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Die klassische Kunst.

spürt man etwas von dem heissen Atem Dantes. Allein gerade das
war sein Verderben. Er überstürzt sich im Ausdruck. Das Körperliche
wird von dem Empfindungsausdruck förmlich aufgezehrt und die Kunst
musste verwildern.

Giotto ist ruhiger, kühler, gleichmässiger. Unendlich populär, weil
jeder ihn verstehen konnte. Das Volkstümlich-Derbe liegt ihm näher
als das Feine, und immer sucht er seine Wirkung in der Deutlichkeit,
nicht in der schönen Linie. Es ist sehr auffallend, von den melodiösen
Linienführungen der Gewänder, von dem rhythmisch-schwungvollen
Gehen und Sich-Tragen, was damals Stil war, hat er fast keine Spur.
Neben Giovanni Pisano ist er schwer und neben Andrea Pisano, dem
Meister der Erzthüre am Baptisterium von Florenz, ist er einfach hässlich.
Wenn Andrea bei der Heimsuchung die zwei Frauen sich umarmen
lässt und noch eine begleitende Dienerin dazu stellt, so ist das wie ein
Gesang, Giotto mit seinem Lineament ist sehr hart, aber — ausser-
ordentlich ausdrucksvoll. Die Linie seiner Elisabeth (Padua, Arena), die
sich beugt und dabei der Maria ins Auge sieht, vergisst man nicht;
bei Andrea Pisano bleibt nur die Erinnerung an ein schönes Wogen
und Zusammenklingen von Kurven.

Der Höhepunkt von Giottos Kunst liegt in den Malereien von
S. Croce. In der Klärung der Erscheinung ist er hier weit über seine
früheren Arbeiten hinausgekommen und in der Komposition geht er
auf Wirkungen aus, die ihn — der Intention nach — mit Meistern des
16. Jahrhunderts in eine Linie bringen. Seine unmittelbaren Nachfolger
haben ihn hier nicht mehr verstanden. Vereinfachung und Konzen-
tration wird wieder preisgegeben, man will vor allem reich und viel-
fältig sein, die Bilder sollen viel Tiefe haben und werden dabei wirr und
unsicher in der Erscheinung. Da kommt mit dem Beginn des 15. Jahr-
hunderts ein neuer Maler, der mit gewaltigem Ruck die Dinge einrenkt
und die sichtbare Welt bildlich festlegt: Masaccio.

Man sollte in Florenz nicht versäumen, unmittelbar hintereinander
Giotto und Masaccio 2 . sehen, uA des Unterschieds in aller Schärfe
bewusst zu werden. Der Abstand ist ungeheuer.

Vasari hat über Masaccio ein Wort, das trivial klingt: Er habe
erkannt, sagt er, dass die Malerei nichts anderes sei als die Nach-
ahmung der Dinge, wie sie sind.1) Man kann fragen, warum das nicht
ebenso gut von Giotto hätte gesagt werden können? Es liegt wohl

b Vasari, le vite (ed. Milanesi) II. 288.
 
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