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Vorgeschichte.

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ein tieferer Sinn in dem Satz. Was uns jetzt so natürlich scheint, dass
die Malerei den Eindruck der Wirklichkeit wiedergeben solle, war es
nicht immer. Es gab eine Zeit, wo man diese Forderung gar nicht
kannte, deswegen nicht, weil es von vornherein unmöglich schien, auf
der Fläche die räumliche Wirklichkeit allseitig zu reproduzieren. Das
ganze Mittelalter hat so gedacht und sich mit einer Darstellung begnügt,
die nur Anweisungen auf die Dinge und ihr Verhältnis im Raum ent-
hielt, aber durchaus nicht mit der Natur sich vergleichen wollte. Es
ist falsch, zu glauben, ein mittelalterliches Bild sei jemals mit unseren
Begriffen von illusionärer Wirkung angesehen worden. Gewiss war es
einer der grössten Fortschritte der Menschheit, als man anfing, diese
Beschränkung als ein Vorurteil zu empfinden, und an die Möglichkeit
glaubte, trotz ganz verschiedener Mittel in der Wirkung doch etwas zu
erreichen, was dem Eindruck der Natur gleichkäme. Einer allein kann
solche Umbildungen nicht vollziehen, auch eine Generation nicht. Giotto
hat manches gethan, Masaccio aber hat soviel dazugefügt, dass man
wohl sagen kann, er zuerst sei durchgebrochen zu der »Nachahmung
der Dinge, wie sie sind«.

Er überrascht uns zunächst mit der vollkommenen Bewältigung
des Raumproblems. Zum erstenmal ist das Bild eine Bühne, die unter
Festhaltung eines bestimmten Augenpunktes konstruiert ist, ein Raum,
in dem Menschen, Bäume, Häuser ihren bestimmten, geometrisch nach-
rechenbaren Platz haben. Bei Giotto klebt noch alles zusammen, er
lässt Kopf über Kopf erscheinen, ohne sich genügende Rechenschaft zu
geben, wie die Körper Platz fänden, und die Architektur des Hinter-
grundes ist ebenfalls nur angeschoben als eine unsicher schwankende
Coulisse, die im Grössenverhältnis gar keinen realen Bezug zu den
Menschen hat. Masaccio giebt nicht nur mögliche, bewohnbare Häuser,
die Räumlichkeit der Bilder ist klar bis in die letzten Landschaftslinien.
Er nimmt den Augenpunkt in der Höhe der Köpfe, die Figuren auf
der ebenen Bühne haben also'Mle gleiche Scheitelhöhe; mit welcher
Festigkeit wirkt nun so eine Reihe von drei Profilköpfen hintereinander,
die etwa durch einen vierten Facekopf abgeschlossen wird! Schritt
für Schritt werden wir in die Tiefe des Raumes hineingezogen, alles
schichtet sich klar hintereinander und will man die neue Kunst in ganzer
Glorie sehen, so gehe man nach S. M. Novella und sehe das Fresko
der Dreifaltigkeit, wo mit Hilfe der Architektur und unter Ausnützung
der Überschneidungen vier Zonen nach der Tiefe mit stärkster Raum-
wirkung entwickelt sind. Giotto erscheint daneben völlig flach. Seine
 
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