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I. Vorgeschichte.

Am Anfang der italienischen Malerei steht Giotto. Er ist es, der
der Kunst die Zunge gelöst hat. Was er malte, spricht, und seine Er-
zählungen werden zum Erlebnis. Im weiten Umfange menschlicher
Empfindung hat er sich ergangen, biblische Geschichten erzählt er und
Legenden der Heiligen, und überall ist es lebendiges, überzeugendes
Geschehen. Das Ereignis ist in seinem Kern erfasst und die Scene
wird uns vorgeführt mit dem ganzen Eindruck auf die Umgebung, so,
wie sie sich zugetragen haben musste. Giotto übernimmt die gemüt-
volle Art, die heiligen Geschichten auszudeuten und mit intimen Einzel-
zügen auszustatten, wie man es damals von den Predigern und Dichtern
aus der Richtung des heiligen Franz zu hören bekam; allein nicht in
dem poetischen Erfinden, sondern in dem malerischen Darstellen hegt
das Wesentliche seiner Leistung, in dem Sichtbarmachen von Dingen,
die bis dahin in Bildern niemand hatte geben können. Er hatte das
Auge für das Sprechende in der Erscheinung und die Malerei hat viel-
leicht nie ihre Ausdrucksgrenze auf einen Anlauf weiter hinaus-
geschoben als damals. Man darf sich Giotto nicht vorstellen nach Art
eines christlichen Romantikers, als ob er die Herzensergiessungen eines
Franziskaner Klosterbruders in der Tasche getragen hätte und seine
Kunst erblüht wäre unter dem blossen Anhauch jener grossen Liebe,
mit der der Heilige von Assisi den Himmel auf die Erde zog und die
Welt zum Himmel machte. Er war kein Schwärmer, sondern ein Mann
der Wirklichkeit; kein Lyriker, sondern ein Beobachter; ein Künstler,
der sich nie zu hinreissendem Ausdruck erhitzt, der aber immer aus-
drucksvoll und klar spricht.

An Innigkeit der Empfindung und an leidenschaftlicher Kraft
wird er von andern übertroffen. Giovanni Pisano, der Bildhauer, giebt
in seinem sprödem Material mehr Seele als Giotto, der Maler. Die Ge-
schichte der Verkündigung lässt sich im Geiste des Jahrhunderts über-
haupt nicht zarter geben, als wie sie Giovanni auf dem Relief der .
Pistojeser Kanzel erzählt hat, und in seinen leidenschaftlichen Scenen
 
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