darnach saß er bereits zwischen den beiden Damen und las
ihnen Bulwers Werke vor. Die Steuerräthin erwartete sich
die überraschendsten Erfolge. Was konnte eine deutsche Klein-
städterin besseres fich aneignen, als die Philosophie englischer
Vornehmheit, und wie hochdeutsch las nicht der Zimmerherr!
— Täglich mußte dieser erscheinen, wöchentlich ein neuer Band,
und nach einem Monate kannte die Tante nur zwei Männer,
die sie gewiffermassen für gefährlich hielt: Sir Edward Lytton
Bulwer und — ihren Vorleser.
Der Doktor ward aber in der That zusehends bester im
Vortrage, Stellen, wo das Gefühl, das Herz spricht, gelangen
ihm vorzüglich und die Blicke der Tante und der Nichte flüch-
teten sich hiebei gleichmäßig in die innerste Verborgenheit ihres
Strickstrumpfes. Im „Clifford" war's bei einer Abschiedsscene,
wo die Steuerrathswittwe dem glühenden Leser einmal in's
Auge sah, — er erblaßte und fuhr dann im herabgestimmten
Tone fort. Er hatte sich verathen. „Der arme junge Mann,"
sprach sie zu sich selbst, als sie ihre falschen Locken losband, —
„er sieht die Kluft nicht zwischen ihn« und — mir." Man
bulwerte indesten eifrig weiter — und die Kluft zwischen der
Wittwe und „dem armen jungen Manne" schien nebenher im-
mer schmäler zu werden. Es gab Stellen genug in der Lektüre,
wo man sich wechselseitig verrieth. So kam man zu den „letzten
Tagen von Pompeji" und in „Nydia's" Wesen und Empfin-
dung erkannte die Tante deutlich sich und — die ihre. Der
Doktor holte den letzten Band aus der Leihbibliothek, und be-
fahl der Magd, ihn Theodolinden zu übergeben, — er hatte
noch einen Gang vor der Lesestunde.
Linda war eben in der Tanzschule, das Buch wartete ihrer
am Heerdbrett, die Tante fand es, Nydias Geschick lag ihr zu
sehr am Herzen, — sie mußte wissen, wie die Geschichte aus-
ging. Sie schlägt die letzten Seiten auf — und liest auf
einem feinen Blättchen die geschriebenen Worte: „Meine Theo-
dolinde!" u. s w. — Die „letzten Tage" waren um, der
Ausbruch des Vesuvs erfolgte. Haussuchung in Theodolindens
Zimmer, Ausnahme eines ganzen Schlages solcher Botentau-
ben , Conftontation des schuldigen Paares, Anklage, stolzes
Geständniß der Schuld unter Umarmung und Küssen vor dem
Inquirenten, — und nun sogleiche Wohnungskündigung für
den Doftor, Theodolinde mittelst Postwagen heimgesandt unter
beigefügtem Zeugniß „ihre Erziehung könne als vollendet be-
trachtet werden," schlüßlich noch Bezahlung des letzten Bandes
der letzten Tage durch die Tante, welche ihn in jener Stunde
der Enttäuschung am Heerde in den Kaffeesatz hatte fallen lasten.
Mit dieser jähen, bittern Trennung aber begann das erste
Leidensstadium des Doktors Dorn, — des Protomartyrers von
Herrn Fischers schöner Tochter.
Zwei Jahre vergingen, die Liebenden erfuhren nichts mehr
von einander, in £. trauerte Theodolinde in Prosa, in der
Hauptstadt der Rechtsprattikant in Versen. — Er hatte neben-
bei ununterbrochen um eine Anstellung competirt, mit dem
Astestorsdckrete in der Hand, wollte er dann sich und seine
Liebe bis zum Traualtar durchfechten; sein Präsident fand seine
Gesuche stylisirt „daß man sie in einem Taschenbuche abdrucken
könnte" und legte sie beiseite.
