Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
vorwort

V

machen, daß ein einziger originnler Druck non Dürer für die Erkenntnis seiner
Kunst unendlich viel wichtiger sein kann als die oollständige Folge in verfnlschten
Nachbildungen. Don einem seineren künstlerischen Verhältnis zu Dürers Graphik
aber darf erst da gesprochen werden, wo die Empfindung für die Qualität ver-
schiedener Abzüge wach geworden ist. Auf solche Distinktionen einzugehn, liegt
außerhalb der hier gestellten Aufgabe.

Man nennt Dürer gern den deutschesten der deutschen Künstler und gefällt sich
in der Vorstellung, wie er zu Nürnberg gesessen habe in seinem Hause am Tier-
gärtnertor, geruhsam vor sich hinarbeitend nach der Väter Weise, mit recht
innigem Behagen an der heimatlichen Erde und überzeugt, daß die Kunst nur
herzlich und wahr sein müsse, die äußere Schönheit aber gleichgültig sei. Die
Romantiker haben diese Vorstellung aufgebracht. Sie ist salsch. Wenn irgend
einer sehnsüchtig über die Grenzen des Landes hinanssah nach einer fremden
großen Schönheit, so ist es Dürer gewesen. Durch ihn ist die große llnsicherheit
in die deutsche Kunst gekommen, der Bruch mit der Tradition, die Orientierung
nach italienischen Mustern. Es war nicht Zufall oder Laune, daß Dürer nach
Jtalien ging: er ging, weil er dort fand, was er brauchte, aber es rächt sich
immer, wenn man einem andern in die Hefte sieht und abschreibt. Er hnt
schließlich die Ausgleichung zwischen Eigenem und Fremdem gefunden, aber
wie viel Kraft ist dabei vertoren gegnngen!

Dürers Leben fiel in eine Zeit des Übergangs. Es war alles dazu angeta::,
die natürliche Empfindung in ihrer Entwicklung zurückzuhalten oder aus dem
Geleise zu bringen. Die Darstellung mußte erst auf die moderne Basis des
körperlichen und räumlichen Sehens emporgehoben werden; am Horizont er-
schien das Bild eines nenen Stils und warf seine Schatten vorzeitig beun-
ruhigend über das Land, ein Stil der antiken Formen, mit Betonung der
Breitenlinie und der Vorliebe siir Rundung und volles Volnmen; uud gegen-
über den menschlichen Dingen war das Gefühl ebenfalls in einer llnnvand-
lung begrissen : es bereiteten sich jene großen Erschütterungen vor, aus denen
die Reformation hervorgegangen ist. Jtalien hat in seiner Kunst eine Entwick-
lung ähnlicher Art auch gehabt, aber dort kommt das Neue natürlich und all-
mählich, nicht stoßweise und als ein Gegensatz rvie in Deutschland, das von
einem fertigen Vorbild überrascht wird. Rassael und Tizian haben Klassiker
werden können, weil alles vorbereitet war, als sie erschienen: bei Dürer war
 
Annotationen