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ZUM Tro st. ^

o oft ich noch zu Büchern der Geschichte
Geflüchtet mich in stiller, tiefer Nacht,

Der ernsten Sammlung tragischer Gedichte,

Wie sie kein Träumer brennender erdacht,

Hab' ich die Blätter umgewandt mit Beben
Und scheu geschlossen das gewicht'ge Buch,

Und mir gesagt: „In jener Zeit zu leben,

War Tod und Grauen, stumme Qual und Fluch!"

Wie dumpf und schaal, wie flach und geistverlassen,
Wie klanglos bleiern und doch eisenhart
Erschien mir dann das Treiben auf den Gassen,
Die ganze arme, karge Gegenwart!

Wenn matt und trag der Menschheit Pulse schlagen,
Als wage nie sie wieder rasche Fahrt,

Lebt in v er gang 'neu nur und künft'gen Tagen,
Wer sich ein freies MannOherz bewahrt.

' Dann murrst du wohl: „Und soll ich stumm vergehen
In dieser Tage dumpfem Moderduft?

Soll nie mein Fuß auf Felsenzinnen stehen,

Soll nie ich athmen reine Höhenluft?

Sie durften doch in ewig-schönen Tagen
Dem Sturme bieten die entblößte Brust,

Das Leben jauchzend in die Schanze schlagen
Und noch im Tode schlürfen Werdelust."

Und wieder dann, gewaltig angezogen,

Gerührt, begeistert und zum Kampf gefeit,

Hab' ich die Blätter ungestüm durchflogen,

Die mir erzählt von einer großen Zeit.

Vom Sieg gekrönt sah ich ein treues Streben,

Die Ketten brachen, Mauern stürzten ein;

Da sagt' ich mir: „In solcher Zeit zu leben,

Muß wunderbar, muß eine Wonne sein."

Wohl ist es schön, im Sturm ein Ziel erreichen,
Das Tausende vor dir umsonst begehrt;

In kleiner Zeit nicht einen Fuß breit weichen —
Ist es drum minder eines Kranzes werth?

Und doch, wie nahe auch verwandt der andern,
Mit der iin Geist zu Kampf und Sieg du fliegst,

I Mußt du in Treue deine Zeit durchwandern
Und bist nicht treu, wenn mürrisch ab du biegst.
Sieh um dich her und nicht blos auf die Todten,
Die das Geschick zu schön'rem Tod geweiht;

Du wurzelst doch in deiner Heimat Boden,

Du wurzelst doch zunächst in deiner Zeit!

Hast du verdient, in großer Zeit zu leben,

Dann sei getrost und stolz und murre nicht;

Die Tage wechseln — ewig ist das Streben;

Sei nur getreu und thue deine Pflicht!

Dein Bett umschwebt in mitternächt'ger Stunde
Der Bannerträger auserwählte Schaar,

In Brust und Stirn die heil'ge Todeswunde
Und naß von Blut der Schläfen greises Haar;
Vom Rad zerbrochen und zermalmt die Rippen,
An die das Herz so ungeduldig schlug,

Und doch ein stolzes Lächeln auf den Lippen
lind um den Mund den Ueberwinderzug!

Berlin, in'n September.

Lieber Jacob!

Nanu sind wir drin in'n Herbst. Du brauchst zwar nicht zu jlooben,
bet ick so dämlich bin un weeß nich, bet nach'n Kalender der Herbst noch
lange nich anjefangen hat. Darufs siebt et nehmlich bei uns Berliner nischt;
wat in'n Kalender steht, is uns janz Pomade: wenn der Stralauer Fischzug
vorbei is, denn is et Herbst, un wem bet nich paßt, der kann seine schief-
beenigen Wege sehen.

Habt Ihr denn ieberhaupt schon wat von'n Stralauer Fischzug jeheert?
Wenn nich, na, denn kann ick Eich blos sagen, bet Ihr noch verschiedene
Millimeter hinter de Russen seid. Der Stralauer Fischzug is nehmlich bet
beriehmteste Volksfest, wat De Dir blos denken kannst — jewesen. Frieher,
da zog Allens, wat blos loofen konnte raus un verjniegt waren de Leite
wie 'n Mops in'n Dischkasten, un de löbliche Polizei hatte so jut wie jar-
nischt zu duhn, heechsteus, bet se mal Eenen de Nacht ieber in't Stralauer
Spritzenhaus inspunnten, wo er denn davor sorgen konnte, bet de Wanzen
sich mal orndtlich satt drinken konnten. Damals halfen sich de Berliner ihre
Knoblanten mit 'ne Schrippe runter, der Mostrichtopp stand bei'n Budiker
uff'n Disch, un Jeder nahm sich so ville wie er wollte. Jeder hatte seine
Kimmelpulle in de Tasche, und joß sich janz nach sein Bedürfniß Eenen öder-
em Paar hinter de Binde. Eiwei, un bet kann ick Dir sagen, Jacob, seine

Sachen waren da zu sehen! Riesendamen brachten se Dir ufs't Tapet, da
kannste heit zu Dage sechs Jeheimrathsdechter draus machen; un Karnickels
mit finf Beene, die waren jarkeene Seltenheit. Un wilde Indianer aus de
Rehberje, die lebendige Tauben aßen, un Nejer, die se eijens for den Stralauer
Fischzug schwarz anzestrichcn hatten. Wenn et natierlich regnete, denn wär-
et windig mit die Brieder, weil denn de Farbe nich jut hacken wollte un
die Afrikaner absärbten — aber bet schad'te nischt, de Berliner waren da-
mals noch nich so uff bet Auslünd'sche versessen wie heite.

In de Neizeit is bet Alles anders jeworden. Jetzt haben de Gensdarmen
Revolver, un von bet Spielzeich halten se in Berlin nich ville. Wo so Eener
mit seine blanke Pickelhaube steht un sich uff seinen Säbel un Revolver stitzt,
da is et jrade, als ob ooch jleich dabei 'ne Tafel anjebracht is, wo druff
steht: „Hier is et strengstens verboten, sich zu amiesiren!" Darum kommt
ooch keeu richtiget Berjuiegen bei uns uff. De kleene Belagerungszustand
der kickt de moderne Jesellschaft aus alle Knopplecher, un wenn sich Dreie
zu'n jemiethlichen Skat irgendwo niederlassen, denn mechte am liebsten ooch
jleich een Jriener oder Blauer de Neese rinstechen, ob de Karten nich viel-
leicht verbotene Druckschriften sind. Darum kann bet Volk bei uns keene
richtigen Feste feiern, denn een verninftiger Mensch der seht schon jarnich
dahin, wo er unter Polizeiaufsicht sein Bier drinken muß. Ick sor meine
Person brauche nu so'n Amüsement schon lange nich, ick finde aus unsere

Die Sozialistenvrrschwörung ;u Paris.

ndlich sind wir in der Lage, einen authentischen Bericht über die
geheimen Abinachungcn zu geben, welche die Sozialdemokraten
auf dem Pariser Kongresse getroffen haben. Alle Blätter haben
von diesen Abmachungen gesprochen, aber ihr Inhalt ist nicht in
die Oeffentlichkeit gekommen. Selbst Herr Pindter weiß nichts Näheres.
Wir sind dagegen in den Stand gesetzt worden, das Protokoll zu veröffent-
lichen, das der berühmte Geheimpolizist Schnüffelmann über die geheime
Sitzung der deutschen Sozialdemokraten persönlich anfgenommen hat. Wie
wir in den Besitz dieser Protokolle gelangt sind, das bleibt vorläufig unser
Geheimniß. Hoffentlich wird Niemand die Aechtheit dieser äußerst wichtigen
Schriftstücke bestreiten.

Herr Schnüffelmann schreibt:

„Paris, den 14. Juli 1889.

Geehrter Herr.!

