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Warum Herr Heinrich von Stro

„Aber Heinrich, mein Junge, machst du dir denn gar
nichts aus der Musik?" höre ich die Tante fragen. Tantchen,
n^enn Du ordentlich hinhörst, wirst Du'S gleich merken. Es
ist gar keine Mnsik, waS die jungen Damen fcrvircn. Zum
Singvogel muß man geboren fein. — Die beste Dressur
Nlacht den Spatzen nicht zur Nachtigall. Von zehn Klavier
spielenden Mädchen lernen sieben nicht daö Geringste, trotz
ihrer 1095 Uebungsstundcn jährlich; zwei werden leidliche
Drehorgeln; eine ersetzt beinahe das Orchestrion — die
hundertste ist vielleicht zur Musik berufen — nicht aber zum
ttlavicrspicl, das gewiß und wahrhaftig eine Erfindung dcö
Vöfen ist.,

Comtcfsc Mathilde hat Recht: ich laufe halbe Tage
iang wie unsinnig im Felde umher, nicht, weil mir die Liebe
keine Ruhe läßt, sondern weil es mir Tag für Tag folgender-
maßen ergeht: Kaum erwacht, ja noch in meinem Morgen-
traum befangen, hör' ich'S trommeln und raffeln: „Le reveil
du lion.“ Es ist die blonde Miß mir gegenüber, die mit
ucht englischer Zähigkeit täglich sieben bis acht Stunden übt.
Verdrießlich fahre ich aus dem Bette — aber meine Morgen-
toilette ist noch nicht beendet, da beginnt eö über mir: „Der
Erlkönig" von Schubert, arrangirt von Liözt — herrlich,
Mcnn es nur bester verstanden und ausgeführt wäre, als
von der kleinen polnischen Gräfin! — Ich zünde meine
Zigarre an, suche den aufstcigcnden Grimm mit dem Kaffee
hinuntcrzuspülen und greife zur Zeitung, um über ihre
salschcn Nachrichten die falschen Töne zu vergessen. Plötzlich
fahre ich zusammen; unter mir geht es loS: „Fünfmal-

hundcrttausend Teufel!" vierhändig von den Töchtern des
berliner Gehcimrathes mit wahrhaft höllischer Bravour ge-
spielt. Neben mir wird das Fenster aufgemacht — „les
cloches du monastcre“ wimmern dem Sonnenschein entgegen,
Mährend im Parterre die leichtfertigste Polka heruntcrgerassclt,
und schräg gegenüber Chopin's „Marche funöbre“ auch heute
Mieder, wie seit drei Wochen, mit den obligaten Mißtöncn
Ungeübt wird. Ich ärgere mich — umsonst! Ich fluche —
Umsonst! Endlich nehme ich den Hut, stürze hinaus, durch
unser sogenanntes englisches Viertel, wo in jedem Hause
!mbcn, acht, zwölf klavierwüthige Frauen und Mädchen wohnen.
Hier klingt Czerny, dort Charles Meyer, hier Thalbcrg, dort
^iözt — da wird gar mein angcbeteter Beethoven von Van-
i'alcnhändcn mißhandelt — ich renne schneller, immer schneller,
und komme erst wieder zu mir, wenn ich die Lerchen ihr
einfaches Lied über den Feldern singen höre. Hätte ich nicht
tcn Gang Deines Prozesses überwachen wollen, lieber Onkel,
*d) wäre längst schon über alle Berge. Jetzt ist daö aber
fu Ende, ich habe hier nichts mehr zu thun. Darum seid
Mt, Onkel Ambrosius, Tante Marianne, laßt nrich unvcr-
i^dt in mein liebes Stromfeldc zurückkchrcn, sonst gehe ich in
Mgend eine Einöde, wo ich vor dem Klavierteufel sicher bin.

Euer vielgcmartcrtcr

Heinrich.

mfeld noch immer keine Frau hat. 12;>

Herrn Heinrich von Stromfeld. Dresden.

Junge, Du bist nicht klug! Wenn Du die klimpern-
den Schönen nicht leiden magst — und Du kannst recht
haben, daß sie auf die Länge der Zeit etwas unbequem wer-
den — so nimm Dir doch ein einfaches, häusliches Kind
aus dem Bürgerstande, daö zu solchen AlotriaS nicht Zeit
gehabt hat. Aber ich merke, Du bist trotz Allem, was Du
gelernt hast, ebenso unpraktisch, wie Dein Vater war; Gott
Hab' ihn selig!

So muß ich Dir denn wieder mal unter die Arme
greifen, denn ohne Braut, dabei bleibt's, mein Junge, kommst
Du mir nicht über die Schwelle. So höre denn und sei
gcscheidt, d. h. setze Dich auf die Eisenbahn und fahre nach
Leipzig. In dem Hause, dessen Adrcste ich einliegend schicke,
wohnt eine Bekannte von Dir, die blonde Helene, meines
ehemaligen Försters Kind. Sie hatte so schöne blaue Augen
weißt Du noch? Im Dorse hieß sie das Engelchcn. Ich
hatte mich mit ihrem Vater gezankt — er verließ meinen
Dienst, und ich hörte nicht, was aus ihm gcwordeu. Erst
vor einem halben Jahre erfuhren wir, daß er in Dürftigkeit
gestorben ist und daß seine wackere Helene die Mutter durch
ihrer Hände Arbeit ernährt. Meine Frau hat ihr seitdem
eine regelmäßige Unterstützung zukommen lasten und hat sie
auch mal ein paar Tage hier gehabt. Uns beiden hat's
daö Mädchen angethan — na das Weitere wirst Du ver-
stehen und endlich doch zur Einsicht kommen. Mir wär'S
recht, an der Kleinen gut zu machen, was mein alter Starr-
kopf an ihrem Vater gesündigt hat. Deine Tante läßt Dich
grüßen; sie denkt schon an Aussteuer und Hochzeitsschmauö.
Hoffentlich sicht Dich bald in Stromfelde

Dein treuer Onkel Ambrosius.

16*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Warum Herr Heinrich von Stromfeld noch immer keine Frau hat"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Flucht <Motiv>
Verweigerung
Mädchen <Motiv>
Zeitgeschmack
Klavier <Motiv>
Eheschließung
Klavierunterricht
Klavieretüde
Junger Mann <Motiv>
Karikatur
Klaviermusik
Klavierspiel
Musik <Motiv>
Ohr <Motiv>
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
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Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1032, S. 123

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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