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Die klassische Kunst.

Das Massenknäuelbild war die eigentlich »moderne« Aufgabe
damals. Man wundert sich, dem Schlachtbild nicht öfter zu begegnen.
Die Raffaelschule ist die einzige, aus der ein grosses Werk der Art
hervorgegangen ist und die »Constantinsschlacht« vertritt in der Vor-
stellung des Abendlandes wohl überhaupt das klassische Schlacht-
gemälde. Die Kunst ist hier von der blossen Episode zur Darstellung
einer wirklichen Massenaktion vorgeschritten, allein wenn das berühmte
Bild dadurch sehr viel mehr giebt als Lionardo, so ist es doch andrer-
seits mit einer so empfindlichen Unklarheit behaftet, dass man die Ver-
rohung des Auges und den Verfall der Kunst schon deutlich kommen
sieht. Raffael hat mit dieser Komposition gewiss nichts zu thun gehabt.

Lionardo hat keine Schule in Florenz hinterlassen. Es haben alle
von ihm gelernt, aber sein Eindruck wurde doch übertönt durch den
Michelangelos. Es ist nicht zu verkennen, dass Lionardo eine Ent-
wicklung ins Grossfigurige durchgemacht hat und dass die Figur auch
für ihn schliesslich alles bedeutet. Immerhin würde Florenz eine andere
Physiognomie haben, wenn es lionardesker hätte sein können. Was von
Lionardo in Andrea del Sarto oder in Franciabigio und Bugiardini fort-
lebt, bedeutet im ganzen nicht viel. Eine direkte Fortsetzung seiner
Kunst findet man nur in der Lombardei. Allerdings eine einseitige.
Die Lombarden sind malerisch begabt, aber es fehlt ihnen durchaus der
Sinn für das Architektonische. Den Bau des Abendmahles hat keiner
je verstanden. Die Gruppenbildung und die Bewegungsknäuel Lionardos
waren hier ebenfalls fremdartige Probleme. Die lebhafteren Tempera-
mente werden in der Bewegung gleich wirr und wüst, die andern sind
von einer ermüdenden Einförmigkeit. Es zeigt den ganzen Charakter,
dass man hier die Enthauptung Johannes’ als Stilleben behandeln durfte:
das abgeschlagene Haupt ruht reinlich in einer Achatschale (Bild von
Solario im Louvre, 1507). Das ist undenkbar in Florenz. Ebenso aber
auch die Krudität, mit der in einem andern Falle ein blosser Arm
ohne zugehörige Figur hinter dem Rahmen hervorkommt, um das ab-
geschlagene Haupt der Salome zu übergeben. Das hat Luini gemacht
(Mailand, Borromeo). In solchen Gegenden ist kein Boden für die
grosse Kunst.

Man hielt sich in der Lombardei an die weibliche Seite in Lionardos
Kunst, an die passiven Affekte und an die feine, fast nur gehauchte
Modellierung jugendlicher, namentlich weiblicher Körper. Lionardo war
 
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