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Fr. Weilbach, Der alte Athenatempel auf der Burg.

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DER ALTE ATHENATEMPEL AUF DER BURG.
1.
Der Streit um den alten Athenatempel kann nicht als abgeschlossen gelten.
Während Wilhelm Dörpfeld und seine Anhänger alle Stellen, wo ein αρχαίος νεώς
τής Αθήνας oder τής Πολιάδος genannt wird, auf das von ihm entdeckte Hekatompedon
beziehen, behaupten seine Gegner, u.a. Ad. Michaelis und E. Petersen, daß diese
Namen das Erechtheion bezeichnen, das ja auch in der großen Bauinschrift (C. I.
A. I 322) ό νεώζ δ έμ πόλει, έν ω τδ άρχαΐον άγαλμα genannt wird.
Ebenso gehen die Ansichten über den Fortbestand des Hekatompedon nach
den Perserkriegen weit auseinander. Dörpfeld glaubt beweisen zu können, daß der
Tempel noch zu Pausanias’ Zeit und vielleicht bis in die byzantinische Zeit bestanden
habe. Seine Gegner, welche die ganze Beschreibung des Pausanias (I, 26, 5—27,2)
auf das Erechtheion beziehen, finden keinen Grund anzunehmen, daß der Tempel,
von dem ja fast nur die Fundamente übrig sind, so lange gestanden habe. Einige
von ihnen, wie J. G. Frazer (Journ. of Hell. Studies 1892/93 S. 153) leugnen über-
haupt, daß das Hekatompedon nach den Perserkriegen wieder aufgebaut worden
ist. Aber welcher Tempel ist dann im Jahre 406 abgebrannt bzw. vom Feuer an-
gegriffen worden? Bei Xenophon (Hell. I, 6, 1) haben wir bekanntlich die Nach-
richt: ο παλαιός τής’Αθηνάς νεώς έν’Αθήναις ένεπρήσθη. Das kann sich doch nicht wohl auf
das Erechtheion beziehen. Αρχαίος νεώς konnte dieser Tempel vielleicht genannt wer-
den, insofern er an Stelle eines älteren Tempels gebaut war und uralte Heilig-
tümer barg; aber παλαιός konnte der nagelneue Bau unmöglich genannt werden.
Aus diesem Grunde nimmt Ad. Michaelis (Jahrbuch 1902, S. I-—31) an, daß das
Hekatompedon nach den Perserkriegen wieder aufgebaut wurde, daß es später, als
das Erechtheion gebaut wurde, abgebrochen werden sollte, jedoch bis zum Jahre
406 stehen blieb, wo der Brand den Athenern die Mühe der Niederreißung ersparte.
Nach Michaelis sollte also zu Ende des 5. Jahrhunderts ein Tempel auf der Burg
αρχαίος νεώς, ein anderer παλαιός νεώς geheißen haben — ein etwas sonderbarer
Sprachgebrauch.
Überhaupt stößt — wie im Folgenden gezeigt werden soll -— die Erech-
theiontheorie auf ebenso große Schwierigkeiten wie die Dörpfeldsche. Wir müssen
deshalb die Frage stellen, ob es nicht eine dritte Lösung gibt. Ich halte diese
Frage für außerordentlich wichtig; denn auf ihrer richtigen Beantwortung ruht
das Verständnis einer ganzen Reihe von Inschriften und Autorenstellen.
Gegen Dörpfelds Theorie sind von seinen Gegnern gewichtige Einwendungen er-
hoben worden. Die erste und nächstliegende ist diejenige, die sich jedermann bei Be-
trachtung der erhaltenen Baureste aufdrängt. Das Hekatompedon ist bis auf die Fun-
damente zerstört, und die Art und Weise, wie die Korenhalle über die Fundamente
der Ringhalle hineingebaut ist, spricht nicht dafür, daß der Tempel gleichzeitig mit
dem neuen Erechtheion gestanden hat. Dörpfeld meinte erst (A. Μ. XII S. 31),
daß das Hekatompedon nach dem Perserbrande ohne Ringhalle wieder aufgebaut
 
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