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i3§

Die klassische Kunst.

sehr gut, was Raffael eigentlich geleistet und was für Widerstände er über-
wunden hat. Die Zerstreuung des Ganzen und das Zurücktreten der
Hauptfigur sind Schwächen, die genau so in den anfänglichen Entwürfen
zur Disputa vorhanden sind und die erst zuletzt überwunden wurden.
Die klare Entwickelung der sitzenden Heiligen dagegen machte Raffael
von Anfang an keine Schwierigkeit. Er teilte den Geschmack für das
Übersichtliche und das bequeme Nebeneinander mit Perugino, während
die Florentiner alle dem Beschauer zumuten, eng zusammengeschobene
Kopfreihen auseinanderzuklauben.

Anders schon fühlt man sich an gesprochen von der Erscheinung
der Maria vor dem hl. Bernhard (1506; Florenz, Akademie): das erste
Bild, das der Mönch Bartolommeo malte. Es ist kein angenehmes Bild
und die Erhaltung lässt viel zu wünschen übrig, aber ein Bild, das Ein-
druck macht. Die Erscheinung ist in unerwarteter Weise gegeben.
Nicht mehr die feine, scheue Frau Filippinos, die an das Pult des
frommen Mannes herantritt und ihm die Hand aufs Buch legt, sondern
die überirdische Erscheinung, die herab sch webt, in feierlich wallendem
Mantel, begleitet von einem Chor von Engeln, gedrängt und massen-
haft, alle erfüllt von Andacht und Anbetung. Filippino hatte Mädchen
gemalt, die halb scheu und halb neugierig den Besuch mitmachen;
Bartolommeo will nicht, dass der Beschauer lächle, sondern dass er an-
dächtig werde. Leider ist die Hässlichkeit seiner Engel gross, sodass
die Andacht doch nicht ganz zustande kommt. Der Heilige empfängt
das Wunder mit frommen Staunen und dieser Eindruck ist so schön
gegeben, dass Filippino daneben gewöhnlich und selbst Perugino in
seinem Münchener Bild gleichgültig aussieht. Das weisse Gewand,
schleppend, massig, hat ebenfalls eine neue Grösse in der Linie.

Die landschaftliche und architektonische Begleitung ist noch
jugendlich unsicher. Der Raum im ganzen eng, so dass die Erscheinung
drückt.

Drei Jahre später leuchtet die Inspiration, aus der der Bernhard
hervorgegangen, noch einmal mit mächtigen Flammen auf in dem Bilde
Gottvaters mit zwei knieenden weiblichen Heiligen (1509; Lucca,
Akademie), wo die in Anbetung hingenommene Katharina von Siena
das alte Motiv in grösserer, leidenschaftlicherer Form wiederholt. Die
Wendung des Kopfes (im verlorenen Profil) und das Vorschieben des
Körpers verstärken dabei den Eindruck im selben Sinne wie die Be-
wegung des emporgeblähten dunkeln Ordenskleides eine höchst wirk-
same LTmsetzung der inneren Erregung in bewegte äussere Form ist.
 
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