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IV. Raffael.

i483—152°-

Raffael ist in Umbrien aufgewachsen. In der Schule Peruginos
hatte er sich vor anderen ausgezeichnet und war auf die gefühlvolle
Weise des Meisters so vollkommen eingegangen, dass nach Vasaris
Urteil Bilder von Lehrer und Schüler nicht zu unterscheiden seien.
Vielleicht hat überhaupt nie mehr ein genialer Schüler so ganz mit
der Art des Lehrers sich erfüllt wie Raffael. Der Engel, den Lionardo
auf Verrocchios Taufbild malte, fällt sofort als etwas Eigenes auf,
Michelangelos Knabenarbeiten vergleichen sich mit gar nichts anderem,
Raffael dagegen ist in seinen Anfängen von Perugino nicht abzulösen.
Nun kommt er nach Florenz. Es war der Moment, als Michelangelo
die grossen Thaten seiner Jugend schon alle vollbracht, den David
hingestellt hatte und an den badenden Soldaten arbeitete, während
Lionardo indessen seinen Schlachtkarton entwarf und in der Mona Lisa
das nie gesehene Wunder wirklich machte, er bereits auf der Höhe des
Lebens und im Besitze eines ganzen glänzenden Ruhmes, jener der
designierte Mann der Zukunft, am Eingänge der Mannesjahre. Raffael
war kaum über die zwanzig hinaus. Was für ein Schicksal durfte er
neben diesen Grossen für sich erwarten?

Perugino war am Arno ein geschätzter Maler; man konnte dem
Jüngling sagen, er werde mit seiner Weise immer ein Publikum finden;
man durfte ihn ermuntern, er könne ein zweiter, vielleicht ein besserer.
Perugino werden: nach einer höheren Selbstständigkeit sahen seine
Bilder nicht aus.

Ohne eine Spur von dem florentinischen Wirklichkeitssinn, einseitig
in der Empfindung, befangen in einer Manier der schönen Linie trat er
jedenfalls mit der geringsten Aussicht in den Wettbewerb der grossen
Meister ein. Aber er brachte ein Talent mit, das ihm eigentümlich
war: die Fähigkeit aufzunehmen, die innere Wandlungsfähigkeit. Er
legte eine erste grosse Probe davon ab, indem er den umbrischen
 
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