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I
Farbige Stereo
Franz Xaver Steigert hat keine Ahnung von
Unruhe, die sich im Innern seiner Tochter mit der
Wirbelkraft eines, zum schnellsten Laufe gebrachten Wagen-
des drehte, und es war gut, daß es der wackere Mann
"icht ahnte, denn er hatte auch endlich von seiner Tochter
^gen müssen, auch sie sei „aus seiner Art geschlagen!"
Das Glück wollte es, daß Franz Xaver Steigerl,
wenn wir nicht irren in Folge eines „sonntäglichen Spazier-
Sanges" von Wien über das Gebirge nach Heiligenkreuz
"ud von da wieder über's Gebirge nach Purkersdorf und
retour nach Wien, so krank ward, daß er bald die letzte
zur letzten Grube machte. Wir sagen, es war ein
Glück, denn lange hätte sich Emmas still gehegte Leiden-
schaft sür's Fahren nicht mehr verbergen lassen, und das
hätte dem braven Mann das Herz gebrochen, ihm, der nun
seiner Unwissenheit über die extravaganten Neigungen seiner
Tochter mit dem rüstigen Schritte und der beherzten Zuversicht
eines ausgepichten Touristen in's Jenseits hinüberging.
o
Im Milchwagen.
Es gehört nicht zu den Seltenheiten des Lebens, daß
die verwaisten Kinder eines kleinen Beamten mit jenen Aus-
sichten in die Welt gestoßen sind, deren sich auch die Raben
und ähnliche verlassene Geschöpfe zu erfreuen haben, welche
"ach dem Ausspruche der Bibel der liebe Gott auch nicht
! verhungern läßt.
Wir haben also nicht nöthig, die Situation zu schildern,
- in welcher sich Otto und Emma Steigert befanden, als
! ihr Vater seinen Touristenstab hinlegte und tzch selber daneben,
> um die müden Glieder auszustrecken.
kopen aus Wien.
In der Geschichte der Beamtenwaisen spielen Onkel 1
und Tanten die Rollen der Feen und Zauberer, welche die
armen Kinder an der Hand nehmen, um sie aus dem Walde
der Verlassenheit heraus, und, wenn nicht immer in ein
Schloß aus eitlem Golde, aber doch an einen Tisch zu
führen, wo man einen Löffel Suppe und vielleicht an Sonn-
und Feiertagen ein Stück Fleisch findet.
Gott segne die Braven dafür, die in ihrer Einfachheit !
daö leisten, was der Staat trotz seiner großartig aus-
gesonnenen Pensivnseinrichtungen nicht zu leisten vermag, er
müßte denn für die Hinterbliebenen seiner Diener — Schul-
den machen wollen, zu welchem demoralisirenden Mittel wohl
Niemand wird rathen können. —
Doch wir kehren zu Otto und Emma zurück.
Otto fand einen Onkel, der ihn zu sich nahm, der
zwar nicht der Zauberer Merlin, aber dennoch ein Mann
war, der die Menschen nicht minder zauberhaft zu verwan-
deln wußte. Es war nämlich der Schneidermeister Steigert,
der nun seinen Neffen Otto zum Ausschreiben der Rechnungen
verwendete. Da dem jungen Nechnungsführer, der Zierlich-
keit wegen, empfohlen wurde, sich bei Ausfertigung der
Noten hübsch Zeit zu lassen, so war Otto mit seiner
Stellung ziemlich zufrieden.
Emma hatte indeß folgende zwei Zuschriften von zweien
ihrer Tanten erhalten:
Nr. 1. „Liebe Nichte! Ich beabsichtige, Dich als Ge-
hilfin in meine Nähschule zu nehmen. Du erhältst Kost
und Quarlier und wirst Zeit genug finden, Dir durch
Handarbeiten so viel zu verdienen, um Dir Schuhe und
dergleichen anzuschaffen. Bist Du einverstanden, so mache
Dein Bündel zusammen und übersiedle zu mir.
®*en- Deine Tante
Eva Meznizek, geb. Steigerl,
Inhaberin einer Näh-, Strick- und Stickschule
und Vorsteherin einer Weißnäh-Anstalt."
Rr. 2. ^Libe Emmah! Ich halte es fir Flicht, meines
armen Bruhdcrs Kind nach Gräften zu unterstitzen. Ich
nehme Dich also zu mir, wenn Du entschlosen bist, mir in
meinem Geschäft behilflich zu sehn. Bedingung ist, daß Du
täglich um 6 Uhr srih mit dem Milchwag er l in die
Stadt fährst, weil ich die Sache nicht gern in fremde
Hende sehen will. Schreibe, ob Du magst. Das Jbrige
wird sich finden.
Kathi Schepenhammer, geb. Steigerl,
Milchmeierswitwe in Sievering."
Für wen entschied sich Emma? — Für Nr. 2.
Die Aussicht aus eine tägliche Fahrt nach der
Stadt gab den Ausschlag.
„Ich werde mir das Zeugl fesch Herrichten!" sagte
das Mädchen zu jrch und ließ schon in Gedanken die Peitsche
knallen, unter deren Schall sie nun in die Welt hinein zu
kutschiren gedachte.
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Farbige Stereo
Franz Xaver Steigert hat keine Ahnung von
Unruhe, die sich im Innern seiner Tochter mit der
Wirbelkraft eines, zum schnellsten Laufe gebrachten Wagen-
des drehte, und es war gut, daß es der wackere Mann
"icht ahnte, denn er hatte auch endlich von seiner Tochter
^gen müssen, auch sie sei „aus seiner Art geschlagen!"
Das Glück wollte es, daß Franz Xaver Steigerl,
wenn wir nicht irren in Folge eines „sonntäglichen Spazier-
Sanges" von Wien über das Gebirge nach Heiligenkreuz
"ud von da wieder über's Gebirge nach Purkersdorf und
retour nach Wien, so krank ward, daß er bald die letzte
zur letzten Grube machte. Wir sagen, es war ein
Glück, denn lange hätte sich Emmas still gehegte Leiden-
schaft sür's Fahren nicht mehr verbergen lassen, und das
hätte dem braven Mann das Herz gebrochen, ihm, der nun
seiner Unwissenheit über die extravaganten Neigungen seiner
Tochter mit dem rüstigen Schritte und der beherzten Zuversicht
eines ausgepichten Touristen in's Jenseits hinüberging.
o
Im Milchwagen.
Es gehört nicht zu den Seltenheiten des Lebens, daß
die verwaisten Kinder eines kleinen Beamten mit jenen Aus-
sichten in die Welt gestoßen sind, deren sich auch die Raben
und ähnliche verlassene Geschöpfe zu erfreuen haben, welche
"ach dem Ausspruche der Bibel der liebe Gott auch nicht
! verhungern läßt.
Wir haben also nicht nöthig, die Situation zu schildern,
- in welcher sich Otto und Emma Steigert befanden, als
! ihr Vater seinen Touristenstab hinlegte und tzch selber daneben,
> um die müden Glieder auszustrecken.
kopen aus Wien.
In der Geschichte der Beamtenwaisen spielen Onkel 1
und Tanten die Rollen der Feen und Zauberer, welche die
armen Kinder an der Hand nehmen, um sie aus dem Walde
der Verlassenheit heraus, und, wenn nicht immer in ein
Schloß aus eitlem Golde, aber doch an einen Tisch zu
führen, wo man einen Löffel Suppe und vielleicht an Sonn-
und Feiertagen ein Stück Fleisch findet.
Gott segne die Braven dafür, die in ihrer Einfachheit !
daö leisten, was der Staat trotz seiner großartig aus-
gesonnenen Pensivnseinrichtungen nicht zu leisten vermag, er
müßte denn für die Hinterbliebenen seiner Diener — Schul-
den machen wollen, zu welchem demoralisirenden Mittel wohl
Niemand wird rathen können. —
Doch wir kehren zu Otto und Emma zurück.
Otto fand einen Onkel, der ihn zu sich nahm, der
zwar nicht der Zauberer Merlin, aber dennoch ein Mann
war, der die Menschen nicht minder zauberhaft zu verwan-
deln wußte. Es war nämlich der Schneidermeister Steigert,
der nun seinen Neffen Otto zum Ausschreiben der Rechnungen
verwendete. Da dem jungen Nechnungsführer, der Zierlich-
keit wegen, empfohlen wurde, sich bei Ausfertigung der
Noten hübsch Zeit zu lassen, so war Otto mit seiner
Stellung ziemlich zufrieden.
Emma hatte indeß folgende zwei Zuschriften von zweien
ihrer Tanten erhalten:
Nr. 1. „Liebe Nichte! Ich beabsichtige, Dich als Ge-
hilfin in meine Nähschule zu nehmen. Du erhältst Kost
und Quarlier und wirst Zeit genug finden, Dir durch
Handarbeiten so viel zu verdienen, um Dir Schuhe und
dergleichen anzuschaffen. Bist Du einverstanden, so mache
Dein Bündel zusammen und übersiedle zu mir.
®*en- Deine Tante
Eva Meznizek, geb. Steigerl,
Inhaberin einer Näh-, Strick- und Stickschule
und Vorsteherin einer Weißnäh-Anstalt."
Rr. 2. ^Libe Emmah! Ich halte es fir Flicht, meines
armen Bruhdcrs Kind nach Gräften zu unterstitzen. Ich
nehme Dich also zu mir, wenn Du entschlosen bist, mir in
meinem Geschäft behilflich zu sehn. Bedingung ist, daß Du
täglich um 6 Uhr srih mit dem Milchwag er l in die
Stadt fährst, weil ich die Sache nicht gern in fremde
Hende sehen will. Schreibe, ob Du magst. Das Jbrige
wird sich finden.
Kathi Schepenhammer, geb. Steigerl,
Milchmeierswitwe in Sievering."
Für wen entschied sich Emma? — Für Nr. 2.
Die Aussicht aus eine tägliche Fahrt nach der
Stadt gab den Ausschlag.
„Ich werde mir das Zeugl fesch Herrichten!" sagte
das Mädchen zu jrch und ließ schon in Gedanken die Peitsche
knallen, unter deren Schall sie nun in die Welt hinein zu
kutschiren gedachte.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Farbige Stereoskopen aus Wien"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Vorstellung <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1019, S. 19
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg