Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 4.1930

DOI Heft:
Nr. 46 (16. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44979#0122
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
12

WELT KUNST

Jahrg. IV, Nr. 46 vom 16. November 1930

(Fortsetzung von Seite 1)
Die Kunst der Primitiven
Entwicklung Picassos nicht zu denken. Aber sie
blieb hier doch nur eine unter anderen Pe-
rioden. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so
kraß, steht es um die „Brücke‘'-Kiinstler, —
weder bei Heckel noch bei Kirchner ist seit
langer Zeit etwas vom Einflüsse der Natur-
völker zu spüren.
Dennoch hat das Primitivistische eine be-
deutsame Rolle gespielt. Und seine Wichtig-
keit wächst ungemein, wenn wir den Kreis der
bildenden Künste überschreiten und unsern
Blick der Musik und dem Tanz der lebten
Jahrzehnte zuwenden. Hier ist das eigentliche
Feld der modernen Primitivistik zu suchen, —
mit musikalischen Rhythmen hat sich Afrika
die künstlerische Weltherrschaft erobert.

Immerhin, — auch wenn der primitivistische
Einschlag bei den bildenden Künsten relativ
gering und auch kurzlebig war, auf zwei Ge-
bieten hat er überaus anregend gewirkt: er
hat der kunstgeschichtlichen Forschung
ein neues großes Feld eröffnet und besonders
die Sammler neu angeregt, — die Aus-
wirkungen auf dem Kunstmarkt haben
wir in Aufsäßen über „Die Kunst der
Primitiven und der Marktwert“ in der „Kunst-
auktion“ Jahrg. III, Nr. 51/52, und Jahrg. IV,
Nr. 2, erörtert.
Es erscheint uns dabei charakteristisch, daß
von allen Naturvölkern fast ausschließlich

der Typologie vorhanden, auf die wir als
Kulturmenschen — wenigstens vorderhand —
anscheinend nicht Verzicht leisten können.
Wie ungemein stark diese Vielfältigkeit
der Ausdrucksarten ist, kann man freilich erst
ermessen, wenn man sich eingehend mit den
Arbeiten der verschiedenen Stämme befaßt.
Aber werfen wir einen vergleichenden Blick
auf die Abbildungen des neuesten französi-
schen Prachtwerkes, das von Fr. P o n -
cetton und A. Portier im Pariser Ver-
lage Albert Mora n ce unter dem Titel „Les
Arts sauvages“ (I. Bd. Afrigue; II. Bd. Oceanie)
herausgegeben ist und das in zwei Bänden
je 73 bzw. 79 Originalgröße Abbildungen natur-
völkischer Schnißereien, Gelbgüsse, Bast-
stoffe und kunstgewerblicher Arbeiten vor-
legt, so ist der Eindruck eben ein ganz an-
derer als man ihn zu-
erst erwartet. An die
Stelle der präsump-
tiven Einförmigkeit tritt
eine reich gegliederte
und vielfältig ge-
schichtete Kunstwelf
großen Stils.
Das gilt in hervor-
ragendem Maße für
die Südsee. Wie
könnte es auch anders
sein, wo jede Insel-
gruppe, ja fast jedes
Eiland seinen selbstän-
digen Stil ausgebildet
hat, — Isoliertheit muß
ja gleichsam zwangs-
weise zu selbständigem
Stilgefühl und eigener
Formprägung führen.
Vergleichen wir etwa
die Kunst Neu-See-
lands (Abb. Seite 13)
mit der Hawais (Ab-
bildung oben) oder gar
der Neu-Guineas (Abb.
Seite 13), so ist die
Verschiedenartigkeit
der Typen sehr stark
und sie wächst in be-
unruhigendem Maße,
wenn wir neben diese
reich verschnörkelten
oder wild erregten
Figurationen eine so
edelgroße Linienform
stellen, wie wir sie in
den Schüsseln der Ad-
miralitäts-Inseln (Ab-
bildung unten) vor uns
haben.
Daß diese und viele
andere ozeanische
Werke dennoch eine
relative Einheit bilden,
geht erst aus ihrer
Konfrontation mit
afrikanischen
Stücken hervor. Aber
auch hier, wo die Ab-
geschlossenheit ohne
den Akzent wie bei
der ozeanischen Insel-
flur ist, — welche Verschiedenartigkeit von
Form und Ausdruck! Bei der Maske der
Balumbo (Abbildung oben), die hier den
Pongwe zugeschrieben wird, ist alles auf ein-
fache, wenig bewegte Großflächigkeit einge-
stellt, mit dem Ausdruck der Feierlichkeit und
der Grazie. Wie anders die robuste Stärke der
Bapindi-Maske (Abbildung nebenst.) mit
ihrer ergreifenden Mimik des Sterbens! Und
dann wieder der Maskenaufsaß aus dem
Westsudan (Abbildung Seite 13) mit seiner
fast restlosen Überführung der ursprünglichen
Antilopenfigur ins Ornamentale. — Alle drei
Stücke geben eine ganz verschiedene Form-


