reisten nach dem bezeichneten Orte im
Thüringer Wald ab, um die nothwendigen Vorbereitungen zu treffen.

Die hosräthliche Familie schwamm in Freude und Wonne, die nur
manchmal durch die heftigen Disputationen zwischen dem Hofrath und dem
künftigen Schwiegersohn etwas getrübt wurde. Doktor Ernst hatte nämlich
tiefe national- und sozialökonomische Studien gemacht und theilte keineswegs
die Anschauungen des Hofraths von der durch die Altersversorgung bewirkten
allgemeinen Zufriedenheit.

„Aber was wollen denn die Arbeiter noch, wenn der Staat so für sie
sorgt?" srug dann der Hofrath erregt.

„Das ist eben ein Jrrthum, daß für sie gesorgt sei", antwortete Doktor Ernst.

I bei Wißmann'n nach Afrika jeschickt hätten, denn heeßer wie hier, kann et
selbst in't wärmste Afrika nich sind. Ratierlich haben se denn ooch hier de
Brauereien halb leer jedrunken, un et is een wahret Jlick, bet der Schah
von Persien, der ja natierlich Berlin nich links liejen lassen konnte un wollte,
det der also een Muselmann is, un daher kecn Bier drinkt; wir hätten ihn
sonst, weeß Jott, nich mal mit'n orndlichet Jlas Bier unter de Arme jreifen
kennen. So benutzt dieser Potentat, um seinen inneren Menschen de richtije
Kontenanz zu jeben, aber blos de Wasserleitung; na, un ehr er de Tcjeler
Wasserwerke leer jedrunken hat, da kann ja noch een Weileken verjehen, so'n
Durscht hat nich mal een Perser.

Da wir jerade bei de Perser sind, so muß ick Dir schon jestehen, det
ick mir aus die Brieder nich bitte mache. Schon in't jraue Alterthum haben
se nie 'ne besonders scheene Rolle jespielt, ick kann mir wenigstens besinnen,
det se uns Jungens in de Schule mächtije Reiberpistolen von kerxes'n un
Darius'n erzählt haben, det die beeden Jeister oste mit ihr „herrlichet Kriegs-
heer" nach Eiropa rinjezogen jekommen sind, det se denn von de ollen Jriechen
aber immer beese wat uff de Mitze jekriegt haben, so det se schließlich froh
waren, wenn se mit blaue Oogen man blos Widder nach Persien zurück-
konnten. Ick erzähle Dir det etwa nich blos, lieber Jacob, damit ick mir
vielleicht dicke dhun kann, weil ick bei Feiffer'n in de Armenschule jejangen
bin, nee, mir macht det Spaß, wenn ick so sehe, wie sich so manchet in de
Welt verändert, Nach ikerpcs'n sehen de heitijen Perser jarnich aus, se haben
schwarze Zilinder ohne Krempen uff — die Dinger sehen wie olle Kochtöppe
aus - un in't Jesicht sind de Perser 'n bisken nachjedunkelt; im Jebrijen
roochen se Zijaretten wie bei uns de Jimnasiasten uff de Straße, 'n bisken
haben wir ja ieberhaupt in de letzte Zeit an Firstenbesuche jelitten, bei'n
Kecnig von Italien hatte sich der Majistrat janz barbarisch anjestrengt, indem
er hundcrtfuffzigdausend Märker for de Dekorirung von de Feststraße be-
willigte — de Hauptsache is ja, det wir det Jeld haben, denn wenn wir
et nich hätten, denn kennten wir et natierlich ooch nich ausjeben, oder wir
mißten et uns jrade pumpen, aber dazu is tut unser Majistrat doch 'n bisken
zu dickneesig, der dreht lieber 'it Happen an de Steierschraube, denn kriegt
er so bitte Jeld in, wie er braucht.

Doch wat nutzt det Räsonniren, wir arme Deibels missen ja doch blechen,
ob wir wollen oder itich, danach werden wir ieberhaupt nich jefragt: wenn
uits wat nich paßt, na, denn brauchen wir et ja blos zu sagen, in Plötzensee
is nöthigenfalls soville Platz, det se de Unzufriedenen da noch Dutzendweise
inspunnen können. De richtigen Leite kommen da ja so leichte nich hin, denn
die et verdienen, die machen jetzt ihren Bramsigen als Nationalheilige in de
Schweiz, da jeben se sich als „Sozialdemokraten vom reinsten Wasser" aus

un hinterher koinmt et denn raus, det de neien Nationalheiligen janz
jeweehnliche Bauernfänger sind, die blos insofern ihren Beruf verfehlt haben,
als se bei de Schweizer, die nachjerade nu ooch 'n Seefensieder uffjejangcn

„Wie so?"

„Weil diese angebliche Altersversorgung keine ist!"

„Aber", fuhr dann der Hofrath aus, „Sie sprechen schier wie ein So-
zialdemokrat? Wenn ich wüßte, daß Sie ein solcher wären, müßte mir um
meiite Tochter bange sein."

„Ich treibe gar keine Politik", sagte dann Doktor Ernst. „Aber vor-
der Wissenschaft kann diese Altersversorgung nicht bestehen."

So stritten sie hin und her und manchmal wäre es schier zum Bruch
gekommen, aber des Hofraths blondes Töchterlein liebte den schmucken und
stolzen Gelehrten mit seinem ernsten männlichen Wesen und dies Töchterlein
hatte noch immer seinen Willen durchgesetzt. Emma sagte kurz und bündig,
wenn man sie ihren Doktor nicht gutwillig heirathen ließe, so würde sie ihn
eben gegen den Willen ihrer Eltern heirathen. Der Hofrath gab immer
seufzend nach ans diese Drohung.

Die Hochzeit sollte in dem Hotel des Platzes, wo sich die Villa befand,
mit großer Pracht gefeiert werden. Um sich in der Gegend beliebt zu machen,
hatte der Hofrath die Ausstattung und Einrichtnng der Villa in der be-
nachbatten Stadt bestellt, wo auch viele Leute aus dein Orte selbst arbeiteten.
Schon seit Wochen waren Tischler, Tapezirer, Schneiderinnen, Stickerinnen,
Weißnäherinnen und andere Arbeitskräfte in großer Zahl thätig. Der Hcrr
Hofrath konnte sich's ja etwas-kosten lassen ....

Alles war in Ordnung; die Trauung sollte binnen drei Tagen statt-
finden, weil erst bis dahin Alles fertig sein konnte. Die Villa versprach ein
sehr behagliches Nest für die Neuvermählten zu werden, die keine Hochzeits-
reise machen, sondern sich gleich in dem Gebirgsdorfe mit seinen schattigen
Wäldern tmb kühlen Bächen für die heiße Zeit niederlassen wollten. —

Der Hofrath und sein Schwiegersohn in 8p6 saßen auf der Terrasse
des Hotels und besprachen die politischen Neuigkeiten.

„Die Zufriedenheit unter den Arbeitern nimmt zu, dank der weisen
Sozialpolitik der Regierung", sprach Herr Streber mit Würde und Salbung.
„Es steht in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung".

Doktor Ernst zuckte die Achseln.

„Wie so?"

„Nun", meinte der Hofrath, „der große Bergarbeiterstreik wäre auch
nicht so leicht zu Ende gekommen, wenn nicht die Altersversorgung ihre be-
ruhigenden Wirkungen geäußert hätte."

„Meinen Sie?" fragte der Doktor etwas ironisch.

„Allerdings."

„Sie werden aber noch Streiks genug erlebeit", warf der Doktor ein.

„Das glaube ich kaum", meinte der Hofrath. „Die Arbeiter sind nun
gegen Krankheit, gegen Unfälle und gegen Mangel im Alter staatlich ver-
sichert — was wollen sie noch?"
 
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