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y/L€CHTere
IM NOVEMBER des Jahres 1896 eröffnete
Melchior Lechter die erste Ausstellung
seiner Werke bei Fritz Gurlitt in Berlin.
Heute, nach mehr als einem Jahre, wird zum
ersten Male über sein Schaffen ein Ueberblick
gegeben, welchen sorgfältige Abbildungen
nach fast allen damals ausgestellten Werken
wie auch der inzwischen entstandenen so
sehr verdeutlichen, dass diejenigen Freunde
echtester Kunst, welche die wohl behüteten
Werke nicht selbst erblicken dürfen, dennoch
den Werth des jungen Meisters dankbar
erkennen werden. Darum wollen wir auch
hier nicht sowohl die Einzelheiten prüfend
besprechen, sondern vielmehr versuchen, die
Schöpfungen ihrer ästhetischen Art nach zu
verstehen, sodann auch zu finden, was der
Künstler will, noch darüber hinaus will,
endlich zu erkennen, was solche Kunst,
solche Art von Kunst innerhalb der gegen-
wärtigen Entwickelung bedeute.
Wohl ist es leicht herausgesondert,
welche gemeinschaftliche Grundlagen Fechters
Kunstweise mit derjenigen der übrigen
Deutschen hat. Man blättert in seinen far-
bigen Studien und Zeichnungen, und verfolgt,
wie er ganz als Impressionist die Eindrücke
aus der Natur sammelt; man stellt sich vor
seine Oelgemälde und erblickt die Ein-
wirkung der_Meister des koloristischen Stiles,
sonderlich des Anselm Feuerbach und des
Arnold Böcklin, ja man möchte ihn den
»ächtesten Sohn« des grossen Vaters von
Basel nennen. Indess führen uns die Kar-
tons zu seinen Glasgemälden noch weiter
zurück auf jene Meister von Anfang, und
Mitte des Jahrhunderts, welche bisher fast
ausgeschieden schienen aus der lebendigen
Ueberlieferung: auf Cornelius, Steinte,
Führich, Rethel, Schwind und bringen ihn
so dem Hans Thoma nahe. In der Aegidien-
kirche zu Münster, in seiner Heimathstadt,
sah er, wenn er zur Messe dienend am Altare
kniete, die »Himmelskönigin« Eduard von
Steinle's, jenes merkwürdige Bild, welches
daran erinnert, dass die stärksten unter jenen
katholischen Künstlern über die Romantik
hinaus verlangten nach vollendeter Neu-
belebung der alten Symbole aus modernem
Geiste, nach einer Neudeutung der tra-
ditionellen Motive. In der alten Bischofsstadt,
wo er zwischen den gedrungenen Säulen
wandelte, welche die gotischen Kreuzgewölbe
der Faüben tragen, darin er das Feben des
Marktes und der Kaufhallen sich erströmen
sah, wo er zu den Fialen und Wimpergen,
zu den lichten Gitterwerken, nach den heiligen
Wächtern und harfenführenden Engeln und
zu den Kreuzblumen der starren Giebel empor-
blickte, wo er zwischen den herrlichen Formen
alterKirchen den Duft des Weihrauchs athmete
und himmlische Klänge von brausenden
Orgeln vernahm, wo ihn der Prunk feier-
licher Hochämter auf die Kniee zwang und
das stille Beschauen bunter Messbücher in
einsamen Zellen tief entzückte, wo er auf
allerlei edlem Geräthe und Geschmeide einen
Reigen von Gestalten erblickte: den Fanz
überlieferter Formen, der sich in immer
reicheren Rhythmen durch die Geschlechter
der Schaffenden seit Jahrhunderten bewegte,
an dem sie alle Theil hatten, alle tüchtigen
Männer der Heimath: da musste ihm die
Nothwendigkeit einer heimathlichen Ueber-
lieferung für jedes stilistisch reife Kunst-
schaffen bewusst werden. Ebenso sehr aber
auch die andere Nothwendigkeit: aus der
Ueberlieferung heraus weiter zu schaffen,
98. vi. 1.
y/L€CHTere
IM NOVEMBER des Jahres 1896 eröffnete
Melchior Lechter die erste Ausstellung
seiner Werke bei Fritz Gurlitt in Berlin.
Heute, nach mehr als einem Jahre, wird zum
ersten Male über sein Schaffen ein Ueberblick
gegeben, welchen sorgfältige Abbildungen
nach fast allen damals ausgestellten Werken
wie auch der inzwischen entstandenen so
sehr verdeutlichen, dass diejenigen Freunde
echtester Kunst, welche die wohl behüteten
Werke nicht selbst erblicken dürfen, dennoch
den Werth des jungen Meisters dankbar
erkennen werden. Darum wollen wir auch
hier nicht sowohl die Einzelheiten prüfend
besprechen, sondern vielmehr versuchen, die
Schöpfungen ihrer ästhetischen Art nach zu
verstehen, sodann auch zu finden, was der
Künstler will, noch darüber hinaus will,
endlich zu erkennen, was solche Kunst,
solche Art von Kunst innerhalb der gegen-
wärtigen Entwickelung bedeute.
Wohl ist es leicht herausgesondert,
welche gemeinschaftliche Grundlagen Fechters
Kunstweise mit derjenigen der übrigen
Deutschen hat. Man blättert in seinen far-
bigen Studien und Zeichnungen, und verfolgt,
wie er ganz als Impressionist die Eindrücke
aus der Natur sammelt; man stellt sich vor
seine Oelgemälde und erblickt die Ein-
wirkung der_Meister des koloristischen Stiles,
sonderlich des Anselm Feuerbach und des
Arnold Böcklin, ja man möchte ihn den
»ächtesten Sohn« des grossen Vaters von
Basel nennen. Indess führen uns die Kar-
tons zu seinen Glasgemälden noch weiter
zurück auf jene Meister von Anfang, und
Mitte des Jahrhunderts, welche bisher fast
ausgeschieden schienen aus der lebendigen
Ueberlieferung: auf Cornelius, Steinte,
Führich, Rethel, Schwind und bringen ihn
so dem Hans Thoma nahe. In der Aegidien-
kirche zu Münster, in seiner Heimathstadt,
sah er, wenn er zur Messe dienend am Altare
kniete, die »Himmelskönigin« Eduard von
Steinle's, jenes merkwürdige Bild, welches
daran erinnert, dass die stärksten unter jenen
katholischen Künstlern über die Romantik
hinaus verlangten nach vollendeter Neu-
belebung der alten Symbole aus modernem
Geiste, nach einer Neudeutung der tra-
ditionellen Motive. In der alten Bischofsstadt,
wo er zwischen den gedrungenen Säulen
wandelte, welche die gotischen Kreuzgewölbe
der Faüben tragen, darin er das Feben des
Marktes und der Kaufhallen sich erströmen
sah, wo er zu den Fialen und Wimpergen,
zu den lichten Gitterwerken, nach den heiligen
Wächtern und harfenführenden Engeln und
zu den Kreuzblumen der starren Giebel empor-
blickte, wo er zwischen den herrlichen Formen
alterKirchen den Duft des Weihrauchs athmete
und himmlische Klänge von brausenden
Orgeln vernahm, wo ihn der Prunk feier-
licher Hochämter auf die Kniee zwang und
das stille Beschauen bunter Messbücher in
einsamen Zellen tief entzückte, wo er auf
allerlei edlem Geräthe und Geschmeide einen
Reigen von Gestalten erblickte: den Fanz
überlieferter Formen, der sich in immer
reicheren Rhythmen durch die Geschlechter
der Schaffenden seit Jahrhunderten bewegte,
an dem sie alle Theil hatten, alle tüchtigen
Männer der Heimath: da musste ihm die
Nothwendigkeit einer heimathlichen Ueber-
lieferung für jedes stilistisch reife Kunst-
schaffen bewusst werden. Ebenso sehr aber
auch die andere Nothwendigkeit: aus der
Ueberlieferung heraus weiter zu schaffen,
98. vi. 1.