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III. Erster Aufenthalt in Venedig.

(Mus den Jahren 1494 und 1495 sind uns
mehrere Zeichnungen erhalten, die für
das Werden des Meisters ein besonderes Inter-
esse haben. Es sind Studien nach italienischen
Vorbildern.
Den früheren Arbeiten Dürers gegenüber
haben wir oft lebhaft das Gefühl, daher doch
noch in überkommener, hemmender und ein-
engender Formanschauung sich bewegt, wo
wirklich freies, großes Wesen etwas Unbekann-
tes war. Darüber führen nun die eben ge-
nannten Studien hinaus. Wir machen nicht
selten die Wahrnehmung, daß auch bei hoch-
begabten Menschen ihre besonderen Anlagen
erst bei einer bestimmten Gelegenheit heraus-
zutreten beginnen. Ein solcher Augenblick war
damals, wie es scheint, für Dürer gekommen.
Seine Kunst charakterisiert von fetzt ab oft ein
so machtvoller Zug, wie er sich bei keinem an-
dern gleichzeitigen Meister findet, und jene
Zeichnungen erwecken in uns die Vorstellung,
daß angesichts der italienischen Schöpfungen,
die dem jungen Künstler vor Augen kamen,
feine Phantasie einen freieren Flug zu nehmen
begann. Vor allem sind es drei Zeichnungen,
die hierfür in Betracht kommen.
Oberitalien besaß damals in Mantegna
einen Meister, dessen Werke unstreitig zudem
Eigenartigsten und Charaktervollsten gehören,
was die italienische Kunst des 15. Jahrhun-
derts geschaffenhat. ArbeitenseinerHandmuß-
ten Dürer in ganz eigener Weise berührend
Der heranreifende Meister begegnete hier einer
in den Hauptzügen gleichgestimmten künstleri-
schen Kraft, aber bei ihm war noch alles im
Werden, dort traf er aus ausgereiftes, ferti-
ges Können. Mit sicheren Mitteln, die sich in-
des Dürer unmöglich aneignen konnte, führt
der Italiener die herben Gestalten seinerPhan-
M. Zucker, Albrecht Dürer.

taste in ungewöhnlicher, nur ihm eigener Sti-
lisierung dem Beschauer vor. In strenger
Zeichnung und stets überaus plastischer Durch-
bildung tritt uns in denselben eine künstleri-
sche Wirklichkeit vor das Auge, in der alles
gleichsam aus Erz gegossen, in festem Wesen
groß und mächtig dasteht. Eine genaue Kennt-
nis der Perspektive ließ jede Stellung und
jede Verkürzung wagen und gab dadurch zu-
gleich Mittel an die Hand, auch den höchsten
Grad seelischer Erregung aus kühn entworfe-
nen Gestalten sprechen zu lassen. Die Stiche
Mantegnas, eine bacchische Scene und ein
Kampf mythologischer Seewesen, die Dürer
im Jahre 1494 zum Studium wiedergab,
bieten durch antike Vorbilder, auch ihrem fla-
chen Reliefstil nach, beeinflußte Kompositionen
voll Schwung, Bewegung und Leidenschaft.
Dürer zeichnet diese nackten Gestalten in einer
seiner Auffassung entsprechenden Unibildung
nach. Er vergröbert dadurch das italienische
Ideal, dessen stilistischer Vortrag ihm durch-
aus fremd ist, aber man sieht es jeder Linie
an, daß der nordische Maler sich dabei be-
wußt geworden ist, in wiehohem Grade seinem
Innern das Großartige jener Phantasiewelt
entsprach. Nur wergleichartig empfindet, kann
so sicher das Mächtige eines fremden Werkes
wiedergeben. Beim Betrachten dieser Zeich-
nungen denken wir unwillkürlich an die ge-
waltigen Gestalten der Apokalypse, mit der
Dürer einige Jahre später hervortrat, alles in
Deutschland bis dahin Geleistete hinter sich
lassend. Unzweifelhaft hat die Berührung mit
Werken jenes großen paduanischen Meisters
befreiend auf ihn gewirkt, und wir begreifen
die Hochachtung, die er Mantegna entgegen-
brachte. Der Rektor des Nürnberger Gym-
nasiums Camerarius, dem wir die erste kurze
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