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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Schumann, Paul: Neue Erwerbungen der Dresdner Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0141

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 24. 22. März 1918

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr.IIa.
Abonnenten der Zeitschr. f. bild. Kunst erhalten Kunstchronik u. Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 40 Pf. für die dreigespalt. Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

NEUE ERWERBUNGEN
DER DRESDNER GALERIE

Die drei Gemälde, die der sächsische Staat vor
einigen Wochen in der Versteigerung der von Kauf-
mannschen Sammlung erworben hat, der Zeugentod
des heiligen Bartholomäus von Holbein d. Ä., ein
männliches Bildnis und die Geburt Christi von Lukas
Cranach d. Ä., sind jetzt in der Dresdner Galerie im
altdeutschen Saale aufgestellt worden. Der Ankauf
ist besonders erfreulich, denn gerade die altdeutsche
Kunst ist in der berühmten Sammlung am schwächsten
vertreten, während die niederländische und die italie-
nische Kunst wie bekannt von jeher den Ruhm der
Galerie ausgemacht haben. Dem erfreulichen und
berechtigten Wunsche, gerade die deutsche Abteilung
zu ergänzen, kamen die Verhältnisse bei der Ver-
steigerung von Kaufmann entgegen, denn mögen die
Preise, die für die drei Gemälde gezahlt worden sind,
an sich hoch sein, so entsprechen sie doch im ganzen
den Preisen, die nun einmal jetzt für künstlerisch
hochwertige Gemälde gezahlt werden, während be:
kanntlich für andere Gemälde die Preise bei der von
Kaufmannschen Versteigerung in die Hunderttausende
gingen, damit aber für die Dresdner Galerie uner-
schwinglich wurden.

Die altdeutsche Kunst hat jahrhundertelang in der
Wertschätzung — nicht zuletzt bei uns selbst — zu-
rückstehen müssen hinter der italienischen Kunst. Der
Humanismus, die Schwärmerei für die Antike und für
die italienische Renaissance hatte die alte deutsche
Kunst einfach totgemacht und die Aufklärung voll-
endete das Werk der Mißachtung des »finstern Mittel-
alters« mitsamt seiner Kunst. Fast zwei Jahrhunderte
fragte kein Gebildeter nach Dürer und seinen deutschen
Zeitgenossen, viel weniger noch nach ihren Vorgängern.
Erst die Romantik hat da wieder Wandel gebracht.
Schon »dem jugendlichen Überschwang Goethes trat
die herbe Deutschheit Dürers riesengroß vor Augen«,
und mit Wackenroders Herzensergießungen eines kunst-
liebenden Klosterbruders, zu denen auch Tieck einiges
beigesteuert hatte, beginnt »eine gläubig verehrende
Hingabe an altdeutsches Wesen und altdeutsche Kunst«,
die die deutsche Kultur der Romantik stark mitbestimmt
hat. Sind wir seitdem von der »falschen Rührung
für die fromme Kunst« des Mittelalters zurückge-
kommen, so ist doch die Schätzung der altdeutschen
Kunst, zum mindesten der eines Albrecht Dürer und
. eines Holbein des Jüngeren uns ein wohl nun un-
verlierbares Erbteil geblieben, ja die künstlerische
Schätzung dieser Großmeister deutscher Kunst ist seit
der Romantik noch gewaltig gewachsen. Nicht wenig
hat auch Ernst Heidrichs vorzügliches Werk über die

altdeutsche Malerei, dem wir oben einige Sätze ent-
lehnt haben, sicherlich dazu beigetragen, die Wert-
schätzung zu steigern. Daß diese alte deutsche Kunst
auch volkstümlich werde, dafür wollen billige Nach-
bildungen sorgen, die uns seit etwa zwei Jahrzehnten
beschert werden. Da ist schon viel erreicht, aber immer-
hin erstreckt sich diese verhältnismäßige Volkstümlich-
keit nur auf wenige Großmeister, die altdeutsche Kunst
als Ganzes, besonders auch die Plastik, ist in weiteren
Volkskreisen noch wenig bekannt und noch weniger
geschätzt. In Dresden im besonderen mag dazu nicht
wenig die Scheidung der deutschen Kunst in zwei
Museen beigetragen haben: in der Gemäldegalerie und
im Albertinum sucht man die Kunst, was aber im
Palast des großen Gartens untergebracht ist, das sind
für die meisten Leute Altertümer, wenn nicht gar
kulturgeschichtliche Kuriositäten. Einstweilen läßt sich
die örtliche Scheidung nicht ändern. Sie veranschau-
licht allerdings den Wiederbeginn der Schätzung alt-
deutscher, im besonderen altsächsischer Kunst in den
1820er Jahren, während die Galerie und die Skulpturen-
sammlung die Kunstbegeisterung und den Schönheits-
sinn Augusts des Starken und seines Nachfolgers uns
andauernd ins Bewußtsein rufen.

Von Hans Holbein dem Älteren, dem Vater des
berühmteren Sohnes, besaß die Dresdner Galerie bisher
überhaupt nichts. Mit dem neu erworbenen Gemälde
ist also tatsächlich eine empfindliche Lücke ausgefüllt
worden. Er wurde 1416 zu Augsburg geboren und
starb 1524 im Elsaß. Von Martin Schongauer aus-
gehend erreichte er allmählich in seinen besten Werken
eine größere Meisterschaft, die sich von der altertüm-
lichen Auffassung mehr und mehr freimachte. Seine
Hauptwerke sind in Augsburg, in München und in
Lissabon zu finden; sein gezeichnetes Selbstbildnis im
Museum zu Chantilly.

Das nunmehrige Dresdener Gemälde stellt den
Zeugentod des heiligen Bartholomäus dar. Dieser war
bekanntlich einer der zwölf Apostel Jesu und soll das
Christentum in Indien, d. i. im glücklichen Arabien,
gepredigt haben, nach einer anderen Sage in Arme-
nien geschunden worden sein. Sein Zeugentod war
wie das Martyrium aller Heiligen im Mittelalter ein
beliebter Gegenstand der Malerei. Uns ist ja sicher-
lich eine solche Darstellung nicht besonders angenehm;
damals stieß man sich offenbar nicht daran, sondern
wurde durch solche Darstellungen zu frommer An-
dacht und zu schauderndem Mitleid erregt. Auf dem
Bilde geht das Martyrium in aller Sachlichkeit ohne
alle Erregung vor sich. Man sieht, wie die Ruhe der
Darstellung und die ganz sorgfältig abgewogene Kom-
position die naturgetreue Schilderung der Qualen und
die etwaige Wirkung auf die Teilnehmer überwunden
 
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