Pongwe - Ma ske
Sammlung Stephen-Chauvet
Aus A. Portier und Fr. Poncetton: „Les Arts sauvages (Afrique)“
Masque Pongwe
Coll. Stdphen Chauvet
D'apres A.Portier et Fr.Poncet.ton: „Les Arts sauvages {Afrique)"
Mask of the Pongwe
In the collection of Stephen Chauvet
After A. Portier and Fr. Poncetton: „Les Arts sauvages {Afrique)“


Admiralitäts-Inseln, Große Schale
Holz — Smlg. Stephen-Chauvet
Aus F. Poncetton und A. Portier: „Les Arts sauvages (Oceanie)“
Iles de V Amiraute, Grande coupe
Bois — Coll. Stephen-Chauvet
D’apres F. Poncetton et A. Portier: „Les Arts sauvages {Oceanie)“
Isles of Admirality, Great bowl
Wood — In the collection of Stephen-Chauvet
After F. Poncetton and A. Portier: „Les Arts sauvages {Oceanie)“

Afrika und Ozeanien die Hauptgebiete
waren, denen sich Sammler und Forscher zu-
wandten. Es ist das kaum der etwaigen über-
ragenden Ausdruckskraft der Kunstwerke bei-
der Riesengebiete zuzuschreiben, — es gibt
nordwestamerikanische Arbeiten, die von un-
vergleichlicher Kraftfülle sind. Ausschlaggebend
erscheint uns vielmehr die Vielseitigkeit und
Vielfältigkeit, die bei aller Einheitlichkeit des
Grundtyps den afrikanischen und ozeanischen
Werken innewohnt, während in den anderen
Gebieten eine weit größere Gleichförmigkeit
herrscht. Es ist eben dort jene Differenzierung

und Lebenshaltung. Wohl bilden sich in Afrika
keine so krassen Gegensäßlichkeiten heraus,
wie sie etwa zwischen den distanziertesten
Grenzgebieten Polynesiens: Oster-Insel und
Neu-Seeland, herrschen. Der gemeinsame
Grundzug tektonischer Grundart schließt sie
enger zusammen, als jene Inselkunst Ozea-
niens, die im allgemeinen malerisch eingestellt
ist und nur selten, wie eben bei der Oster-
insel, zur tektonischen Form hinneigt.
Und so wird man, je intensiver man sich
mit der Kunst der Primitiven beschäftigt, eine
immer größere Differenzierung, einen immer

größeren Reichtum an Varianten feststellen
können, — die Reproduktionen des französi-
schen Werkes geben ein außerordentlich gutes
Anschauungsmaterial.
Das ist für die sammlerische Beschäftigung
mit diesen Dingen von großem Belang. Denn
nichts würde ihr so sehr Abbruch tun, wie die


Hawai, Kopf des Kriegsgottes
Augen aus Muschelschalen — Trocadero-Museum
Nach F. Poncetton u. A. Portier: „Les Arts sauvages (Oceanie)”
Ile Hawai, Tete du dieu de la guerre
Les yeux sont faits de coquilles — Musee du Trocadero
D’apres F. Poncetton et A. Portier: „Les Arts sauvages {Oceanie)"
Hawai, Head of the god of war
The eyes are made of Shells — Trocadero Museum
After F. Poncetton and A. Portier: „Les Arts sauvages {Oceanie)"

Meinung, daß man es mit einer uniformen
Kunstübung zu tun hätte. Dann wäre das
sammlerische Interesse bald erschöpft. Gewiß
ist die Grundhaltung der afrikanischen und
ozeanischen Werke von größerer Einfachheit,
als wir sie in Europa gewöhnt sind. Aber auch
dort entfaltet sich eine Kunst, deren Typen
sehr verschieden sind, und Typen, deren reale
Prägung individualisierte Meister-
schaft ausdrückt. E. v. S.

