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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 29.1906

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Waldmann, Emil: Zum Neudruck einer Radierung von Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4255#0034
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ZUM NEUDRUCK EINER RADIERUNG VON

REMBRANDT.

Es ist kein schönes Gesicht, das dieser Mensch aus Rembrandts Welt hier hat. Nun kümmerten
aber dergleichen Erwägungen wie »schön« und »häßlich« Rembrandt ja auch nie in sehr hohem
Maße. Es waren ihm keine Gegensätze, diese Begriffe, wie sie uns heute es zu sein scheinen.
Sondern es waren ihm nur zwei verschiedene Stufen auf derselben Skala der menschlichen
Erscheinungswelt, zwei verschiedene Formen für ein und dieselbe Sache: die menschliche Natur.
Darum tun auch wir gut, nicht mit diesen Forderungen von Schönheit, die wir aus dem täglichen
Leben mitbringen, an Rembrandts Kunst heranzutreten. Wenn wir aber dennoch einmal für einen
Augenblick vergessen dürfen, daß dies ein Kunstwerk ist, und uns einbilden, dies sei Wirklichkeit,
dieser Mensch könne uns im täglichen Leben begegnen, so würden wir gewiß einen unbehag-
lichen Eindruck nicht los werden bei diesem verkniffenen Gesicht und diesem angespannten
Ausdruck. Vielleicht soll es ein nachdenkliches Schauen ins Wesenlose sein, ein abgewandter,
verlorener Blick. Aber dazu sind zu viele Spannungen in diesem Gesicht, der Mund ist zu hart
geschlossen und die Linie vom rechten Nasenflügel geht dazu zu straff zum Mundwinkel herunter.
Dieser Mann hat etwas Bestimmtes im Sinn, in das sich seine Gedanken hartnäckig festbohren,
wie die harten, fixierenden Augen bestimmt auf einen Gegenstand gerichtet sind. Diesen Ausdruck
hat Rembrandt festgehalten; ein Gesicht in starker Spannung sieht uns an, ein Gemisch von kühler
Intelligenz und ein wenig Verschlagenheit. Im ganzen ist die Darstellung in der Form sehr straff
behandelt, was sehr der Charakterisierung dient. Die Massen des Kopfes und der Brust sind fest
zusammengenommen, die Silhouette ist mit einem großen Zug geführt, geschlossen, nur wenige
weichere Übergänge, wie etwa unter dem rechten Ohr der Rand des Pelzkragens. Im übrigen Härte
und Strenge der Linienführung. Die allzu große Kahlheit in der Behandlung der Stirn und des
prall sitzenden Käppchens soll gemildert werden durch eine hervorquellende Locke. Aber sie ist
so unterschattet, daß sie nicht weich auf der Stirn liegt sondern ein wenig stramm und gesträubt
hervorsticht. Und damit nicht der weiche Eindruck, den der Pelz des Kragens hervorgerufen hat,
zu stark wird, ist dieser Kragen auf der Brust noch einmal durch eine gespannte Kette zusammen-
gehalten. Auch die Beleuchtung, in der dieser Kopf erscheint, ist nicht ruhig und weich, sondern
etwas scharf und gepreßt, was dadurch noch verstärkt wird, daß der Kopf allein sich von einem
hellen Hintergrund abhebt; ein zuckendes Licht liegt unter dem linken Auge. So steht dieser
Mensch vor uns, plötzlich, scharf, zu nah; unendlich unsympathisch -- etwa wie ein nächtlicher
Raubvogel. Aber die Summe von Ausdruck der menschlichen Physiognomie, die Rembrandt hier
geschaffen hat, ist höchst bewundernswert.

Das Blatt ist mit einer Jahreszahl versehen, es ist 1635 entstanden und gehört in die Reihe
der physiognomischen Studien, die besonders in jenen Jahren in großer Zahl entstanden, aber

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