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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 2.1858

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Riggenbach, Chr.: Die Chorgestühle des Mittelalters vom XIII. - XVI. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.3678#0165

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Die Chorgestühle des Mittelalters vom XHL—XVI. Jahrh.

Ein Vortrag.

Wenn ich mich an den Versuch gewagt habe, Ihnen aus dem gegliederten Kunst-
leben des Mittelalters einen, bisher im Allgemeinen weniger beachteten Theil desselben vor-
zuführen, der auch meines Wissens noch nie in einer vergleichenden geschichtlichen Zu-
sammenstellung behandelt worden ist, so bin ich von diesem Gegenstande sowohl durch das
kunstgeschichtliche Interesse, als auch in kultur-historischer Beziehung durch die mannich-
fachen Einblicke, welche an diesen Werken in damaliges Leben und Treiben sich eröffnen,
angezogen worden. Wo nur immer vom XII.—XV. Jahrh. jene herrlichen Kathedralen oder
mächtigen Abteien sich erhoben, da gesellten sich gewöhnlich nach deren Erbauung jene
feineren Künste hinzu, welche, nachdem das rauhe Material des Steines seine Aufgabe voll-
endet hatte, in Erz und Holz, in gebranntem Glas und Materien jeglicher Art das Innere
derselben ausschmückten. Und es ist Ihnen wohl allen bekannt, mit welcher Beharrlichkeit
und mit welchem Eifer das Mittelalter diesen Theil seiner Aufgabe gelöst hat, wie so reich
und prachtvoll als nur möglich meistentheils diese inneren, mehr decorativen Zuthaten aus-
geführt wurden, gleichsam zur Entschuldigung und zum Ersatz der durch dieselben unter-
brochenen Harmonie des Gesammtbaues.

Unter diesen Zuthaten nahmen die Chorgestühle eine sehr bedeutende Stelle ein, um
so bedeutungsvoller, als dieselben, wie eine Minerva aus dem Haupte des Jupiter, plötzlich
in höchster Vollendung und Fülle mit dem XIV. und XV. Jahrh. dazustehen scheinen, und
von welchen sich trotz dem fürchterlichen Vandalismus, der sonderheitlich in diesem Kunst-
gebiete arg gehaust hat, in England, Deutschland, Frankreich und Italien noch Meisterwerke
ersten Ranges erhalten haben.

Bevor ich aber näher auf dieselben eintrete, wird es nöthig sein, dass ich Ihnen die-
jenigen Einrichtungen, welche vor Einführung der Chorgestühle in den Kirchen als Sitze für
den Bischof und die höhere Geistlichkeit gebräuchlich waren, kurz anführe. Bunsen in
seiner Schrift „über die Basiliken des christlichen Borns" J) entwickelt es sehr genau, wie
die Einrichtung der Tribunalnische oder Absis in den Basiliken des alten Roms fast un-
verändert für die kirchlichen Einrichtungen der ersten christlichen Jahrhunderte bis zur Zeit
Karls des Grossen fortgedauert hat. An die Stelle, wo sich ehemals die Sella curulis des
Prätors befand, im Mittel der Nische oder Absis, kam nun die Cathedra oder der Bi-
schofsstuhl, zu dessen beiden Seiten, da wo ehemals die Geschworenensitze waren, nun die
niedrigeren Sitzreihen für die den Bischof begleitenden Geistlichen sich befinden. Einrich-
tungen dieser Art können wir heutiges Tags unter anderem noch erhalten sehen: in Bom

1) Vergl die Basiliken des christl. Roms, nach ihrem Zusammenhange mit Idee und Geschichte der Kirchenbau-
kunst dargestellt von Ch. C. J. Bünsen, S. 46 und a. 0.

1857. 21
 
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