Palma Vecchios „Ruhende Nymphen".
darftcllungen der Renaissance die antike Mythologie,
und zwar speziell die Metamorphosen des Ovid. Ovid
aber berichtet tatsächlich von einer Liebeswerbung, die
sich wenigstens scheinbar zwischen zwei Frauen abspicltc.
Er erzählt nämlich, wie Jupiter die schöne Calisto da-
durch verführte, daß er die Gestalt eines WeibeS — der
Diana, zu deren Gefolge Calisto gehörte — annahm und
sich so unverfänglich ihr näherte! Die Folgen dieser
Begegnung sind ja von der Kunst sehr häufig dar-
gestellt worden.
Jedenfalls handelt es sich auch hier um eine „Über-
redung zur Liebe" — ganz ähnlich wie auf Tizians
„himmlischer und irdischer Liebe", die etwa gleichzeitig
mit dem Frankfurter Palma entstanden ist, in der Zeit,
da die Kunst beider Meister sich am engsten mitein-
ander berührte. Deshalb ist es von besonderem Inter-
esse, zu konstatieren, daß beide Bilder auch in der
Figurengröße und in den Höhcnmaßcn der Bildfläche
übcreinstimmen, und daß schließlich auch beide Bilder
nach den gleichen Modellen gemalt sind. Vermutlich
sind also auch beide Bilder aus einer ähnlichen Ver-
anlassung und zu einen: ähnlichen Zweck entstanden:
cs sind Hochzeitsbilder, die den Neuvermählten zum
Schmucke des Schlafraumö gestiftet wurden.
G. Swarzenski.
in: Komm, Viktor, laß uns das neue
Bild sehen, das in der Galerie aufgestellt ist,
eine Neuerwerbung. Es soll herrlich sein, ein alter
venezianischer Meister malte eS.
Viktor: Heute, an diesem schönen Morgen, da die
Welt so fröhlich ausschaut? - Noch sendet uns der
Frühling die letzten Grüße: die Linden duften, und
schon ists, als drängte alles sich der Ernte zu und zur
Tätigkeit in schaffender Freude.
Flamin: Aber soll uns denn die Kunst diese
schaffende Freude nehmen? Hier empfängt sie uns
ja im Reichtum zum Genuß einladend. Komm, wir
wollen dorr die Marmorstuscn hinausstcigen.
Ah, da sehen wir schon das neue Bild! Wie schön!
Freude, Freude — schweigende Freude.
Viktor: Ich höre die lieblichen Gestalten reden.
Sie atmen Leben, und locken sie nicht Leben herbei?
Verbirgt sich nicbt eine ganze lärmende Gesellschaft hinter
den Büschen? Bald werden sie mit Geigen und Flöten,
Schellen und Tamburin einbrechen, ein Maökenzug
bunter Menschen, die Jugend in ihrem Triumph und
die Schönheit. Glückliche Zeiten, glückliche Menschen!
Flamin: Viktor, nicht bloß draußen im Vergäng-
lichen ist das Glück. Sieh es hier im Unvergänglichen,
im ewigen Spiegel der Kunst.
Auch aus jenem Bilde; wie fröhlich erschallt die
Musik durch den Wald, die sich biegenden Zweige
rauschen dazu rind cs ist, als klänge auch die Sonne
und spielte aus dem satten Grün der Blätter und der
Wiesen ihre heiteren Melodien.
Viktor: Ja, aber sic führt uns auch weiter in die
Schatten der Felsen, zu den engen Hütten und weit
hinaus in die bewölkte Ebene und zum Meer, aus dem
die Wolken sich austürmen. Sie verschwindet, und ein
Feuerschein brennender Städte erlenchtet den dunklen
Himmel. Dann aber sinkt der Schein zusammen, und
ruhig zieht der Mond am blaukristallnen Himmel
seine Bahn.
Flamin: Du führst mich, Freund, zu deinen Lieb-
lingen, den Niederländern. Nun sich auch, wie sie
Menschen schilderten in ihren Leidenschaften, mit der
Lust am Verbrechen.
Aber wir wollen auch nicht Vorbeigehen an den
königlichen Gestalten in ihren Prachtgcwändcrn, die uns
hier im Saale der Italiener empfangen. Leben, wie
ist eS lebenswert, wenn es so aus der Größe spielen
kann und hinwcgschreitet über daS Kleine.
Ists nicht so überall, wo wir auch hiusehen aus
die mit Bildern bedeckten Wände? Hier, nicht draußen
ist das Leben.
Viktor: Nein, Flamin, auch hier ist ein Kirchhof.