Ausgrabungen
am Kapitol
Von unserem römischen Korre-
spondenten

nicht im Herzen der Stadt lag, sondern das
junge Rom gegen den Tiber hin mit einem
Steilabhang abschloß. G. R. (Rom)

LITERATUR
Bücher
Die Jllustrationen zu Dantes
Göttlicher Komödie
hat Prof. Dr. Paul Schubring, der Hanno versehe
Kunstgelehrte, jetzt in einem größeren Werke (im
Wiener Amal'thea - Verlage) veröffentlicht. Auf
Grund jahrzehntelanger Studien in den Bibliotheken
Europas behandelt er die Bilder aus dem 14.—16. Jahr-
hundert, mit denen dieser im Kampfe mit der poli-
tischen Zerfahrenheit seiner Zeit so „modern“ wir-
kende Dichter illustriert worden ist, und kann z. B.
Dantes mythologische Hinweise aus pompejanischen
Wandbildern belegen.
Kataloge
The fine Art Society, London
Das Londoner Antiquariat The fine Art S o -
c i e t y hat zwei bemerkenswert schöne Kataloge her-
ausgebracht. Der eine Katalog enthält Kupfer- und
Holzschnitte al t e r M e i st e r , der andere ist spe-
ziell den Werken Rembrandts gewidmet.
Der erste Katalog beginnt mit einer Alde-
grever-Sammlung, darunter einer vollständigen Serie
der großen Hochzeitstänze (Nr. 19). Nach guten
Drucken von Altdorfer und Jost Amman wird unter
Nr. 36 ein hervorragender anonymer Holzschnitt aus
dem 15. Jahrhundert „St. Christophorus“ genannt.
Das schönste Blatt von B. Beham ist der zweite Zu-
stand von dem Porträt König Ferdinand I. (Nr. 49).
Hans Sebald Beham nimmt allein die Nummern
51—122 ein. ■— Vorzügliche1 Stücke finden wir von
Lucas Cranach d. Ä. Die wichtigsten Holz-
schnitte sind „Adam und Eva.“ in einem Probedruck
mit Rand (Nr. 153), der Hl. Christophorus (Nr. 156)
und die „Sauhatz“ (Nr. 157). — Die umfangreiche
Reihe der Werke Albrecht Dürers beginnt mit der
kleinen Passion (Nr. 158) in einem besonderen Quali-
tätsdruck. Dann folgt u. a. „Der verlorene Sohn“,
der Hl. Antonius lesend (Nr. 188); die „Buße des hl.
Christophorus“ und die „Melancholie“ (Nr. 196) in
einem hervorragendem Probedruck. Das kostbarste
Stück des Katalogs ist das hervorragende Exemplar
von „Ritter. Tod und Teufel“ aus der Sammlung
C. E. von Liphardt (Nr. 207). Nach einer Reihe von
Werken von van Dyck werden auch frühe und gute
Ausgaben von Goya genannt (Nr. 263 ff.). Reich
vertreten ist weiter besonders Lucas van Leyden; ihm
folgt Mantegna mit zwei großen Kostbarkeiten der
„Bacchanten-Giruppe mit der WeinpreBBe“ (Nr. 314)
und der „Bacchantengruppe mit dem Silen“ (Nr. 315).
Eine Kostbarkeit hohen Ranges ist der zweite Zu-
stand von Israel van Meckenems „Liebespaar“
(Nr. 320). Von Adrian Ostade sind fast 50 Arbeiten
aufgeführt (Nr. 335-383).
Der den Werken Rembrandts gewidmete übri-
gens besonders hübsch gedruckte kleine Katalog
nennt, unter Nr. 2 ein fabelhaftes Exemplar vom
HundertguldenMatt auf Japan. Im übrigen sind nach
den Angaben des Preiszettels gerade aus dem Rem-
brandt-Katalog schon viele Blätter verkauft; unter
den noch vorhandenen ist aber noch so viel schönes
und wertvolles Material, daß dem Sammler die Be-
schäftigung mit dem Katalog sicher nicht nur Freude
machen, sondern auch Nutzen bringen wird.

