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I. Die neue Gesinnung.

Benozzo Gozzoli hat im Camposanto von Pisa unter anderen alt-
testamentlichen Geschichten auch die »Schande Noahs« zu erzählen
gehabt. Es ist eine rechte Quattrocento-Erzählung geworden, breit und
ausführlich, wo man das Behagen des Erzählers merkt, uns die Ent-
stehung des Rausches bei dem Patriarchen mit aller Umständlichkeit
darzulegen. Weit ausholend fängt er an: Es war ein schöner Herbst-
nachmittag und der Grosspapa nahm zwei Enkelkinder und ging mit
ihnen die Weinlese zu besehen, und wir werden zu den Knechten und
Mägden geführt, die die Trauben lesen, in Körbe füllen und in der
Bütte zerstampfen. Es ist überall lebendig von munterm Getier, an
dem Wässerchen sitzen die Vögel und dem einen Kleinen macht ein
Hündchen zu schaffen. Der Grosspapa steht da und geniesst die heitere
Stunde. Indessen ist der neue Wein gepresst und wird dem Padrone
zum Probieren gereicht. Die eigene Frau bringt den Becher und sie
hängen alle an seinen Lippen, während er das Getränk prüfend auf der
Zunge behält. Das LTrteil war günstig, denn nun verschwindet der
Erzvater in einer hinteren Laube, wohin man ihm ein grosses Fass
mit vino nuovo gestellt hat, und dann geschieht das Unglück: sinnlos
betrunken liegt der alte Mann vor der Thüre seines schönen bunt-
gemalten Hauses und hat sich unanständig entblösst. In profundem
Staunen besehen sich die Kinder die seltsame Wandlung, während die
Frau zunächst dafür sorgt, dass die Mägde von der Stelle kommen.
Die verdecken sich mit den Händen das Gesicht, aber ungern, und eine
sucht durch die gespreizten Finger doch wenigstens noch ein Stück
des Schauspiels zu erwischen.

Eine solche Erzählung kommt nach 1500 nicht mehr vor. Knapp
und ohne Nebendinge wird die Scene in wenigen Figuren entwickelt.
Man giebt keine Schilderungen, sondern den dramatischen Kern der
Geschichte. Man duldet nicht das genremässige Ausspinnen, die Sache
wird ernst genommen. Man will den Beschauer nicht amüsieren, sondern
 
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