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Vorgeschichte.

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scheint ein Bild wie die Madonna in der Felsgrotte im Zusammenhang
florentinisch-quattrocentistischer Madonnen!

Alles ist darin bedeutend und neu. Das Motiv an sich wie die
formelle Behandlung. Die Freiheit der Bewegung im einzelnen und
die Gesetzlichkeit der Gruppenfügung im ganzen. Die unendlich feine Be-
lebung der Form und die neue malerische Lichtrechnung, wo es offen-
bar darauf abgesehen war, den Figuren durch den dunkeln Grund eine
starke plastische Wirkung zu geben und zugleich die Phantasie in
ungeahnter Weise in die Tiefe zu ziehen.1) Der durchschlagende Ein-
druck für den Fernanblick ist die körperhafte Wirklichkeit und die
Intention, mit der Dreieckgruppierung gesetzmässig zu wirken. Das
Bild hat einen tektonischen Rückgrat, der etwas ganz anderes bedeuten
will als die blosse Symmetrie, wie sie die früheren auch haben. Hier
ist mehr Freiheit und zugleich mehr Gesetzlichkeit und das Einzelne ist
schon wesentlich aufgefasst in seinem Zusammenhang mit dem Ganzen.
Eben das ist Cinquecento-Art. Lionardo zeigt früh die Spuren davon.
Es giebt im Vatikan einen knieenden Hieronymus von ihm, mit dem
Löwen. Die Figur ist als Bewegungsmotiv merkwürdig und von jeher
gewürdigt worden, man darf aber auch fragen, wer neben Lionardo
den Löwen in der Linie so mit dem Heiligen zusammen empfunden
haben würde. Ich wüsste keinen.

Das einflussreichste unter Lionardos Frühbildern ist die Unter-
malung zu einer Anbetung der Könige gewesen (Uffizien). Das Werk
ist um 1480 entstanden und berührt noch altertümlich durch die Vielheit
der Gegenstände. Man merkt da noch den Quattrocentisten, den das
Mannigfaltige ergötzt, aber eine neue Empfindung spricht doch aus
der Art, wie die Hauptsache hervorgehoben ist. Auch Botticelli und
Ghirlandajo haben die Anbetung der Könige so gemalt, dass Maria
zentral in einem Kreise sitzt; regelmässig aber kommt sie dabei zu
kurz. Lionardo ist der erste, der das Hauptmotiv dominierend heraus-
zuarbeiten versteht. Wie die äusseren Figuren als starke, schliessende

J) Das Louvrebild der Madonna in der Felsgrotte ist dem Londoner Exemplar so weit
überlegen, dass es unbegreiflich ersch ,t, wie man an seiner Originalität hat zweifeln können.
Der zeigende Finger des Engels ist nicht schön, aber echt quattrocentistisch in der archaischen
Deutlichkeit der Gebärde. Die Weglassung der Hand im Londoner Bild ist im Sinne des
späteren Schönheitsgefühls sehr begreiflich, indessen würde Lionardo, wenn er die neue
Redaktion besorgt hätte, die dadurch entstehende Lücke jedenfalls zu füllen gewusst haben:
jetzt ist dort trotz der vorgeschobenen Schulter des Engels ein Loch im Bild. Zeichnung und
Modellierung sind cinquecentistisch verstärkt und vereinfacht worden, wobei viel Feinheit ver-
^ loren gegangen ist, so seelenvoll der neue Ausdruck des Engels wirken mag.
 
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