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Michelangelo. Frühwerke.

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Und nun ist merk-
würdig : jede Wendung, jede
Biegung des Gelenkes hat
eine heimliche Gewalt. Ganz
geringe V erschiebungen wir-
ken mit einer unbegreiflichen
Wucht und dieser Eindruck
kann so gross sein, dass man
nach der Motivierung der
Bewegung gar nicht fragt.

Es liegt in Michel-
angelos Art, die Mittel rück-
sichtslos bis zu den letzten
möglichen Wirkungen an-
zuspannen. Er hat die Kunst
mit ungeahnten neuen Effek-
ten bereichert, aber er hat
sie arm gemacht, indem er
ihr die Freude am Einfachen
und Alltäglichen nahm. Und

er ist es, durch den daS Michelangelo. Pieta.

Disharmonische in die Re-
naissance hineingekommen ist. Mit der bewussten Verwendung der
Dissonanz im grossen hat er einem neuen Stil, dem Barock, den Boden
bereitet. Doch davon soll erst in einem späteren Abschnitt die Rede
sein. Die Werke aus der ersten Hälfte seines Lebens (bis 1520) sprechen
noch eine andere Sprache.

1. Frühwerke.

Die Pieta ist das erste grosse Werk, nach dem wir Michelangelos
Absichten beurteilen können. Es ist jetzt barbarisch aufgestellt in einer
Kapelle von St. Peter, wo weder die Feinheit der Einzelbehandlung
noch der Reiz der Bewegung zur Wirkung kommt. Die Gruppe ver-
liert sich in dem weiten Raum und ist so hoch hinaufgeschoben, dass
der Hauptanblick gar nicht zu gewinnen ist.

Zwei lebensgrosse Körper in Marmor zur Gruppe zusammenzubinden,
war an sich etwas Neues und die Aufgabe, der sitzenden Frau einen
erwachsenen männlichen Körper auf den Schoss zu legen, von der
 
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