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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 1.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.3677#0200
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192 LITERARISCHE ANZEIGE.

men und auch in Länder verpflanzten, wo sie bisher wenig oder gar nicht verbreitet war, ist richtig,
hat aber mit der Erfindung selbst nichts zu thun. Wenn nun bei den Cathedralen vorzugsweise die
Ausbildung des Chors wichtig ist, wo bekanntlich gar nicht gepredigt wird (der Cülner Dom verdankt
seinen Ruhm fast ausschliesslich dem fast allein vollendeten Chore), so mögen unsre Leser das Resultat
beurtheilen, zu dem unsern Verfasser seine Deduction führt: „Die Kanzel hat den neuen Kirchenbau-
styl, den gothischen Bau, geschaffen." Wenn Dr. Fobchhammer daran anschliessend die Bettel- und Pre-
digermönche als Vorläufer der Reformatoren bezeichnet, die Predigt selbst als das dem protestantischen
Gottesdienste vorzüglich eigenthiimliche Element, und daher zuletzt schliesst, dass keiner der früheren
Style sich besser für denselben eignet, als eben der gothische, so widerspricht er sich und allem früher
Gesagten sogleich wieder, indem er das Gebiet der Kanzel in neuzubauenden Kirchen zu vergrössern
wünscht und als Muster einer solchen die Liebfrauenkirche in Trier nennt. Was er an diesem gewiss
hochzustellenden Bauwerke besonders für den Zweck der Predigt hervorhebt, ist grade dasjenige, was sie
von allen anderen gothischen Kirchen unterscheidet: ihre nicht basilikenartig langgestreckte, vielmehr ihre
centrale Polygonform, deren Adoption, ausser dem Genie des Architekten, noch besondere Gründe, theils
lokaler, theils nachahmender Art, veranlassten. Hiermit aber widerspricht der Verfasser zugleich Allem,
was er über die Erfindung der Gothik, natürlich in ihren mustergiltigen Ilaupibauwerken, durch Vermitt-
lung der auf weite, durch Pfeiler möglichst wenig unterbrochene Räume angewiesenen Prediger- und Bet-
telorden gesagt halte. Wie wenig die Mehrzahl der gothischen Kirchen diesen Anforderungen entspricht,
lehrt der Augenschein überall, und der Verfasser selbst liefert dergleichen Beispiele, indem er thatsäch-
lich berichtet, wie in der Jacobi- und Kalharinenkirche zu Hainburg, der Nicolaikirche zu Kiel und un-
zähligen anderen grosse Stücke von den Pfeilern weggehauen seien, um die Kanzel vom Seitenschiffe aus
besser sehen zu können, und alle diese Kirchen sind grade gothische.

Wir unterlassen es, dem Verfasser auch bei seinen Vorschlägen in Bezug auf Beinheit des Styls
bei Neubauten zu folgen, als ausserhalb der Zwecke unserer Zeitschrift liegend, obschon es uns auch
hier unmöglich wäre, allen Vorder- und Nachsätzen unseres Freundes zu folgen.

Als Schlussbetrachtung über die vorliegende Schrift möchten wir aussprechen, wie der geistvolle,
viel gewanderte und viel belesene Forscher sich in ihr nirgend verleugnet. Dennoch war es uns nur
möglich auf dem Gebiete antiker Kunst, welche seinen speciellen Fachstudien am nächsten liegt, mit ihm
entweder ganz oder doch in vielfachen Theilen uns einverstanden zu erklären. Anders bei der Kunst
des Mittelalters. Hier reicht es nicht mehr aus, wie vor etlichen Jahrzehnten, dass ein überhaupt wis-
senschaftlicher Geist, dem natürlicherweise die Bedeutsamkeit der Kunsterscheinungen jener Periode nicht
verborgen bleiben konnte, so zu sagen seine gelegentlichen Ideen über deren Ursprung u. s. w. aus-
spricht. Auch hier ist ein strenges wissenschaftliches Eingehen, namentlich durch Quellenstudium, d. h.
sowohl der schriftlich verzeichneten, als der monumental sich darstellenden, nothwendig. Wer hierzu
weder Zeit noch Beruf hat, der möge wenigstens anerkennen, dass die Wichtigkeit der Aufgabe beider
wohl würdig ist, und die Entscheidung der Fragen denen überlassen, die eben dieses ernstere Studium
zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben. Wenn wir auch nicht voraussetzen können, dass die ins Detail
eingehenden Ausarbeitungen, welche allen allgemeinen Schlussfolgerungen zur Basis dienen müssen, aus-
serhalb des Kreises der eigentlichen Fachgenossen, einer allgemeineren Kenntnissnahme sich erfreuen, so
darf man doch wenigstens empfehlen, sich mit den Schlussfolgerungen, welche in populäreren Werken,
deren wir oben einige namhaft machten, sehr übersichtlich zusammengestellt sind, bekannt zu machen.
Unserem hochverehrten Freunde aber hoffen wir künftig wieder auf Gebieten, worin er sich heimischer
bewegt, zu begegnen, und aus seinem Munde wieder jenen oft so tiefsinnigen Erörterungen zu lauschen,
worin er sich so vielfach als Meister gezeigt hat. v. Q.

Nachschrift.

Nachdem der Druck des vorliegenden Heftes bereits beendigt ist, geht uns aus Veranlassung der in den
Mittheil, der k. k. Central-Commission I. S. 197 enthaltenen, so überaus dankenswerthen „Charakteristik der
Baudenkmale Böhmens," von Herrn J. D. Passavant ein Nachtrag über die S. Georgskirche in Prag (s. oben S. 147)
zu, welchen wir in unserem folgenden Hefte mitlheilen werden. Red,
 
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