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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Clemen, Paul: Die Zerstörung der großen kirchlichen Baudenkmäler an der Westfront
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0249

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 42. 13. September 1918

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark.
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DIE ZERSTÖRUNG DER GROSSEN KIRCHLICHEN BAUDENKMÄLER

AN DER WESTFRONT

In dem Zustand der großen Baudenkmäler an der
Westfront sind im Laufe der letzten zwölf Monate so
große und eingreifende, für die ganze Kunstwelt so
schmerzliche Veränderungen eingetreten, daß es als
eine Notwendigkeit erscheint, diese Tatsachen auch an
dieser Stelle für die Fachgenossen in einer vorläufigen
Gestalt festzulegen. Was durch die oberste Heeresleitung
in den Heeresberichten, Funksprüchen und Wolffschen
Telegrammen mitgeteilt ist, was unter Benutzung amt-
lichen Materialsoder imamtlichenAuftragein Broschüren-
form gesagt war, was endlich die Tagespresse gebracht
hat, droht in der Hochflut der Einzeldokumente unterzu-
gehen, deren Bewältigung heute schon der Historiker des
Krieges kaum mehr gewachsen ist. Nach dem Kriege
soll in anderer und umfassenderer Form dies Thema
seine Darstellung von deutscher und österreichischer
Seite finden. Hier seien nur die Fakta vorgelegt. Es
ist eine lange, erschütternde Verlustliste — und die
hier gegebenen Namen treffen dabei ausschließlich
doch nur die großen, die für die Kunstgeschichte
wichtigsten Monumente, die Bauten, um die sich die
übrigen gruppieren; auf die Aufzählung der kleineren
muß hier von vornherein verzichtet werden.

Je länger dieser Krieg andauert, um ^so mehr wächst
automatisch die Zahl der Zerstörungen — und blu-
tenden Herzens, aber mit gebundenen Händen müssen
wir zusehen, wie die Zone der Verwüstungen sich
immer mehr vergrößert und wie der eherne Fuß des
Krieges neben unersetzlichen Menschenleben auch immer
neue unersetzliche Kunstwerke zu Boden tritt. Man
stelle sich vor, daß die Westfront im ganzen etwa
400 km lang ist und daß im Durchschnitt gerechnet
ein Streifen von 60 km Tiefe beiderseits der sich hin
und her schiebenden äußersten Grabenlinie zerstört
ist. Das gibt eine Vernichtungszone von insgesamt

Der obenstehende zusammenfassende Bericht schließt
sich an die früheren Referate desselben Autors in der Kunst-
chronik an (Über den Zustand der Kunstdenkmäler in
Belgien und Frankreich im Jahrgang 1914/15, N. F. XXVI,
Nrn. 9, 10, 17; Über die Kunstdenkmäler an der Ostfront
im Jahrgang 1915/16, N. F. XXVII, Nr. 13) und ergänzt
zugleich die Ausführungen in dem So-derheft der Zeit-
schrift für bildende Kunst 1916, N. F. XXVII, Heft 3, über
den Zustand der Baudenkmäler an der Westfront. Der
Verfasser, Oeh.Reg.-Rat Prof. Dr. phil. Dr. ing. h.c. Clemen,
ist seit dem Herbst 1914 durch die Oberste Heeresleitung
mit der Feststellung des Zustandes der Baudenkmäler im
Operations- und Etappengebiet und der Wahrnehmung der
Interessen der Denkmalpflege an ihnen betraut.

Die Redaktion.

24 000 qkm des besten Bodens Frankreichs und Bel-
giens, des dichtest bevölkerten, des wichtigsten histo-
rischen Gebietes, auf dem eng gedrängt alte Städte
und Bischofsitze standen, das durch die größte Zahl
von kirchlichen und profanen Denkmälern ausgezeich-
net war.

Von Westflandern zieht sich diese Linie quer durch
die alte Pikardie und Champagne nach Lothringen —
sie schneidet die fruchtbarsten Teile der Departements
Nord, Pas de Calais, Somme, Oise, Aisne, Marne,
Meuse heraus. Wo die Linie hin und her geschoben
worden ist und auf den blutgedüngten Schlachtfeldern
der Entscheidungskämpfe ein versumpftes Trichterfeld,
wo der Boden zerrissen, eingeebnet, völlig verwandelt
ist, wo zersplitterte Baumstämme an ragende Wälder
erinnern, die alten Markierungen verloren scheinen und
wo jedes Menschenwerk und jeder Bau von Menschen-
hand zu unerkennbaren Trümmern zusammenge-
schossen ist. In den bekannten Orten der Somme-
schlachten, der Flandernschlachten, der Champagne-
schlachten ist oft kaum der Platz mehr zu bezeichnen,
wo einst die Kirche gestanden hat. Ein totes Land,
dessen Geist erschlagen ist, zuletzt das Nichts, das
Schweigen, selbst das Aufhören der Landschaft in
ihrem alten Aufbau.

Nicht die Schuldfrage soll hier aufgeworfen werden,
die in den leidenschaftlichen und aufgeregten Erörte-
rungen unserer Gegner eine solche Rolle spielt —
über diese Einzelfrage wie über das Kriegsthema selbst.
Wenn der Blitz von Wolke zu Wolke überschlägt,
fragt man, von wo der elektrische Entladungsfunke
ausgegangen ist? Nicht um den törichten Vorwurf der
blindwütigen Barbarei zurückzugeben, sondern um die
furchtbare Notwendigkeit des Krieges zu zeigen, deren
unerbittlicher Logik sich die Stimmen der Entente auf
jede Weise zu entziehen trachten, ist es notwendig
gewesen, festzustellen, was im Osten die Russen, was
im Westen die Franzosen und neben ihnen die Eng-
länder und Belgier in der Kampflinie und hinter der
Kampffront zerstört haben, haben zerstören müssen.
Die grausame Ironie der Geschichte hat es in ihrer
tragischen Gerechtigkeit gefügt, daß bei dem Fort-
schreiten der Kämpfe an der Westfront Engländer,
Belgier und Franzosen, die ersten als schon längst
mißtrauisch betrachtete rücksichtslose Gäste auf dem
festländischen Boden, die letzteren im eigenen Lande,
durch die gleiche Kriegsnotwendigkeit wie wir ge-
zwungen worden sind, die ehrwürdigsten Baudenk-
mäler und kostbare Kunstwerke in der Frontlinie zu
 
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