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Dichterleiden.

wollte. Der Mann also mit den mongolischen Backenknochen,
über welche die Pocken Erbsen gewalzt hatten, der Mann mit
den listig grauen Augen, mit dem Schnurbarte, den sich der
letzte Hagel zum Tummelplätze erkoren haben mochte, war mein
Chef. Ich trat bescheiden näher, aber er winkte mir in spani-
scher Grandezza in noch bescheidenerer Ferne zu bleiben, und
redete mich mit den hoffnungsvollen Worten an: „Also sein
Sie neuer Obermagister? schön, auch gut, verdanken Sie vor-
erst mir, gni snm spectabilis, alles, was sie sein in unsrer
Stadt. Deutsche Sprache gut betreiben so wie ich, das ist
prima 1er und sind Sie auch noch svoins spiritnosus (geistrei-
cher Gesellschafter) so wird ihnen hier bald Alles canäeladrinm
(leichter) sein. Sie machen Verse? Laffen Sie bleiben, außer
befehle ich; Sie tragen Schnurbart? geht nicht, denn Sie sein
nur Schwab, also weg, sonst schicke ich Heiducken. Auch gut
bei Gott. Nun gehen Sie." Ich schlich mich ziemlich eingc-
schüchtert fort. Alles hatte ich mir durch eigne Thätigkeit er-
worben, nur mit dem Schnurbarte ging es nicht, ich hatte ge-
zupft und gestrichen an der Stelle, wo nur der größte Schmeichler
einige Flaumen ober der Lippe einen Schnurbart nennen konnte,
ich hatte mir viele Hoffnung und Kummer über diese junge
Pflanzung gemacht, und hätte sie, wenn es gefruchtet, gerne
durch Guano gefördert, aber Alles umsonst — und mein neuer
Autocrat sah hier das, was Niemand recht sehen konnte, einen
Schnurbart; den er sogleich mit seinem Jnterdicte belegte. Ich
wanderte trostreich und trostlos in die nahe Kaffeeschenke. Kaum
war ich sichtbar geworden in den Wolken des Tabackqualmes,
so flüsterte ein kleiner Schneider am nächsten Tische: „Der ist
es!" ihm nach brummte bald ein grimmiger Schunkenhündler:
„Der ist es!" Die Wirthin hinter dem Schanktische ächzte
schaudernd: „Der ist es!" ein wildbärtiger Jurat schlug den

Queue entzwei mit lautem Teremtete: „ist es!" und die nette
Aufwärterin stellte mir mein Glas mit einem schmachtenden
Blicke und einem senttmentalen Seufzer: „ach der ist es!" auf
den unsaubren Tisch. Mir stieg das Blut in das Gesicht:
Michel, sprach ich zu mir selbst, zeige dich und fordre volle
Antwort auf diese Halbfragen; doch mein Michel, du bist nur
ein Schwabe und Demuth vor allen Fremden ist die erste

Pflicht eines vollständigen Deutschen. Also
leerte ich gemächlich Glas auf Glas und
hielt am Ende das stete: „Der ist es!"
sammt dem Auf- und Zu- und dem Hin-
und Herrennen der Gäste für ein großes
Gesellschafts-Spiel. Aber die leidige Dich-
tung drückte und juckte mich zu einigen
I Strophen, deren Held ich selbst und deren Titel,

- auf die fast reine Rückseite der Speisekarte
i geschrieben, ominöser Weise: „das Inkognito"
j hieß. Der kleine Schneider hatte einen Blick
! über meine Schulter geworfen, und das „der
j ist es!" fand bald eine kleine Variation
durch das Inkognito! Satt an Speise
und Conversation verlangte ich eine Kammer
I und Schreibzeug. Letzteres ward schnell in
der Küche mittelst Zerriebener, gewäfferler Kohle, etwas Asche
als Streusand und dem Jammer einer Mastgans, der man ein
paar Federn entriß, improvisirt und eine Art Hühnertreppe
empor leuchtete mir das nette Schankmädchen, erwiderte freund-
lich einen octroiirten Kuß und enteilte mit dem stereotypen
Seufzer: „Der ist es!"

Die Ereigniffe der Reise und des Tages ließen inir wenig
Zeit zum Denken und Schreiben, ich sperrte die Thüre, that
das Licht aus und gab bald unzweifelhafte Proben, daß es mit
meinem Schlummer ernstlich gemeint sei. Da träumte mir, ich
sei Tyran von Syracus. Vor meinem Königsschloffe tobe und
lärme das Volk, an die Pforte pochen die Bewaffneten, und ich
sollte Rechnung legen und nicht fürder Tyran bleiben. Er-
schrocken wachte ich auf, da johlte es auf der Straße, da tobte
und lärmte es an meiner Thüre. „Heraus!" schrieen Einige;
„nicht heraus!" schrieen die Andren. „Aufgemacht!" die Ersten;
„nicht gerührt!" die Letzteren. Es war ein zweites Babel um
Haus und Hof. Ich machte Licht und fragte so herzhaft, als
nur möglich: „Zum Teufel was gibt es?" — „Aufgemacht;
die Waffen weg!" Nun wurde mir der Spuck zu arg, mir war
es leid um die kaum erträuinte Herrschaft von Syracus, ich
riß die Thür auf und starrte in einen wilden Landsturm von
Hellebarden, Ofengabeln und Czakans, welche eine auf drei
Schritte zurückweichende aufgeregte Menge mir entgcgenhielt.
„Die Waffen legen Sie erst ab!" zitterte der kleine bucklichte
Schneider zwischen zwei riesigen Panduren; „die Waffen ab,
sie sind verrathen und gerichtet, unter dem Fenster stehen drei
Bataillons mit 10 Kanonen, Sie rufen vergebens Ihre Spieß-
gesellen, ergeben Sie sich in Güte, oder ich laste die congrevi-
schen Raketen spielen, Kartätschen vor!" näselte er weiter, sich
noch tiefer hinter die Panduren ziehend. „Teremtete," brummte
der eine dieser Gewaltigen, „sein Sie gescheidtes, schad um
Ihnen, daß Schneider Sic entdeckte, kleines Grill; habe ich
Achtung vor Ihnen, Bruder Sobri, aber; ein Mal muß sein."
Er machte eine so unzweideutige Pantomime, daß ich unwill-
kührlich mit der Hand an den Hals griff. Die Vollblut-Ma-
gyaren lachten, sie freuten sich, daß ich sie verstanden und wir
so gewiffermaffen den übrigen aufgestürmten Nationalitäten des
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Dichterleiden"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stauber, Carl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schulleiter
Besuch
Bild <Motiv>
Stuhl <Motiv>
Schnurrbart
Bücherregal
Karikatur
Lehrer
Tabakspfeife
Hund <Motiv>
Innenraum <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Ungarn
Schwaben
Thema/Bildinhalt (normiert)
Verneigung <Motiv>
Vorstellung <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 11.1850, Nr. 264, S. 186

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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