(Fottsetzung folgt.)
ihnen Bulwers Werke vor. Die Steuerräthin erwartete sich
die überraschendsten Erfolge. Was konnte eine deutsche Klein-
städterin besseres fich aneignen, als die Philosophie englischer
Vornehmheit, und wie hochdeutsch las nicht der Zimmerherr!
— Täglich mußte dieser erscheinen, wöchentlich ein neuer Band,
und nach einem Monate kannte die Tante nur zwei Männer,
die sie gewiffermassen für gefährlich hielt: Sir Edward Lytton
Bulwer und — ihren Vorleser.
Der Doktor ward aber in der That zusehends bester im
Vortrage, Stellen, wo das Gefühl, das Herz spricht, gelangen
ihm vorzüglich und die Blicke der Tante und der Nichte flüch-
teten sich hiebei gleichmäßig in die innerste Verborgenheit ihres
Strickstrumpfes. Im „Clifford" war's bei einer Abschiedsscene,
wo die Steuerrathswittwe dem glühenden Leser einmal in's
Auge sah, — er erblaßte und fuhr dann im herabgestimmten
Tone fort. Er hatte sich verathen. „Der arme junge Mann,"
sprach sie zu sich selbst, als sie ihre falschen Locken losband, —
„er sieht die Kluft nicht zwischen ihn« und — mir." Man
bulwerte indesten eifrig weiter — und die Kluft zwischen der
Wittwe und „dem armen jungen Manne" schien nebenher im-
mer schmäler zu werden. Es gab Stellen genug in der Lektüre,
wo man sich wechselseitig verrieth. So kam man zu den „letzten
Tagen von Pompeji" und in „Nydia's" Wesen und Empfin-
dung erkannte die Tante deutlich sich und — die ihre. Der
Doktor holte den letzten Band aus der Leihbibliothek, und be-
fahl der Magd, ihn Theodolinden zu übergeben, — er hatte
noch einen Gang vor der Lesestunde.
Linda war eben in der Tanzschule, das Buch wartete ihrer
am Heerdbrett, die Tante fand es, Nydias Geschick lag ihr zu
sehr am Herzen, — sie mußte wissen, wie die Geschichte aus-
ging. Sie schlägt die letzten Seiten auf — und liest auf
einem feinen Blättchen die geschriebenen Worte: „Meine Theo-
dolinde!" u. s w. — Die „letzten Tage" waren um, der
Ausbruch des Vesuvs erfolgte. Haussuchung in Theodolindens
Zimmer, Ausnahme eines ganzen Schlages solcher Botentau-
ben , Conftontation des schuldigen Paares, Anklage, stolzes
Geständniß der Schuld unter Umarmung und Küssen vor dem
Inquirenten, — und nun sogleiche Wohnungskündigung für
den Doftor, Theodolinde mittelst Postwagen heimgesandt unter
beigefügtem Zeugniß „ihre Erziehung könne als vollendet be-
trachtet werden," schlüßlich noch Bezahlung des letzten Bandes
der letzten Tage durch die Tante, welche ihn in jener Stunde
der Enttäuschung am Heerde in den Kaffeesatz hatte fallen lasten.
Mit dieser jähen, bittern Trennung aber begann das erste
Leidensstadium des Doktors Dorn, — des Protomartyrers von
Herrn Fischers schöner Tochter.
Zwei Jahre vergingen, die Liebenden erfuhren nichts mehr
von einander, in £. trauerte Theodolinde in Prosa, in der
Hauptstadt der Rechtsprattikant in Versen. — Er hatte neben-
bei ununterbrochen um eine Anstellung competirt, mit dem
Astestorsdckrete in der Hand, wollte er dann sich und seine
Liebe bis zum Traualtar durchfechten; sein Präsident fand seine
Gesuche stylisirt „daß man sie in einem Taschenbuche abdrucken
könnte" und legte sie beiseite.
(Fottsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Einer für Alle"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 11.1850, Nr. 247, S. 52
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg