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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 2.1858

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Bock, F.: Der Einband des Evangeliencodex aus dem Kloster Echternach in der herzoglichen Bibliothek zu Gotha
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https://doi.org/10.11588/diglit.3678#0256

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252 DER EINBAND DES EVANGELIENCODEX

dessen Kunstweise mit den der Zeit angehörigen Veränderungen weiter verbreitet wurde und somit Ein-
fluss auf die folgende Ausbildung der Kunst gewann. v. Q.

Beilage D.

Die Inschrift am oberen sehr breiten Quer-Rande des Kreuzes lautet: HENAZARENA. Anfang und
Ende scheint durch die hier angebrachten Medaillons mit Sonne und Mond verdeckt zu sein, ob-
schon letztere von demselben Künstler gleichzeitig aus derselben Elfenbeintafel geschnitzt sind; auch ein
Beweis des im ganzen Kunstwerke sich zeigenden Naturalismus. Dieser kann kaum weiter getrieben wer-
den, als er sich hier überhaupt zeigt, 'j Der ganz im Hochrelief gearbeitete Körper Christi zeigt ihn
im vollsten Maasse. Die fast nackte Gestalt ist nur in der Mitte mit einem Tuche umwunden, das zwar
verzierte Ränder zeigt, in der Mitte aber unangemessen geöffnet, die Beine hoch hinauf entblösst lässt.
Das Nackte erscheint mit zutreffender Wahrheit der Wirklichkeit nachgebildet zu sein, aber nicht der
edlen, sondern der gemeinen; daher die dick markirten Kniee, die magern Lenden und der magere Ober-
körper, der aber mit starkem Relief hervortritt. Die Flände sind viel zu gross gehalten, während die Füsse
zwar proportionirt, aber unschön sind. Letzlere stehen neben einander auf dem Fussbrette, aber weder
bei ihnen noch bei den ausgestreckten Händen sind die eingeschlagenen Nägel angedeutet. Auch der Kopf er-
scheint viel zu gross und dick. Das Gesicht ist von lebensvollster Wahrheit, erinnert aber mehr an die mar-
kirten Züge eines alten bärtigen Landsknechtes, als an die durch die Tradition geheiligten, welche wir selbst
in schwachen Nachbildungen noch immer mit Ehrfurcht betrachten. Selbst die gescheitelten Haare
scheinen nach hinten mehr geflochten als gelockt zu sein. Nur der mit dem Kreuze belegte Nimbus
lässt die kirchliche Tradition erkennen. Die Gestalten der beiden Schergen sind ganz ähnlich behandelt.
Beide sind mit kurzen, nicht ganz bis zum Knie reichenden, in der Mitte leicht gegürteten Röcken mit
enganliegenden Aermeln lose bekleidet. Die Ränder derselben, wie die der Aermel, sind wenig geschmückt.
Der zur Linken Christi, welcher ihm den Essigschwamm reicht, hat sonst keinerlei Kleidungsstück. Die
Formen der nackten Beine zeigen denselben Naturalismus, wie wir ihn am Körper Christi bemerkten, die
Waden sind mager, die Füsse gross und plump. Vielleicht soll der höhere Stand des andern, der die
Seite Christi mit einem Speer durchbohrt, dadurch angezeigt werden, dass dessen Beine bekleidet sind.
Er trägt kurze, unter den Knieen gegürtete Hosen. Die Lederschuhe sind mit Riemen durchzogen, welche
die Waden, die mit Zeug umwunden sind, bis zu den Knieen hinauf kreuzweise umschlingen. Die bei-
den bärtigen übermässig grossen Gesichter sind dem Christi ähnlich behandelt, nicht weniger derb, aber
auch kaum roher. Die Haare sind gleichfalls lang und namentlich bei dem den Schwamm haltenden
nach hinten geflochten und durch eine OelTnung des grossen Ohrs hindurchgezogen. Am ausgezeichnet-
sten dürfte die unter dem Suppedaneum des Kreuzes angebrachte, mit gekreuzten Füssen hockende
weibliche Gestalt sein, welche durch die Inschrift darüber als TERRA bezeichnet wird. Sie ist bis au'
den einen sichtbaren nackten Fuss, der wiederum wenig edle Formen zeigt, lang bekleidet. Die rück-
wärts nach oben gestemmten Arme stützen das Fussbrett, und der dazwischen hervortretende Kopf mit
den starren, graden Zügen eines alternden Weibes ist nicht minder charakteristisch, wie die ganze, mäch-
tig tragende Gestalt, als ob das Weib sich der furchtbaren Last, welche auf ihr ruht, bewusst wäre und
sie resignirt auf sich nähme. Das Ganze hat aber fast mehr einen an die nordische Mythologie anklin-
genden heidnischen, als einen christlichen Charakter. Dasselbe gilt auch von den harten und fast ver-
zerrten Gesichtern, welche Sonne und Mond darstellen, deren weinender Schmerz fast an das Komische
streift. Diese beiden Medaillons, so wie das die Terra einhüllende Gewand sind dunkelgrün bemalt:
nicht minder die lange Speerspitze des einen Kriegers, so wie der Essigschwamm des andern und der
Eimer, welchen dieser in der Linken hält. Letzterer hat ganz die Gestalt unserer gewöhnlichen hölzernen
Stalleimer. Das viereckige Rlattwerk des Randes ist eine ziemlich rohe Tradition spätest römischer

II Im Gegensätze hierzu steht das tJrlheil von Scivnaase IV, 501, der dieses Relief wie mehrere von ihm angefühlte
wenn auch mit Einmischung von einheimischen Motiven, doch als im Wesentlichen byzantinisirend bezeichnet. Ich darf jetzt
wollt auf ein zustimmendes Urtheil meines verehrten Freundes schliessen, wenn er gegenwärtig das Original oder eine gule
Abbildung wieder sehen sollte.
 
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