Der neue Eulenspiegel.
83
„Wenn du willst. Hannes." erwiderte das treue 1
Opferlamm, „mir ist's schon recht."
So geschah's denn; der Hannes schlief hinten, die
alte Mutier aber lag vornen.
Um die Mitternnchtsstuude nahte sich nun der ver-
brecherische Haufen mit Axt und Prügeln, stellte sich vor
das Bett und schlug unbarmherzig auf die unglückliche
Person, die vornen im Bette lag, der Hannes aber
schwitzte Angsttropfen und gestand später ein. daß er sein
Lcibgewand gar nicht habe zu waschen brauchen, es sei
so durchnäßt gewesen, als ob man einen Zuber voll
Wasier über ihn ausgeschüttet habe.
Die ^Bauern entfernten sich und meinten, der Han-
nes werde sich wundern, wenn er am folgenden Morgen
nicht wieder aufwache. Damit glaubten sie denn ihrer
Rache genug gethan zu haben, denn er sei jetzt mausetodt.
Der Hannes aber stand in der Nacht schon auf, zog
seiner Mutter, welche die Bauern todt geschlagen hatten,
ihre Kleider an, trug sie hinaus an die Fahrstraße und
stellte sie dort mitten auf dem Wege auf. zur Stütze gab er
ihr einen Stock in die Hand. So hatte cs das Ansehen, als
ob - eine Bettelfrau da stehe. Der Hannes nestelte an seinen
Beinkleidern und setzte sich in den Chausseegraben, als ob er
etwas anderes da zu thun Hütte. Das dauerte nur eine kurze
Zeit, da kam ein prächtiger Wagen dnhergefahren. der wurde
von vier Pferden gezogen, auf dem Bocke saß ein bärtiger
Kutscher, in dem Wagen aber befand sich ein gar vornehmer
Herr. Das hatte der Hannes nun Alles von seinem Chaussee-
graben aus bemerkt, aber er rührte sich doch nicht; denn er
dachle. die können meiner Mutter kein Leid anthun und wenn
sie ihr nicht aus dem Weg fahren wollen, dann müssen sie warten,
bis sie von selbst weggcht, das hat aber seine Zeit.
Der Kutscher knallte mit der Peitsche, rief mit lauter
Stimme: „He da. altes Weib, aus dem Weg mit ihr!" aber
das alte Weib rührte sich nicht. Da schrie er noch lauter,
fluchte und schalt: „Du verfluchte Hex';" aber die Hexe blieb
: immer stehen.
„Zum Teufel, fahr' zu." schrie jetzt der vornehme Herr
aus dem Wagen, es war ihm die Zeit etwas zu lang geworden
und er war nicht gewöhnt, sich von einem Bettelwcib vexirt zu
sehen.
Der Kutscher befolgte pünktlich den Befehl seines Herrn;
aber kaum war er über die alte Frau hinmeggefahren, da sprang
der Hannes mit lautem Schreien aus dem Graben und nahm
sich nicht einmal die Zeit, die Beinkleider erst wieder in die
Höhe zu ziehen; denn seine kindliche Liebe war so groß, daß er
: die Scham bei Seite setzte.
„Ihr habt meine Mutter umgebracht." schrie' er mit kläglicher
Stimme, „jetzt wart' aber, das soll Euch theuer zu stehn
kommen!"
„Die sollte Euch aus dem Wege gehen," erwiderte der
Hannes, „das wür' ein Wunder gewesen, sie hat ja nichts
mehr gesehen noch gehört, die arme Iran, und Ihr habt sie
getödtet."
„Aber, lieber Man», was ist da zu thun?" fragte der Fremde,
„mir thut es ja recht leid."
„Mir noch mehr." sagte der Hannes, „meine Erzeugerin,
meine Pflegerin, meine Ernährerin, ach! könnt' ich für sie in
die Grube steigen! Ja, ich werd' mir die Augen aus dem Kopfe
weinen und an dem Allen seid Ihr Schuld. Jetzt sollt' Ihr
mit mir vor's Gericht!"
„Guter Freund, gebt Euch zufrieden, ich will Euch den
Verlust ersetzen, sagt, was Ihr wollt!"
Da fuhr dem Hannes plötzlich ein kühner Gedanke durch den
Kopf, er erhob sich aus seinem Schmerze und sagte: „Und wenn
Ihr mir die ganze Welt geben könntet, so wäre das kein Ersatz.
Aber was hilft mein Klagen, es bringt die Tobten nicht zurück;
doch ich muß leben, esicn, trinken, mich kleiden, wovon soll ich
das, da die Hand bald zum Staub verwandelt sein wird, welche
bis heute für alle meine Bedürfnisse gesorgt hat. So hört!
gebt mir Euren Wagen und Eure Pferde, den Kutscher mögt
Ihr behalten, dann will ich mich trösten und denken: es hal
nicht anders sein sollen."
Der fremde Herr hatte für seinen Hals gefürchtet und war
froh, daß er sich so leicht aus der Schlinge ziehen konnte, er
überließ dem Hannes das Fuhrwerk und wandelte zu Fuß sel-
bnnder mit seinem Kutscher. Nun setzte sich der Hannes aus !
den verlassenen Kulscherbock, nahm die Zügel in die Hand und
fuhr im Galopp in das Dorf ein. als eben die Bauern die j
Läden an den Fenstern öffneten/
„Ei. warum ist sie auch nicht aus dem Weg gegangen."
| sagte der fremde Herr.
„Ei, Hannes, wo kommst du denn her?" riefen sie ihm ver-
wundert zu.
