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618

«d- Die Schulmeister.

§u wandeln über des Schwarzwalds Höh'n
Lin Männlein macht' sich auf die Reise,
Ls wollt' auf die Welt hinunterseh'n
And däucht' sich gar klug und weise.

Ilnd als es durch Chäler und Höhen gewallt.
Vernahm es ein Rauschen und Ulingen,

Da sah es aus tiefem Kelsenspalt
Der Donau «Duelle springen.

Das Männlein trat zu dem Spalte hin
Und that mit der Hand ihn schließen
Und sprach: „wenn die Donau nun ausbleibt
Das wird sie dort sehr verdrießen!" sin Wien,

Man hat des klugen Männleins gelacht
In Wien und anderswo drunten
Und doch hat das Männlein Schule gemacht
Und Aachbeter viel gesunden.

Das ist der Schulmeister hochweise Schaar,
Sie las weder Rant noch Kichte,

Doch möchte nach Willkür sie lenken gar
Den mächtigen Strom der Geschichte.

Da hält sie fest auf die «Duellen die Hand
Und möchte sich selbst belügen,

Run würde im weiten deutschen Land
Der Strom der Wahrheit versiegen.

So stehen sie da in dieser Zeit
In ihrer dozirenden Haltung,
wenn man erinnert sich träumend heut
An Krankreichs Umgestaltung.

Da weiß so mancher Uathederheld
Zu reden von Greueln und Norden,
Als fei durch Aeunundachtzig die Welt
Aur ein Cohn wabohu geworden.

Sie malen den Teufel an die wand
Und nicht die großen Gedanken,

Die jetzt vor hundert Iahren gesandt
Hinaus das Volk der Kranken.

Man möcht' ein A wohl für ein U > So haltet nur immer die Donau zu.
Der Menschheit immer machen; Man wird darob doch nur lachen!

Nu sind wir mitten drin in de Saurejurkenzeit. Alle feine Leite haben
sich nu in ihre sojenannte Sommerfrische zurückjezogen, se verzehren nu ruhig
bet, wat Andere vor se verdient haben. Det nennen de feinen Leite, det se
sich nu von ihre Anstrengungen erholen, damit se in'n Herbst un Winter
Widder frische Kraft haben, um ihr miehselijes Jeschäft immer wieder von
vorn anfangen zu kennen. Mir is det janz Schnuppe, ick freie mir blos
immer, det unser Eener von sonne Krankheiten, die nothwendig in een deiert
Seebad jeheilt werden missen, jänzlich verschont bleibt. Davor is man na-
tierlich ooch keen Börseaner oder sonstijer Kommerzienrath; ick halte bitte
von den Jrundsatz: „Wohl dem, dem et schmeckt un hat nischt, der bleibt
bei juten Apptit."

Also Berlin is jetzt nich zu Hause. Alle Dage kannste in de Zeitungen
lesen, dieser oder jener Stadtrath oder Stadtverordneter, von den sein Dasein
Du sonst keene Ahnung hast, der is von seine anstrengenden Berufsjeschüfte
so sehr mitjenommcn, det er seinen Urlaub antreten mußte, Ratierlich lest
son'n Bruder det Morjens mit bitte Berjnüjen in seine Zeitung, er kommt
sich denn mächtig forsch vor und denkt, det ohne ihn de Welt nicht bestehen
kennte, nn det Berlin man janz froh sein muß, det et noch ville sonne brauch-
bare Menschen in seine Verwaltung beschäftijen kann. Mit de andere Be-

amten is et dieselbe Jeschichte. Det jetzt von'n Jeheimrath an bis zu'n
letzten Bogenkleckser; in'n Sommer arbeeten se alle nich jerne. De eenzijen
Menschen, uff die noch een Bisken Verlaß is, det sind bei uns die Zahlmeester.
Die haben immerzu alle Hände voll zu duhn, wie der letzte jroße Prozeß,
von den Du jewiß ooch jeheert hast, jezeigt hat.

Na, de beeden Armeelieferanten haben se ja nun jlicklich injespunnt, un
det schad ja nun ooch weiter nischt; wir sind nu wenigsten von den Jrrthum
befreit, det bei uns de Zahlmeester nich jespickt werden. Frieher hieß et
immer, det sowat blos in Rußland Vorkommen kann, aber nu is et raus-
jekommen, det bei uns noch manche Leite denken: „Nehmen is selijer wie
Jeben". Du weest doch, lieber Jacob, frieher, wie mal een Abjeordneter
in 'n Reichsdag von de Feldwebels anfing, dat die Brieder jejen nen'n
juten Happen-Pappen u. s. w. nich janz unempfindlich sein sollten, na, da
war wat jefällig, da wollte sich der preiß'sche Kriegsminister de Haare einzeln
ausreißen, un am Liebsten hätte er den Abjeordneten jleich drei Dage bei
Vater Phillipp'n jeschickt, — un nu muß man sowat erleben, det in 'ne
öffentliche Jerichtsverhandlung, wo jeder Kriminalstudent zuheeren kann, un
wo det in alle Zeitungen breet jetreten wird, det also in 'ne öffentliche
Jerichtsverhandlung festjestellt wird, dat een eenziger Zahlmeester mit eenen
eenzigen Lieferanten an eenen Dag achtunzwanzig Mark fufzig verfriestickt
hat. Det is natierlich 'ne Schande, aber noch jemeener is et, det Leite, de
offenkundig zu de Reichsfeinde jeheeren, darieber nu noch ihre Jlossen machen

Der Jäger von Herrenwinkel.

Erzählung aus bewegter Zeit von Hans Fl NX.

f erenissimus, der Reichsgraf Franz XXXV. von Herrenwinkel, waren
ein sehr gestrenger Herr und regierten das dreieinhalb Ouadrat-
meilen umfassende Gebiet seiner Väter mit selbstherrlicher Gewalt.
Er hatte im vorletzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts das
Szepter seiner Vorfahren ergriffen und gedachte in deren Geiste auch weiter
zu regiren, während sich in Frankreich die große Umwälzung abspielte. Da
des Reichsgrafen Gebiet auf dem linken Rheinufer nahe der französischen Grenze
lag, so war zu befürchten, daß die neuen Ideen auch in das Herrenwinkel'sche
Gebiet getragen würden. Franz XXXV. erließ eine sehr ernsthafte Proklama-
tion an seine Unterthanen, worin ihnen anbefohlen wurde, sich von dem
Freiheitsschwindel fern zu halten und etwa ankommende französische Emissäre
sogleich und unnachsichtlich den Behörden zu überliefern. Verbreiter des fran-
zösischen Schwindelgeistes, wie es in der Proklamation hieß, behielt sich der
Reichsgraf selbst vor, als oberster Kriminalrichter seines Staates, persönlich
abzuurtheilen und strenger Strafe an Leib und Gut zu überantworten. Es wurden
Haselstöcke in beträchtlicher Anzahl in Salzwasser eingeweicht bereit gehalten,
was über die Art der zu erwartenden Strafen hinreichend Aufschluß gab.

Die Bevölkerung der Reichsgrafschaft Herrenwinkel verhielt sich mäuschen-
still, aber die große Umwälzung in Frankreich ließ sich leider auch durch die
Proklamation Franz XXXV. nicht in ihrem Lauf aushalten, was dem Reichs-
grafen nicht wenig Sorge machte, denn man befürchtete schon in den ersten
Jahren der Revolution einen Einfall der Franzosen und die Herrenwinkel'sche
Armee bestand außer dem obersten Kriegsherrn nur aus einem General, zwei
Lieutenants, drei Unteroffizieren und fünfzehn gemeinen Soldaten.