Der Stadtbauplan des Gouverneurs von
Rom sah neben der Befreiung des Marcell-
theaters, die jeßf als vollendet bezeichnet
werden kann, auch die Freilegung der Seite
des Kapitols vor, die
man unter dem Namen

Cilhofer & Ranschburg, Wien
Der Katalog 231 des Wiener Antiquariats Gilhofer
& Ranschburg verzeichnet eine nicht sehr umfang-
reiche, aber kostbare Sammlung seltener Werke über
Botanik, Blumen, Forstwesen usw., wobei das Schwer-

des Tarpejischen
Felsens kennt. An
diesen Abhang lehn-
ten sich alte Häuser,
die jedoch, wie man
Ursache zu glauben
hatte, auf sehr alten
Fundamenten standen.
Die Systematisierung
der gesamten Zone
verlangte Beseitigung
dieser Häuser. So
konnte man in einer
Gegend der ewigen
Stadt, die wohl als das
Herz der Urbs zu be-
zeichnen ist, bei dieser
Gelegenheit auf sehr
wesentliche Funde rech-
nen. Die Freilegung
des Tarpejischen Fel-
sens, geleitet von An-
tonio Munoz, hat denn
auch recht wesentliche
Resultate gehabt. Sie
bewiesen, daß die „hei-
lige Zone“ rund um
das Kapitol während
der republikanischen
Zeit unbebaut geblie-
ben ist und erst die
Kaiserzeit Architektur


gefunden worden

am Fuß der Kapitol-
tempel zuließ. Außerdem
freilich ist ein Mauerrest
aus der Königszeit ge-
funden worden, der
wahrscheinlich zu einer
alten Befestigung der
Siadfburg gehört hat.
Von den Gebäudegrup-
pen ist die bedeut-
samste am Teatro Marcello
Der Palast stammt aller Wahrscheinlichkeit nach
aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert.
Seine Wände sind mit Fresken dekoriert, von
denen namentlich eine Wand außerordentlich
gut erhalten ist. Auf ihr ist eine Männer-
figur in phrygischer Müße zu sehen, die eine
Frauengestalt bei der Hand führt. Munoz
glaubt in der Darstellung eine Befreiung der
Andromeda zu sehen. Sehr interessant sind
ferner die Marmorimitationen, die sich in dem
Hause am Marcelltheater befinden und die
täuschend rote und gelbe Steine nachahmen.
Unter der abgerissenen Kirche von S. Andrea
in Vincis ist ein Häuserrest zum Vorschein
gekommen, der offensichtlich nach dem
Freskenthema von einer vorchristlichen
Familie bewohnt war. Die Freilegung des
Tarpejischen Felsen hat ferner noch einen
anderen sehr interessanten Aspekt: man er-
kennt jeßt die Stadtgrenzen in der Königszeit
und der frühesten Zeit der Republik, erkennt
das Wesen des Kapitols, das damals sicher

Bapindi-Maske
Sammlung Georges Salles
Aus F. Poncetton und A. Portier: „Les Arts sauvages (Afrique)“
Masque Bapindi
Coll. Georges Salles
D’apres F. Poncetton et A.Portier: „Les Arts sauvages {Afrique)"
Mask of the Bapindi
In the collection of Georges Salles
After F. Poncetton and A.Portier: „Les Arts sauvages {Afrique)"

gewicht auf den farbig illustrierten . Werken hegt.
Hierunter nennen wir in erster Linie -Seltenheiten
wie Duhamel du Monce a u s „irarte des Ar-
bres et Arbustes“ in sieben Bänden mal 49g farbigen
Kupfertafeln, eines der -schönsten werk© über diesen
Gegenstand (1801—25). . "n/. aJ®seiben Verfassers
..Traite des arbres frult,er® “ zweiten Auflage
von 1835. Eines der seltensten Werke über ameri-
kanische Botanik stellt das in zwölf Exemplaren mit
264 Original-Aquarellen hergestelllte, um 1780 in Wien
erschienene J. J a c q u i n , „Se-
lectarum istärpium Amencaliarum historia“ dar, das
neben den VAen4n^Pt?o^en von B- J- R, e d 0 u t e,
..Les Roees“(3 Bande, .1817—:24) und „Les Liliacöes“
(8 Bände, ly1'- lb)> beide bei Didot in Paris mit far-
bigen Tafe-n gedruckt, die größten Kostbarkeiten
dieses Kataloge» bilden dürfte. Wir nennen ferner
noch B ulliardis „Herbier de la France“ von 1784,
— k-a t e ® b y s prachtvolles, mit 220 handkolorier-
ten tafeln alisgestattetes Werk über „The natural
history of Carolina, Florida usw.“ von 1754, — den
Hortus Indicus Malabaricu«“ von Rheede van
?r a UL. e.n 3 1 e i n und Oase ar ins (Amster-
dam, 1672—1703), — Thorntons .„New Illustration
of the sexuell System of Linnaeus“ (London, 1807—09)
und V entenats „Jardin de la Malmaison“ (Paris,
1803—04), um nur durch wenige Stichproben das her-
vorragende Material, das dieser Katalog anbietet, zu
kennzeichnen.
 
Annotationen