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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Jahrbuch der K. K. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale — N.F. 2.1904

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Nr. 2
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Dörnhöffer, Friedrich: Ein Jugendwerk Lukas Cranachs
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https://doi.org/10.11588/diglit.29296#0263

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Ein Jugendwerk Lukas Cranachs

Die folgenden Zeilen sollen ein bisher in der
Cranachliteratur unbekanntes Bild der Reihe der
Werke dieses Meisters eingliedern. Und zwar
handelt es sich dabei nicht um eines jener vielen,
fast allzuvielen Bilder, die den späteren Jahren
des schon von seinen Zeitgenossen wegen der
Schnelligkeit seines Pinsels angestaunten Witten-
berger Malers oder gar seiner so überaus leistungs-
fähig organisierten Werkstatt ihre Entstehung
verdankten, sondern um ein Werk, dem in der
Reihe seiner Gemälde eine ganz besondere Stellung
zukommt; denn es ist, wenn ich nicht irre, an
die Spitze dieser Reihe zu stellen, als das früheste
der erhaltenen Bilder.

Bis vor gar nicht langer Zeit bildete das
nun dem Berliner Museum einverleibte Bildchen
„Ruhe auf der Flucht“, das durch Cranachs
Künstlerzeichen beglaubigt ist und die Jahreszahl
1504 trägt, die scharfe Grenze unseres Wissens
von seiner Kunst. Als Cranach dieses wundervolle
Gemälde schuf, war er 32 Jahre alt, also auf der
Höhe seines Lebens, er war verheiratet und wurde
Meister genannt; der Ruf seiner Kunst war nach
glaubwürdiger Überlieferung schon weit verbreitet.
Der kunstfreundlichste unter den deutschen Fürsten
dieser Zeit, Friedrich von Sachsen, berief ihn um
diese selbe Zeit als Hofmaler zu sich. Ebenso
unzweideutig wie diese äußeren Umstände lassen
die prächtigen Eigenschaften des Bildchens selbst
seinen Schöpfer als einen reifen Meister erkennen.

Allgemein wie es scheint und mit vollem
Rechte gilt heute das Werk als das schönste Bild
Cranachs überhaupt, ja es überragt sein übriges
Schaffen derart an poetischem Reiz, daß man, als
es zuerst in den Gesichtskreis der Forschung trat,
trotz der deutlichen Signatur zögerte, seine Ur-
heberschaft anzuerkennen.1) Heute ist es geschehen

1) Vgl. den Bericht Fr. Prellers bei Schuchardt, Leben
Cranachs 111 187.

und in der Tat ist das Bild mit den späteren
Werken des Malers durch so zahlreiche deutliche
Fäden verknüpft, daß man die herrschende An-
sicht gelten lassen muß, obwohl eine tiefer gehende
Betrachtung wohl immer wieder auf Rätselhaftes
stößt.

Es liegt hier ein Problem vor, das, wie es
scheint, noch nicht in voller Schärfe erkannt ist.
So viele die Einheit der Hand verbürgende Einzel-
heiten an dem Bilde von 1504 und manchem
spätem Werke des sächsischen Meisters nach-
gewiesen werden konnten, so darf doch nicht über-
sehen werden, daß in wesentlichen Punkten zwischen
ihm und dem in chronologischer Folge nächsten
Werke Cranachs — den „Vierzehn Nothelfern“ in
Torgau, höchstwahrscheinlich 1505 entstanden, —
an das sich die ganze weitere Entwicklung ohne
Widersprüche, ja in langweiliger Klarheit an-
schließt, eine Kluft liegt. Derselbe Künstler, der eben
noch alle Erscheinungen aus gleicher Entfernung
betrachtend, Landschaft und Figuren sowohl per-
spektivisch als malerisch vorzüglich als Einheit
zu erfassen vermochte,1) tritt plötzlich in tastende
Nähe an die Figuren heran, in schärfster Erfassung
und plastischer Ausbildung des Einzelnen den
räumlichen Zusammenhang preisgebend. An Stelle
einer reizvoll freien, aber doch klargeschlossenen
Komposition tritt ein Übereinander, ja Ineinander
von Figuren auf dunklem Grunde, von denen jede
für sich einem besonderen Raume angehört; die
frische, aber doch zarte Poesie, die das Werk von
1504 belebte, ist durchweine energische, aber etwas
trockene Charakteristik verdrängt. Wieder ein
Jahr später — „Martyrium der hl. Katharina“
in der Dresdener Galerie, bezeichnet und datiert
1506 — begegnet uns dasselbe raumlose Gemeng-
sel von Figuren, deren Individualisierung jetzt

p Vgl. Friedländer, Die frühesten Werke Cranachs im
Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen XXIII 231.
 
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