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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 29.1906

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Takács, Zoltán: Eine unveröffentlichte Zeichnung Dürers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4255#0060
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EINE UNVERÖFFENTLICHTE ZEICHNUNG

DÜRERS.

Die in unserer Abbildung beigegebene Federzeichnung wird jetzt zum ersten Male ver-
öffentlicht. Sie befindet sich, aus der Collection Modene herstammend, in der Handzeichnungen-
sammlung des Louvre, unter den nichtausgestellten Blättern Dürers und seiner Nachahmer. Im
geschriebenen alten Katalog geht sie unter dem Namen des Meisters und trägt die Nummer 18.581.
Man sieht darauf links den Erlöser, wie er durch die Menge vor Pilatus geschleppt wird, der rechts,
in der Türe seines Hauses stehend, mit der Rechten auf Christus hinweist. Oben die Jahres-
zahl 1518, darunter das Monogramm.

Das Blatt wurde auch niemals eingehender besprochen. Nur Ephrussi erwähnt es an einem
versteckten Ort, bei der Beschreibung der grünen Passion (1504), mit der Bemerkung, Dürer erinnerte
sich bei dieser »Christus vor Caiphas« (sie!) darstellenden und 1518 ausgeführten Zeichnung leb-
haft an die entsprechende Szene der grünen Passion. Lippmann nahm das Blatt nicht auf.

Wir haben es hier, trotz allem Stillschweigen der Forschung, mit einer zweifellos eigen-
händigen Arbeit des Meisters zu tun, die, wenn auch nicht zu den besten, so doch zu den historisch
bedeutenden gehört und nichts anderes ist als eine um 1504 angelegte, aber erst im Jahre 1518
vollendete Umarbeitung des »Christus vor Pilatus« der grünen Passion. Die rechte Hälfte der
Komposition ist mit einer blasseren, Christus und die Verfolger sowie die Fortsetzung der Archi-
tektur nach hinten und einige korrigierende Züge am Kopfe des Statthalters sind mit einer viel
tieferen Tinte gezeichnet. Auch links bemerken wir aber die mit ganz leichten Federzügen hin-
geworfenen früheren Andeutungen der Figuren.

Daß die Figur des Statthalters mit dem architektonischen Rahmen um 1504 entstand, beweisen
alle stilistischen Eigentümlichkeiten, nämlich die noch ziemlich magere Bildung des ganzen Körpers,
die schmalen Draperiefalten, die engen, unklaren Strichlagen, die Grundformen der Hände und des
Kopfes mit der dürren, gebogenen, spitzen Nase. Zur Überprüfung wolle man unsere Figur mit
dem Pilatus auf der »Vorstellung« und der »Geißelung« der angeführten Folge, hauptsächlich
aber auf den Studien dazu vergleichen.

Die Menschenmenge mit dem Erlöser übt, trotz dem späten Datum der Vollendung, eine
ziemlich ungünstige Wirkung aus. Dürer mußte sich da eben in Grenzen bewegen, die seinem
geänderten Formgefühl widersprachen, und arbeitete infolgedessen nicht mit der gewohnten Freiheit.
Doch entsprechen auch hier alle Einzelheiten seinem damaligen Stil. Dieselbe künstlerische Hand-
schrift sehen wir in allen um 1518 gemachten Zeichnungen. Als Belege erwähnen wir nur: »Christus
am Ülberge« (1518), in der Sammlung des Louvre, dieselbe Darstellung in der Albertina und die
bekannten trophäentragenden Reiter zum Triumphzuge des Kaisers Maximilian. Daß in unserer
Zeichnung dieselben Grundformen der Hände, Augen, Nasen u. s. w. viel nachlässiger hin-
geschrieben erscheinen, erklärt sich ganz verständlich aus dem Umstand, daß der Meister seine
früher begonnene Studie nach vielen Jahren ohne weitere Absichten beendigte.

Zoltän Takäcs.



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