Franz XXXV. hatte auch seine jovialen Stunden und beschäftigte sich
in der freien Zeit, die ihm seine Regierungsgeschäfte übrig ließen, viel damit,
dem schönen Geschlechte seine Aufmerksamkeit zu widmen. Seine Hofdamen
waren ihm langweilig geworden mit ihrem gezierten Wesen und ihrer Etiquette;
er sehnte sich nach dem frischen Liebreiz der Natürlichkeit.

Sinnend ritt er eines Abends, nur von seinem Leibjäger begleitet, durch
den kleinen Wald, der sein Jagdgebiet bildete. Am Ausgange des Waldes
lag ein Försterhaus. Der Reichsgraf verspürte einen quälenden Durst und
hielt an, um sich von dem Förster einen Trunk Wein verabreichen zu lassen.
Der Förster war zufällig abwesend; statt seiner trat ein junges Mädchen
vor die Thüre und fragte mit einem zierlichen Knix nach Serenissimi Begehr.

Dorette, des Försters einzig Töchterlein, war ein sehr hübsches Mädchen
mit feurigen und schelmischen schwarzen Augen, dichten schwarzen Locken,
rosigen Wangen, schlanker Figur und flinken zierlichen Bewegungen.

Franz XXXV. war überrascht; er hatte bisher das heranblühende
Mädchen nicht beachtet. „Recht hübsch geworden, Dorette", sagte er schmeichelnd,
„recht hübsch geworden! Ei, ei!"

Und er faßte sie schmunzelnd unter dem Kinn.

Dorette erröthete. Dann knipte sie und sprang zurück, um Wein zu holen.

„Kredenzen, kredenzen!" sagte der Reichsgraf.

Verwirrt über die ungeahnte Ehre nippte Dorette von dem feurigen
Pfälzer Wein. Der Fürst stürzte den Trank hinab und wollte die Tändelei
fortsetzen, als sein Blick auf einen jungen Mann in Jägertracht fiel, der
aus dem Haus getreten war und die Szene finster betrachtete. Es war eine
kräftige Gestalt mit energischen Zügen.

„Wer ist er?" rief der Reichsgraf.

„Halten zu Gnaden, Serenissimus, Kaspar Rau, Forstgehilfe", antwortete
der Jäger mit einer tiefen Verbeugung.

„Warum so finster dreinschauen, wenn sein Landesherr kommt? Spinnen
gefressen, he?"

„Halten zu Gnaden", stammelte der Jäger, „ich" . . .

„Werd' Ihn wohl unter meine Soldaten stecken müssen, dainit Er ordonnanz-
mäßiges Gesicht macht!"

Der Leibjäger lacht pflichtschuldigst über den landesherrlichen Witz, der
Forstgehilfe aber ward bleich und Dorette mit ihm. Sie sahen sich bestürzt
an, während der Reichsgraf dem jungen Mädchen eine Kußhand zuwarf und
davon ritt. Er sah sich mehrmals nach dem Forsthaus um, aber Dorette
und der Jäger waren nicht mehr zu sehen.

„Der Kerl ist genüß ihr Galan", murmelte grimmig Franz XXXV.
„Für ihn ist solche Rose nicht gewachsen" . . .

Von diesem Tage an ritt der Reichsgraf täglich an dem Försterhause
vorüber. Aber Dorette zeigte sich nicht. Sie saß betrübt in dem kleinen
Gärtchen hinter dem Hause, neben ihr Kaspar, der Forstgehülfe.

„Er hat Dir seine Gnade zugedacht", sagte Kaspar zornig.

Sie umschlang ihn. „Ich bleibe Dein", sagte sie. „Weder List noch
Gewalt werden mich Dir abwendig machen."

Er lächelte trüb und trotzig.

Denselben Abend kam der Reichsgraf wieder angeritten. Der Förster
begrüßte ihn vor dem Hause. Aber der Reichsgraf ließ sich nicht abspeisen.
Er fragte nach Doretten. Sie mußte wohl oder übel kommen.

„Reizende Waldblume, hä hä!" sagte das verliebte Oberhaupt der Graf-
 
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