Ach und vielleicht einer der traurigsten! Sind cs nicht
doch Leichensteine, an denen nur vorbcigingen? Be-
schriebene Leichensteine allerdings. Aber nicht einmal un-
berührte, sondern zusamincngeschlepptc, von ihren hei-
mischen Ruheplätzen losgelöste. Und sehe ich nicht
überall fremde Hände, die daraus ihre Namen ge-
schrieben oder Späße dazugekritzelt und ihre Zeichen
dazugesetzt haben? Jede Zeit ihre anderen Zeichen. Ein
Friedhof — zum wievielten Male wohl — neu hergerichtet,
die alten Teile neu umgegraben, die Totenknochen
zusammcngeschüttet, einige umquarticrt, die neu ge-
wonnenen Plätze neu belegt.
Flamin: Mäßige dich. Wer wird die Phantasie so
spazieren führen, und hier! Das ist dichterische Leiden-
schaft und die macht die Menschen zu siebend und zu
grausam.
Viktor: Kann ich dafür, daß ich, wenn ich diese
Werke sehe, die alle zur Freude geschaffen sein sollen,
hinter ihnen auch ein Menschenschicksal sehe? Kennst du
das Leben der Maler, die hier schufen? Hörtest du von
jenem, der in Armut und Dürftigkeit verkam, von jenem,
der mitten im Glück hingestreckt wurde, und von jenem,
den daö Laster verdarb? Jedes dieser Kunstwerke ist
verwebt mit dem Schmerz so vieler Mitlebenden, mit
den vergeblichen Anstrengungen ringender Menschen;
und wo die Freude erscheint, tanzt sie hindurch wie
ein flüchtiger Sonnenstrahl, nur ein kleines, ach so
kleines. Bild der Sonne aus den Kirchhossgrund der
Erde malend.
Und alles das hier gesammelt, aufgespeichert, kata-
logisiert, von Beamten bewacht, ewig beschrieben, ewig
besprochen! Ein Spaß für müßige Besucher, ein Vor-
wurf und eine Anklage für die Nachschaffenden; niemals
kannst du allein sein, immer ein Lärm — und doch
ein Friedhof. Nicht wie der, zu dem du pilgerst, kiese
Trauer im Herzen, und weinend, und von dem du doch
getröstet zurückkehrst, weil du auch weißt, sie ruhen
dort still, entrückt von: Lärm, und dürfen warten und
hoffen, sondern sie hier, sie alle, sind, obwohl gestorben,
erst recht wieder hineingestoßen in den Strom der Tage
und können sich nicht retten. — Nein, Flamin, laß uns
diese Grabkammern verlassen. W. Steinhaufen.
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darftcllungen der Renaissance die antike Mythologie,
und zwar speziell die Metamorphosen des Ovid. Ovid
aber berichtet tatsächlich von einer Liebeswerbung, die
sich wenigstens scheinbar zwischen zwei Frauen abspicltc.
Er erzählt nämlich, wie Jupiter die schöne Calisto da-
durch verführte, daß er die Gestalt eines WeibeS — der
Diana, zu deren Gefolge Calisto gehörte — annahm und
sich so unverfänglich ihr näherte! Die Folgen dieser
Begegnung sind ja von der Kunst sehr häufig dar-
gestellt worden.
Jedenfalls handelt es sich auch hier um eine „Über-
redung zur Liebe" — ganz ähnlich wie auf Tizians
„himmlischer und irdischer Liebe", die etwa gleichzeitig
mit dem Frankfurter Palma entstanden ist, in der Zeit,
da die Kunst beider Meister sich am engsten mitein-
ander berührte. Deshalb ist es von besonderem Inter-
esse, zu konstatieren, daß beide Bilder auch in der
Figurengröße und in den Höhcnmaßcn der Bildfläche
übcreinstimmen, und daß schließlich auch beide Bilder
nach den gleichen Modellen gemalt sind. Vermutlich
sind also auch beide Bilder aus einer ähnlichen Ver-
anlassung und zu einen: ähnlichen Zweck entstanden:
cs sind Hochzeitsbilder, die den Neuvermählten zum
Schmucke des Schlafraumö gestiftet wurden.
G. Swarzenski.
in: Komm, Viktor, laß uns das neue
Bild sehen, das in der Galerie aufgestellt ist,
eine Neuerwerbung. Es soll herrlich sein, ein alter
venezianischer Meister malte eS.
Viktor: Heute, an diesem schönen Morgen, da die
Welt so fröhlich ausschaut? - Noch sendet uns der
Frühling die letzten Grüße: die Linden duften, und
schon ists, als drängte alles sich der Ernte zu und zur
Tätigkeit in schaffender Freude.
Flamin: Aber soll uns denn die Kunst diese
schaffende Freude nehmen? Hier empfängt sie uns
ja im Reichtum zum Genuß einladend. Komm, wir
wollen dorr die Marmorstuscn hinausstcigen.
Ah, da sehen wir schon das neue Bild! Wie schön!
Freude, Freude — schweigende Freude.