II»
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„Wenn du willst. Hannes." erwiderte das treue 1
Opferlamm, „mir ist's schon recht."
So geschah's denn; der Hannes schlief hinten, die
alte Mutier aber lag vornen.
Um die Mitternnchtsstuude nahte sich nun der ver-
brecherische Haufen mit Axt und Prügeln, stellte sich vor
das Bett und schlug unbarmherzig auf die unglückliche
Person, die vornen im Bette lag, der Hannes aber
schwitzte Angsttropfen und gestand später ein. daß er sein
Lcibgewand gar nicht habe zu waschen brauchen, es sei
so durchnäßt gewesen, als ob man einen Zuber voll
Wasier über ihn ausgeschüttet habe.
Die ^Bauern entfernten sich und meinten, der Han-
nes werde sich wundern, wenn er am folgenden Morgen
nicht wieder aufwache. Damit glaubten sie denn ihrer
Rache genug gethan zu haben, denn er sei jetzt mausetodt.
Der Hannes aber stand in der Nacht schon auf, zog
seiner Mutter, welche die Bauern todt geschlagen hatten,
ihre Kleider an, trug sie hinaus an die Fahrstraße und
stellte sie dort mitten auf dem Wege auf. zur Stütze gab er
ihr einen Stock in die Hand. So hatte cs das Ansehen, als
ob - eine Bettelfrau da stehe. Der Hannes nestelte an seinen
Beinkleidern und setzte sich in den Chausseegraben, als ob er
etwas anderes da zu thun Hütte. Das dauerte nur eine kurze
Zeit, da kam ein prächtiger Wagen dnhergefahren. der wurde
von vier Pferden gezogen, auf dem Bocke saß ein bärtiger
Kutscher, in dem Wagen aber befand sich ein gar vornehmer
Herr. Das hatte der Hannes nun Alles von seinem Chaussee-
graben aus bemerkt, aber er rührte sich doch nicht; denn er
dachle. die können meiner Mutter kein Leid anthun und wenn
sie ihr nicht aus dem Weg fahren wollen, dann müssen sie warten,
bis sie von selbst weggcht, das hat aber seine Zeit.
Der Kutscher knallte mit der Peitsche, rief mit lauter
Stimme: „He da. altes Weib, aus dem Weg mit ihr!" aber
das alte Weib rührte sich nicht. Da schrie er noch lauter,
fluchte und schalt: „Du verfluchte Hex';" aber die Hexe blieb
: immer stehen.
„Zum Teufel, fahr' zu." schrie jetzt der vornehme Herr
aus dem Wagen, es war ihm die Zeit etwas zu lang geworden
und er war nicht gewöhnt, sich von einem Bettelwcib vexirt zu
sehen.
Der Kutscher befolgte pünktlich den Befehl seines Herrn;
aber kaum war er über die alte Frau hinmeggefahren, da sprang
der Hannes mit lautem Schreien aus dem Graben und nahm
sich nicht einmal die Zeit, die Beinkleider erst wieder in die
Höhe zu ziehen; denn seine kindliche Liebe war so groß, daß er
: die Scham bei Seite setzte.
„Ihr habt meine Mutter umgebracht." schrie' er mit kläglicher
Stimme, „jetzt wart' aber, das soll Euch theuer zu stehn
kommen!"
„Die sollte Euch aus dem Wege gehen," erwiderte der
Hannes, „das wür' ein Wunder gewesen, sie hat ja nichts
mehr gesehen noch gehört, die arme Iran, und Ihr habt sie
getödtet."
„Aber, lieber Man», was ist da zu thun?" fragte der Fremde,
„mir thut es ja recht leid."
„Mir noch mehr." sagte der Hannes, „meine Erzeugerin,
meine Pflegerin, meine Ernährerin, ach! könnt' ich für sie in
die Grube steigen! Ja, ich werd' mir die Augen aus dem Kopfe
weinen und an dem Allen seid Ihr Schuld. Jetzt sollt' Ihr
mit mir vor's Gericht!"
„Guter Freund, gebt Euch zufrieden, ich will Euch den
Verlust ersetzen, sagt, was Ihr wollt!"
Da fuhr dem Hannes plötzlich ein kühner Gedanke durch den
Kopf, er erhob sich aus seinem Schmerze und sagte: „Und wenn
Ihr mir die ganze Welt geben könntet, so wäre das kein Ersatz.
Aber was hilft mein Klagen, es bringt die Tobten nicht zurück;
doch ich muß leben, esicn, trinken, mich kleiden, wovon soll ich
das, da die Hand bald zum Staub verwandelt sein wird, welche
bis heute für alle meine Bedürfnisse gesorgt hat. So hört!
gebt mir Euren Wagen und Eure Pferde, den Kutscher mögt
Ihr behalten, dann will ich mich trösten und denken: es hal
nicht anders sein sollen."
Der fremde Herr hatte für seinen Hals gefürchtet und war
froh, daß er sich so leicht aus der Schlinge ziehen konnte, er
überließ dem Hannes das Fuhrwerk und wandelte zu Fuß sel-
bnnder mit seinem Kutscher. Nun setzte sich der Hannes aus !
den verlassenen Kulscherbock, nahm die Zügel in die Hand und
fuhr im Galopp in das Dorf ein. als eben die Bauern die j
Läden an den Fenstern öffneten/
„Ei. warum ist sie auch nicht aus dem Weg gegangen."
| sagte der fremde Herr.
„Ei, Hannes, wo kommst du denn her?" riefen sie ihm ver-
wundert zu.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der neue Eulenspiegel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 11.1850, Nr. 251, S. 83
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg