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Memoiren aus dem Hofleben.
weil es in dem Schwänze ein paar bunte Federn mehr
hatte, als die andern.
Unser Hahn war ein martialischer schmucker Junker,
nicht wenig stolz darauf, daß er die Sporen trug. Er
schritt fast immer nur mit dem gravitätischen Schritte eines
Hofmarschalls einher, nahm, wann man ihm im geringsten
zu nahe zu treten schien, eine herausfordernde Miene an
und gerieth leicht in Zorn; denn er hielt gar sehr auf
Ehre. Seine Hauptbeschäftigung mochten übrigens seine
Herzensangelegenheiten bilden, obschon ihm seine amours
fast nur Verdruß zu bereiten schienen. Wenigstens eifer-
süchtig war er wie ein Othello und hatte oft Duelle mit
andern Hähnen. Er präscntirte sich gern und war schon in
aller Früh auf dem Düngerhaufen zu erblicken, wo er mit
lauter Stimme rief: „Sieh', ich bin hie!"
Dann und wann ließen sich auch zwei fremde diplo-
matische Truthähne sehen, die, vor Eifersucht und Aerger
sich aufblähend und im Gesicht blau werdend, einander auf
allen Schritten argwöhnisch verfolgten und beobachteten.
Sie verschwanden aber bald. Von dem einen weiß ich nicht,
wo er hingekommcn. In wohlunterrichteten Kreisen flüsterte
man sich zu, er sei mit einer geheimen Sendung betraut
worden und abgereist. Der andere aber starb den schönen
Tod für seinen Herrn, er wurde am Bratspieß geröstet.
Zu unserm Hof gehörte auch ein sehr gelehrter Storch.
Er stand den ganzen Tag, nachdenklich vor sich hinstarrend,
auf einem seiner metaphysisch dünnen Beine und kümmerte
sich so wenig um die Andern, als die Andern um ihn.
Uebrigens hielt er sich einen großen Theil des Jahres über
in Aegypten auf den Pyramiden auf.- Vcrmuthlich philo-
sophirte er an unserm Hofe über die Pyramiden, und aus
den Pyramiden über unfern Hof.
Von höchstem Einfluß und Ansehen aber war ein
großer Bock mit einem sehr ehrwürdigen Barte, allem An-
schein nach unser Commercicnrath. Er meckerte selten, aber jedes
„meck! meck!" von ihm hatte Gewicht. Die jungen Herren,
d. h. die Jungen meines Herrn, ritten zuweilen auf ihm,
und es war daher eine unverzeihliche Unbesonnenheit von
mir, daß ich ihn einst, als er ganz ungenirt mit seinen
Vorderfüßen aus meine Amtswohnung trat, in der Hitze in
das linke Hinterbein biß. Es hätte wenig gefehlt, so wäre
ich dcßhalb gänzlich in Ungnade gefallen. Mißliebig war
ich wenigstens eine lange Zeit hindurch.
Ein Individuum aber, vor dem ich mich ganz besonders
in Acht nehmen mußte, war die graue Hauskatze, die übrigens,
bei Licht besehen und genau gesprochen, ein grauer Hauskater
war. Obschon dieser Kater recht süß und freundlich zu
thun wußte, so sah man ihm doch gleich die Cabale und
das intrigante Wesen an den Augen an. Auch galt er
ganz allgemein als Zuträger und war als solcher um so
gefährlicher, als er als Kammerherr bei der Tochter des
HauseS — (denn in der Thal schlief er in ihrer Kammer)
— das unbedingteste Vertrauen seiner Herrin genoß. Und
da nun die Tochter wieder Alles bei der Mutter galt, und
die Mutter wieder den Vater regierte, so regierte der graue
Kater im Grunde mit einer Art von ministerieller Allgewalt
den ganzen Hof und wußte auch die leiseste Regung von
Opposition zu unterdrücken. Und so mußte
ich denn, trotz meiner liberalen Grundsätze,
äußerst höflich und freundlich gegen eine Person
aus, einem Geschlechte thun, dem das meinige
so feindselig ist, als die Montecchis den
Capulettis.
Montecchi und Capuletti! Ja ich be-
kenne es laut, daß auch ich nahe daran war,
ein Romeo zu werden und auf eine schimpf-
liche Weise aus meinem Geschlechte heraus
zu lieben. Der graue Kater starb, und an
seine Stelle kam diesmal ein Kammersräulein,
meine Julie, die junge liebenswürdige Miez-
miez. Ach, schon beim ersten Anblick machte
sie einen gewaltigen Eindruck auf mein da-
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Memoiren aus dem Hofleben.
weil es in dem Schwänze ein paar bunte Federn mehr
hatte, als die andern.
Unser Hahn war ein martialischer schmucker Junker,
nicht wenig stolz darauf, daß er die Sporen trug. Er
schritt fast immer nur mit dem gravitätischen Schritte eines
Hofmarschalls einher, nahm, wann man ihm im geringsten
zu nahe zu treten schien, eine herausfordernde Miene an
und gerieth leicht in Zorn; denn er hielt gar sehr auf
Ehre. Seine Hauptbeschäftigung mochten übrigens seine
Herzensangelegenheiten bilden, obschon ihm seine amours
fast nur Verdruß zu bereiten schienen. Wenigstens eifer-
süchtig war er wie ein Othello und hatte oft Duelle mit
andern Hähnen. Er präscntirte sich gern und war schon in
aller Früh auf dem Düngerhaufen zu erblicken, wo er mit
lauter Stimme rief: „Sieh', ich bin hie!"
Dann und wann ließen sich auch zwei fremde diplo-
matische Truthähne sehen, die, vor Eifersucht und Aerger
sich aufblähend und im Gesicht blau werdend, einander auf
allen Schritten argwöhnisch verfolgten und beobachteten.
Sie verschwanden aber bald. Von dem einen weiß ich nicht,
wo er hingekommcn. In wohlunterrichteten Kreisen flüsterte
man sich zu, er sei mit einer geheimen Sendung betraut
worden und abgereist. Der andere aber starb den schönen
Tod für seinen Herrn, er wurde am Bratspieß geröstet.
Zu unserm Hof gehörte auch ein sehr gelehrter Storch.
Er stand den ganzen Tag, nachdenklich vor sich hinstarrend,
auf einem seiner metaphysisch dünnen Beine und kümmerte
sich so wenig um die Andern, als die Andern um ihn.
Uebrigens hielt er sich einen großen Theil des Jahres über
in Aegypten auf den Pyramiden auf.- Vcrmuthlich philo-
sophirte er an unserm Hofe über die Pyramiden, und aus
den Pyramiden über unfern Hof.
Von höchstem Einfluß und Ansehen aber war ein
großer Bock mit einem sehr ehrwürdigen Barte, allem An-
schein nach unser Commercicnrath. Er meckerte selten, aber jedes
„meck! meck!" von ihm hatte Gewicht. Die jungen Herren,
d. h. die Jungen meines Herrn, ritten zuweilen auf ihm,
und es war daher eine unverzeihliche Unbesonnenheit von
mir, daß ich ihn einst, als er ganz ungenirt mit seinen
Vorderfüßen aus meine Amtswohnung trat, in der Hitze in
das linke Hinterbein biß. Es hätte wenig gefehlt, so wäre
ich dcßhalb gänzlich in Ungnade gefallen. Mißliebig war
ich wenigstens eine lange Zeit hindurch.
Ein Individuum aber, vor dem ich mich ganz besonders
in Acht nehmen mußte, war die graue Hauskatze, die übrigens,
bei Licht besehen und genau gesprochen, ein grauer Hauskater
war. Obschon dieser Kater recht süß und freundlich zu
thun wußte, so sah man ihm doch gleich die Cabale und
das intrigante Wesen an den Augen an. Auch galt er
ganz allgemein als Zuträger und war als solcher um so
gefährlicher, als er als Kammerherr bei der Tochter des
HauseS — (denn in der Thal schlief er in ihrer Kammer)
— das unbedingteste Vertrauen seiner Herrin genoß. Und
da nun die Tochter wieder Alles bei der Mutter galt, und
die Mutter wieder den Vater regierte, so regierte der graue
Kater im Grunde mit einer Art von ministerieller Allgewalt
den ganzen Hof und wußte auch die leiseste Regung von
Opposition zu unterdrücken. Und so mußte
ich denn, trotz meiner liberalen Grundsätze,
äußerst höflich und freundlich gegen eine Person
aus, einem Geschlechte thun, dem das meinige
so feindselig ist, als die Montecchis den
Capulettis.
Montecchi und Capuletti! Ja ich be-
kenne es laut, daß auch ich nahe daran war,
ein Romeo zu werden und auf eine schimpf-
liche Weise aus meinem Geschlechte heraus
zu lieben. Der graue Kater starb, und an
seine Stelle kam diesmal ein Kammersräulein,
meine Julie, die junge liebenswürdige Miez-
miez. Ach, schon beim ersten Anblick machte
sie einen gewaltigen Eindruck auf mein da-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Memoiren aus dem Hofleben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1039, S. 179
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg