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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 3
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Scheffler, Karl: Gelegentlich der Herbstausstellung der Berliner Sezession
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Scheffler, Karl: Winckelmann 1717-1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0133

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Propheten gerät. Das sind nur drei Beispiele, wie die
Ausstellung sie zufallig darbietet. Man könnte sie will-
kürlich vermehren; aber darauf kommt es ja nicht an.

Schändlich ist es, wie die Zeit — immer noch, trotz
des Krieges — diesen Kunst- und Kulturbetrieb fördert
und wie der reine Idealismus junger Talente in diesem
parvenühaften Betrieb hineingezogen und befleckt
wird. Um so trauriger ist es, als man keiner einzelnen
Persönlichkeit die Verantwortung dafür zuschieben
darf, als jeder einzelne irgendwie Opfer des Wahns ist,
diese barbarische Betriebsamkeit sei ein Zeichen von
Kultur. Man wird in solchen Ausstellungen jenen
Vers Goethes nicht los, worin er fordert, man solle
jeglichen Schwärmer im dreissigsten Jahre an's Kreuz-
schlagen, weil er in der Folge, wenn er die Welt erst
kennt, sicher ein Schelm würde. In einem solchen
lärmenden, ehrgeizigen Kunstbetrieb, dem es an festen
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen fehlt,
muss der Idealismus früher oder später notwendig For-
men annehmen, die ihn wie Schwindel erscheinen lassen.
In der deutschen Kunst wimmelt es heute schon von
betrogenenBetrügern, von Schwärmern, die vomSchelm
gar nicht mehr weit entfernt sind.

Muss denn jede Ausstellung ins Sensationelle ge-
raten? Der rechte Kunstfreund wird damit nur ver-
trieben; und die blöde Menge vermag diesen Kunst-
freund doch nicht zu ersetzen. Müssen Künstlerver-
einigungen denn immer in's Unternehmerhafte schlagen ?
Sollte nicht vielmehr die Erziehung zur Qualität, die

gegenseitige Steigerung des Könnens wichtiger sein?
Die Nazarener, denen bewusst und unbewusst von
so vielen Jungen heute nachgeeifert wird, verschlossen
sich in einem italienischen Kloster vor dem lauten
Treiben der Welt. Darin war zweifellos AfFektation,
aber es war auch echte Vornehmheit darin. Sollte
nicht der Künstler einer der ersten sein, der wieder ein
Beispiel echter Vornehmheit giebt, indem er den Lärm
des Markts und des Tages mehr scheut als sucht und
den Ruf einer in einem kurzen Lustrum zu erlangenden
Meisterschaft verachtet?

Das sind einige Empfindungen angesichts einer
Ausstellung, die manches Gute und Anregende enthält,
die aber auch bezeichnend ist für die ruchlose Ungeduld
der von dem Neuen schnell zu etwas noch Neuerem
eilenden Zeit. Und in der das wahrhaft, das bleibend
Neue doch kaum zu finden ist. Ich sollte nun wohl
eigentlich von den einzelnen Werken der Ausstellung
noch sprechen und auf alles Wertvollere hinweisen.
Aber nach diesen allgemeinen Anmerkungen mag ich
in den Ton einer konventionellen Berichterstattung
nicht einlenken. Es käme doch nur auf die Konstatierung
hinaus, dass das Talent an allen Wegen heute wild
wächst, dass es aber überall fast an Zucht fehlt. Viel-
leicht ist es noch zu früh eine Diagnose zu versuchen.
In einigen Jahren werden wir sehen, ob der ungeheure
Aderlass dieses Krieges auch auf die sozusagen mora-
lische Gesinnung der Kunst eine wohlthätige Folge
haben wird.

WINCKELMANN

17 i 7— 191 7

Am 9. Dezember jährt sich zum zweihundertstenMale
der Geburtstag Johann Joachim Winckelmanns.
Sein Name wird von jedem Deutschen mit Ehrfurcht
genannt, trotzdem seine Schriften, ausserhalb des Kreises
der Kunstgelehrten, kaum noch gelesen werden, trotz-
dem seine Lehre überlebt ist. Der Name bezeichnet
längst nicht mehr ein bestimmt umschriebenes Lebens-
werk, er ist den Deutschen vielmehr zu einem all-
gemeinen KulturbegtifF geworden. Mit dem Namen
Winckelmann ist dem Deutschen für alle Zeiten ein
Jahrhundert verbunden, das er in seiner Geschichte
vor allen andern Zeiten liebt, das Jahrhundert seiner
klassischen Denker. Es ist heute müssig, zu untersuchen,
ob dieser merkwürdige und bedeutende Geist der
deutschen Kunst durchaus zum Segen gelebt hat, ob
die Bildungskunst und Bildungskultur, die er in erster
Linie heraufgeführt hat, nicht ein edler Irrtum war.
Wie es scheint, war diese klassizistische Bewegung
geschichtlich notwendig, sonst hätte sie nicht Deutsch-
land, ja Europa so vollständig ergriffen und länger
als ein Jahrhundert beherrscht. War sie aber not-
wendig, so muss man es als ein nationales Glück
bezeichnen, dass der erste Anstoss und der entschei-

dende Einfluss von einem so reinen Willen, einem so
klaren Geist und einem Menschen so keuschen Ge-
fühls ausging. Auf den Lebensweg Winckelmanns
kann man nicht ohne Ergriffenheit blicken. Mühsam
hat sich der arme Schuhmacherssohn aus der Tiefe
heraufgehoben, spät hat der Autodidakt, nachdem er
Theologie studiert hatte, Hauslehrer, Erzieher, Korrek-
tor und Bibliothekar gewesen war, seine Lebensaufgabe
erkannt und unendliche Widerstände musste er brechen.
Und doch ist selten der Lebensweg eines bedeutenden
Mannes in der Idee so gerade aufs Ziel gerichtet ge-
wesen und so beständig emporgestiegen. Dass der
niedere Handwerkerssohn zum Leiter der höchsten und
edelsten Bildung eines grossen Volkes werden konnte,
dass er das Geistige seiner ganzen Nation in einer
neuen Weise zu adeln vermochte: das ist das Un-
sterbliche in der Gestalt Winckelmanns. Der Drang
sich unablässig zu vervollkommnen, immer weiter
emporzusteigen und sein imaginäres Ideal selbst zu
leben: das hat ihn zu einer symbolischen Erscheinung
gemacht. Vor den Augen der Deutschen steht dieser
schöne Geist in verklärter Heiterkeit da, wie ein Lieb-
ling seiner Griechengötter. K. Sch.

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