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Zoepfl, Heinrich
Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte: ein Lehrbuch in zwei Bänden (1): Deutsche Volks- und Staatsgeschichte in quellemmäßigem Abrisse bis zur Stiftung des Deutschen Bundes — Stuttgart: Krabbe, 1844

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https://doi.org/10.11588/diglit.47336#0030
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Einleitung. Die Anfänge der deutschen Volksgeschichte.

Völker zunächst durch Personificationen von Prädicaten entstanden,
welche die menschliche Erkenntniss und das menschliche Gefühl der
unsichtbaren Gottheit beilegen zu müssen glaubte. Erst allmählig
und in späterer Zeit, wo die geschichtlichen Ereignisse der Urzeit
mehr und mehr in der Sage verklingen, werden auch über die ersten
Helden der Nationen die Strahlen eines göttlichen Nimbus ausgegossen,
die Ahnherrn des Volkes steigen zu den Sitzen der Götter empor,
und von hier an bildet sodann die Poesie der Heldensage die nationale
Vermittelung zwischen der Götterlehre und der wirklichen in fester
Erinnerung bewahrten, und darum auch für rein menschlich erkannten
Geschichte. Wo die Götternamen nur erst als Verkörperungen gött-
licher Epitheta erscheinen, da wird, der verschiedenartigsten Verhül-
lungen ungeachtet, durch die Götterlehre ein Grundzug einer reinen
idealistischen Auffassung der Gottheit hindurchblicken, so wie es auf
der anderen Seite das Wesen der Personification des Idealen mit sich
bringt, dass das Gewand, in welchem die verkörperte Idee auftritt,
dem individuellen Volkscharakter abgeborgt wird. So sind die Götter-
gestalten , mit welchen die griechische Phantasie den Olymp bevölkerte,
üppig und frivol, wie das lebhafte Volk eines südlichen ewig heiteren
Himmelstriches, und es gibt keine Tugend wie kein Laster, die von
dem Volke der Griechen geübt wurden, welche die Sage nicht in er-
höhtem Maasstabe von den Göttern üben liess. So sind auf der anderen
Seite die germanischen Göttergestalten ein treuer Spiegel des germa-
nischen, insbesondere des nordischen Volkscharakters; gewaltig und
keusch, aber hart und blutig, wie der Sohn einer kälteren und von
nordischen Stürmen bewegten Zone. Sogar die kleineren Züge des
Volkscharakters sind regelmässig auf die Götter übertragen; so z. B.
erscheinen die deutschen Götter sämmtlich als starke Esser und mäch-
tige Trinker 1). Die ideale Grundlage der deutschen Götterlehre, ja
ein Anklang eines reinen, allmählig untergegangenen Monotheismus 2)
tritt, wie sich schon nach seiner Stellung an der Spitze des Götter-
systemes erwarten lässt, am stärksten im Wodan oder Odhinn her-
vor. In seinem Wesen liegt die Idee des allwaltenden, göttlichen
D Bekannt ist die Sage, dass Thor, als er bei den Riesen aus dem Zauber-
horne trank, dessen bodenloses Ende in dem Meere stand, drei solche Züge that,
dass er fast das Meer erschöpfte, und von diesem gewaltigen Zuge wird die Be-
wegung des Meeres abgeleitet, welche man Ebbe und Fluth zu nennen pflegt. —
2) Darauf deutet noch die Bezeichnung der deutschen Götter als Äsen QAesares~),
eine auch in der griechischen und römischen Geheimlehre vorkommende Bezeichnung
der Gottheit. As ist Eins, Einheit: Wodan erscheint sonach als die Ur-Monas,
die übrigen Götter als ihre Ausflüsse — Monaden. —
 
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