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selbst unterworfen, besonders wenn die Gerichte nicht ständig sind,
sondern wie die Schöffengerichte nur von Zeit zu Zeit versammelt
werden, in welchem Falle lediglich nur die strenge Beobachtung
von den Vätern ererbter, durch ihr Alter ehrwürdiger Formen dem
Gerichte seine eigene Autorität sichern und verbürgen kann. Noch
wichtiger und bedeutungsreicher mussten aber die prozessualischen
Solennitäten da erscheinen, wo noch kein geschriebenes Gesetz den
Schöffen die Grundsätze vorzeichnete, welche sie bei der Beurtheilung
der angeklagten Handlung selbst leiten sollten, und ihr subjectives
Ermessen — lediglich bedingt durch die Volksphilosophie ihrer Zeit
über Recht und Unrecht — ihre einzige Richtschnur bei Fällung des
Erkenntnisses über die Strafwürdigkeit der That sein konnte. So
sehen wir in der mittelalterlichen Strafrechtspflege zwei Extreme
enge mit einander verbunden — auf der einen Seite eine völlige
Ungebundenheit des subjectiven Urtheiles der Schöffen in Bezug auf
das materielle Recht — eine Licenz, die, wo sie entweder absichtlich
missbraucht wurde, oder wo die Volksphilosophie hinter den Fort-
schritten der Wissenschaft zurückzubleiben anfing, wie dies seit dem
XV. Jahrhundert der Fall war, ’) zu den vielfältigsten Klagen An-
lass geben, und endlich die ganze Autorität der Schöffengerichte
untergraben musste — auf der anderen Seite aber erkennen wir ein
beinahe ängstliches Festhalten an starren, ja man kann sagen, durch
ihre Steifheit lähmenden Formen, deren schleppende Weitschweifigkeit
unserer Zeit eben so unbegreiflich gedankenleer und zeitraubend als
geschmacklos erscheinen muss. Um sich hiervon eine deutliche Vor-
stellung zu verschaffen, lese man einmal die als Anh. II. hier abge-
druckten criminalprozessualischen Formen, und frage sich dann, was
durch alle diese mit lästiger Umständlichkeit verzeichneten immer
wiederkehrenden Fragen für die juristische Feststellung des That-
bestandes, für die Ermittelung der Schuld oder Unschuld des Ver-
brechers gewonnen ist?2 3) Wir werden im Stande sein, dieses Ver-
sinken der Rechtspflege in ein solches geistloses Formenwesen zu er-
klären (§. 35.), werden aber dabei nicht minder anerkennen müssen,
wie gerade diese gedankenlose Leerheit der Prozessformen ein zweites
Hauptmoment werden musste, welches der altersschwachen Schöffen-
verfassung im XV. und XVI. Jahrhundert in dem gelehrten Juristen-
stande unversöhnliche Gegner erweckte und ihr allmähliges Ver-

2) Vorzugsweise auf diesem letzteren Punkte Beruhen die derben Incriminationen
des Peter ab Akdlo (oben pag. 59·) und auch Schwakzenberg’s (hier not. 4.) gegen
die Schöflenjurisdiction.
3) Noch in einem weit höheren Maasse zeiget die hier gerügten Mängel der Cod,
Leg. et Cons. Jud. Westphal, bei Senkenberg. Corp. Jur. germ. T. I. P. II. nr. VIII.
8« fl.
 
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