Viktor: Ich höre die lieblichen Gestalten reden.
Sie atmen Leben, und locken sie nicht Leben herbei?
Verbirgt sich nicbt eine ganze lärmende Gesellschaft hinter
den Büschen? Bald werden sie mit Geigen und Flöten,
Schellen und Tamburin einbrechen, ein Maökenzug
bunter Menschen, die Jugend in ihrem Triumph und
die Schönheit. Glückliche Zeiten, glückliche Menschen!
Flamin: Viktor, nicht bloß draußen im Vergäng-
lichen ist das Glück. Sieh es hier im Unvergänglichen,
im ewigen Spiegel der Kunst.
Auch aus jenem Bilde; wie fröhlich erschallt die
Musik durch den Wald, die sich biegenden Zweige
rauschen dazu rind cs ist, als klänge auch die Sonne
und spielte aus dem satten Grün der Blätter und der
Wiesen ihre heiteren Melodien.
Viktor: Ja, aber sic führt uns auch weiter in die
Schatten der Felsen, zu den engen Hütten und weit
hinaus in die bewölkte Ebene und zum Meer, aus dem
die Wolken sich austürmen. Sie verschwindet, und ein
Feuerschein brennender Städte erlenchtet den dunklen
Himmel. Dann aber sinkt der Schein zusammen, und
ruhig zieht der Mond am blaukristallnen Himmel
seine Bahn.
Flamin: Du führst mich, Freund, zu deinen Lieb-
lingen, den Niederländern. Nun sich auch, wie sie
Menschen schilderten in ihren Leidenschaften, mit der
Lust am Verbrechen.
Aber wir wollen auch nicht Vorbeigehen an den
königlichen Gestalten in ihren Prachtgcwändcrn, die uns
hier im Saale der Italiener empfangen. Leben, wie
ist eS lebenswert, wenn es so aus der Größe spielen
kann und hinwcgschreitet über daS Kleine.
Ists nicht so überall, wo wir auch hiusehen aus
die mit Bildern bedeckten Wände? Hier, nicht draußen
ist das Leben.
Viktor: Nein, Flamin, auch hier ist ein Kirchhof.
Ach und vielleicht einer der traurigsten! Sind cs nicht
doch Leichensteine, an denen nur vorbcigingen? Be-
schriebene Leichensteine allerdings. Aber nicht einmal un-
berührte, sondern zusamincngeschlepptc, von ihren hei-
mischen Ruheplätzen losgelöste. Und sehe ich nicht
überall fremde Hände, die daraus ihre Namen ge-
schrieben oder Späße dazugekritzelt und ihre Zeichen
dazugesetzt haben? Jede Zeit ihre anderen Zeichen. Ein
Friedhof — zum wievielten Male wohl — neu hergerichtet,
die alten Teile neu umgegraben, die Totenknochen
zusammcngeschüttet, einige umquarticrt, die neu ge-
wonnenen Plätze neu belegt.
Flamin: Mäßige dich. Wer wird die Phantasie so
spazieren führen, und hier! Das ist dichterische Leiden-
schaft und die macht die Menschen zu siebend und zu
grausam.
Viktor: Kann ich dafür, daß ich, wenn ich diese
Werke sehe, die alle zur Freude geschaffen sein sollen,
hinter ihnen auch ein Menschenschicksal sehe? Kennst du
das Leben der Maler, die hier schufen? Hörtest du von
jenem, der in Armut und Dürftigkeit verkam, von jenem,
der mitten im Glück hingestreckt wurde, und von jenem,
den daö Laster verdarb? Jedes dieser Kunstwerke ist
verwebt mit dem Schmerz so vieler Mitlebenden, mit
den vergeblichen Anstrengungen ringender Menschen;
und wo die Freude erscheint, tanzt sie hindurch wie
ein flüchtiger Sonnenstrahl, nur ein kleines, ach so
kleines. Bild der Sonne aus den Kirchhossgrund der
Erde malend.
Und alles das hier gesammelt, aufgespeichert, kata-
logisiert, von Beamten bewacht, ewig beschrieben, ewig
besprochen! Ein Spaß für müßige Besucher, ein Vor-
wurf und eine Anklage für die Nachschaffenden; niemals
kannst du allein sein, immer ein Lärm — und doch
ein Friedhof. Nicht wie der, zu dem du pilgerst, kiese
Trauer im Herzen, und weinend, und von dem du doch
getröstet zurückkehrst, weil du auch weißt, sie ruhen
dort still, entrückt von: Lärm, und dürfen warten und
hoffen, sondern sie hier, sie alle, sind, obwohl gestorben,
erst recht wieder hineingestoßen in den Strom der Tage
und können sich nicht retten. — Nein, Flamin, laß uns
diese Grabkammern verlassen. W. Steinhaufen.
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