Das war ein heißer Tag und ein anstrengender Dienst, viel beschwer-
licher als damals, da ich noch Zwanziggroschenjnnge in Berlin war und
die Restaurationen zu beobachten hatte, in denen die sozialdemokratischen
Abgeordneten verkehrten. Sie wissen, daß ich mir damals schon eine vor-
treffliche Ausbildung im Auskundschaften erworben hatte, die noch mehr er-
weitert worden wäre, wenn ich nicht inzwischen das Unglück gehabt hätte,
wegen Kleptomanie eine Zeit lang von meinem Posten entfernt zu werden.
Nachdem ich von dieser Krankheit glücklich geheilt worden, habe ich mich
wieder mit ganzem Eifer meinem Dienste gewidmet, der mit dem Staats-
wohl in so engem Zusammenhang steht.

Also ich erfuhr — ich erfahre Alles, da ich zu den Leuten zähle, die
das Gras wachsen hören — daß die deutschen Sozialdemokraten zuerst auf
der höchsten Plattform des Eiffelthurms eine geheime Sitzung abhalten
wollten. Aber Bebel war sehr gegen dieses Projekt, denn man fürchtete,
der Eiffelthurm könne eine so gewichtige Versammlung mit so folgenschweren
Beschlüffen nicht tragen. Man erinnerte sich, welche Erschütterung schon
die maßvollsten Reden der Sozialisten in Deutschland hervorzubringen pflegen,

und da schien die Sache gefährlich. Nur Herr Hoffmann aus Chemnitz, der
gerne vom Eiffelthurm herab eine Ansprache an die ganze französische Nation
gehalten hätte, trat energisch für den Eiffelthurm ein; übrigens wurde die
Sitzung auf dem Eiffelthurm mit allen gegen drei Stimmen abgelehnt. Man
machte hierauf eine Reihe der verschiedensten Vorschläge; das Pantheon, das
Louvre, die Kommuuardenmauer und die Taverne des Bagno kamen in
Vorschlag, aber man fand dies Alles unzweckmäßig. Auch ein Seinedampfer
ward vorgeschlagen, aber zu theuer befunden. Endlich kam der Bergmann
Dieckmann, der so viel unter der Erde schon gewühlt hat, auf den Gedanken,
die geheime Sitzung unterirdisch abzuhalten und zwar bei Nacht, da ja am
Tage der Schein-Kongreß stattzufinden habe. Er schlug vor, das nächste
Mal in den tiefen Katakomben von Paris zusammenzukommen! Sein
Vorschlag fand jubelnde Zustimmung, denn die Herren dachten natürlich
nicht an mich. Es tauchten auch Bedenken auf wegen der Atmosphäre, die
aber von dem Delegirten für Köln beseitigt wurden mit dem Bemerken, daß
er täglich im alten heiligen Köln die Breite Straße zu passiren habe und
daß gegen die dort aufsteigenden Düfte die Pariser Katakomben ein Luft-
kurort seien. Was hat er wohl mit den Düften der Breiten Straße ge-
meint? Er kann doch nicht an die dort erscheinende „Kölnische Zeitung"
gedacht haben! Doch genug — man beschloß also, am 15. Juli Nachts
10 Uhr die geheime Sitzung in den Katakomben zu halten, und zwar in
Kanalarbeiter-Uniform. Liebknecht versicherte, der Pariser Gemeinderath
werde die erforderliche Anzahl Kanalarbeiter-Uniformen gerne unentgeltlich
hergeben. Diese Vorverhandlungen wurden in einer sehr schwer verständ-
lichen Zeichensprache geführt und machten mir viele Schwierigkeiten. Ich
hoffe auch, daß man mir für meine Anstrengungen einen namhaften Vor-
schuß bewilligt. Morgen mehr.

Unterthänigst ergebener Schnüffelmann."

„Paris, den 15. Juli 1889.

Geehrter Herr.!

Hurrah, das große Werk ist gelungen. Aber unter welchen Anstreng-
ungen! Ich muß mir schon ausbitten, daß man endlich einsieht, wie ein
rechter „Geheimer" sich sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen
 
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