er schmerzenreiche Kurfürst.
Von K. Ammann.
Nicht selten verketten sich in der Geschichte einer
Familie scheinbar unzusammenhängende Schicksale und
wirken durch die Zeiten weiter, als wenn ein höheres
Wesen die Dinge nach Gutdünken oder Laune zum
Besten des Geschlechtes oder zu seinem Untergang lenkte.
Das Volk, wenn es solches zu sehen glaubt, hilft der
Erklärung dann wohl mit angeblichen Weissagungen
oder allerhand Spuksagen, Legendenzeug und Dichter-
gebilden nach, neben denen der Begriff des Naturgesetzes
wie ein unfaßlicher Schemen erscheint oder ein Hirn-
gespinst des Gelehrten, das in der Volksseele nicht
wirkende Gestalt zu finden vermag. Den es aber trifft,
der ahnt wohl am wenigsten oder wehrt sich gar noch
dagegen, daß gerade an ihm ein Schicksal soll sich er-
füllen wollen.
Der junge Student der Baukunst Maxman Meidinger
hatte seinem etwas ungewöhnlichen Vornamen nie sonder-
liche Obacht geschenkt, bis ihn eines Tages seine Mutter
nachdenksam machte. Die Bemerkung der nichtsahnenden
Frau, die wie ihr verhätschelter Sohn selber ein porzellan-
zartes, blasses Menschengefäß war und nur an ihrem
Mann einen efeuhaften Halt in der ruppigen Welt
fand, sonst aber am liebsten der Musik, alten Liedern,
Sagen, Ahnungen und jeglichem Gerümpelzeug der
Erinnerung nachhing — die Bemerkung der Frau besagte
bloß, daß der Name Maxman schon seit Gedenken der
Ahnen in ihrer Familie üblich sei. Einmal habe gar
eines der beiden einzigen Ahnenkinder Maxmana geheißen,
was der Pfarrer erst nicht habe als christlichen Namen
gelten lassen wollen und schließlich noch unwillig darob
geworden sei, weil er statt dessen Maximiliane Emanuela
habe schreiben müssen, als was auf dem Taufschein
nicht in eine Linie zu bringen war. Eine noch lebende
Großtante habe nach dem Tod ihrer sogehcißcncn Ver-
wandten diesen Namen übernommen, crinnerungshalber.
Der herkömmliche Maxman aber sei jetzt Er, und wenn
er einst einen Sohn zu taufen habe, so sei er um einen
Namen nicht verlegen, der zugleich einen schönen Familien-
hang pflege.
Seither glaubte Maxman, hinter derlei Übung einen
tieferen Grund suchen zu müssen; und mit ebensolchen
Gedanken stieg er eines Nachmittags, an einem sonnigen,
heilig-stillen Augustsonntag mit einem Buch die breiten
Treppen des alten weiten Wohnhauses hinaus zum Dach-
boden, der durch eine schwere Tür gegen den ersten Stock
abgeschlossen war und mit seinem Schweigen wie ein
Geheimnis auf dem Hause lag. Wo durch die offene
Dachkammer des Dienstmädchens einige Helle hinfiel,
da wollte er sich eben zum Lesen niedersetzen, als er im
Hintergrund des Speichers, in der Nähe des dort empor-
führenden Rauchsangs, wo ein durch einen Lichtziegel
fallender Sonnenstrcis am dunkeln Boden forschte, matt
Etwas herblinken sah. Er gedachte der phantasievollen
Furcht, mit der er als Kind einst jenes Halbdunkel
schauerlich belebt hatte, und ging mit dieser rückgerufencn
Empfindung langsam aus das Geheimnis zu, das unter
den Dachsparren halb versteckt sich als einen gelbledernen.
mit reichem Messingzierat beschlagenen Handkoffer von
alter Arbeit und bester Erhaltung darwies. Nachdem
er das Stück in den Weg des Sonnenstrahls gerückt
und den Staub abgestreist hatte, der wie ein goldner
Sternchenreigen emporwirbelte, begann er nach etwelchem
Verschluß zu tasten, und entdeckte ihn schließlich erratend
in zwei Messingplättchen, die mit drolligen, säst lachenden
Löwenköpfen geschmückt waren, sich aber erst nach einem
Druck aus einen ganz unverfänglichen Nagel verschieben
ließen, worauf sie das Schlüsselloch srcigaben. Obzwar
ihm der Koffer, worin sich nichts rührte, ganz leer schien,
so forschte der Neugierige doch nach ähnlichen Zauber-
nägeln, um ihn zu öffnen, und indem er hier schob,
da zog, dort drückte, fand er im unscheinbarsten Teil
deö Zierats ein absonderlich geformtes Stäbchen, nicht
unähnlich einem langausgezerrten Löwen, einen Ver-
wandten anscheinend jener beiden Löwenköpfe, die das
Schloß verdeckten. Dies Stäbchen war mit einiger Mühe
zur Seite zu drehen und bot dann unter sich ein winziges
Schlüffelchen mit der vertraktestcn Bartform her, welches
wiederum, wenn es nicht gehörig in seiner Lage war,
ein Zurückdrehen und Verankern des Löwenstäbchens
verhinderte, so daß der Kundige schon aus dem Zierat
absah, ob er Schloß und Schlüssel richtig bedacht habe.
Von solchem Gcheimwesen völlig angereizt, das Innere
deö Koffers zu kennen, trieb er das Schlüffelchen kräftig
inö Schloß und drehte und drückte und bohrte; doch
erst als er es zweimal nach rechts, dann tiefer gestoßen
und endlich linkshin gedreht hatte, gab das Schloß nach,
und die beiden Kofferfchalen taten sich auf und boten
ihren Kern dar.
Das war eine genau nach der Jnnenform gemodelte
Wattemcnge, die den Forschenden anfangs nicht wenig
enttäuschte, so daß er erst nach einigem Zögern in den
Ballen griff. Und dem entwickelte er jetzt ein mittel-
großes, altertümlich cingcrahmteS Bild, einen Kupferstich,
dessen Rand aber so stockfleckig und wurmfräßig war,
daß die Trümmer der Inschrift zu entziffern nicht locken
konnte. Das Bild wies im Mittelgrund einen aus-
gedehnten regelmäßigen Schloßbau mit einer doppelten
Freitreppe. Davor eine schnurgerad abgezirkelte Garten-
anlage mit zwei Reihen Marmorbildern und Vasen,
während der Vordergrund vornehmes Damenvolk in
alten Kostümen und aufgedonnertem Kopfputz zeigte,
daö um einen perückengezicrtcn Mann hcrumstand, wie
eine Schar fremdrassiger Hühner um einen aufgeblähten
Gockel. Auf der Rückseite war das Bild mit altem
fleckigem Handpapier verklebt.
Weiter fand er ein in verschossene Lilascidcnfetzcn
gewickeltes kleines Bildnis wiederum eines vornehmen
Perückcnträgers, rein und fein gemalt und eingcfügt in
ein mit gepreßtem Goldblech verkleidetes Rähmchen.
Das Bildchen lag nicht unter Glas; durch das Herz
des Mannes aber klaffte ein dreieckiges Loch, als wenn
man es heftig durchstochen hätte. Keine Inschrift deutete
den starknasigen Menschen mit den vollen Lippen; die
Rückseite zeigte wieder jenes Loch, und eine abgerissene
Ecke ließ unter der Verklebung ein paar Buchstaben in
vexgilbter Schnörkelschrist sehen.
Anderes gab der Koffer nicht. Und nur einen Schwarm
Vermutungen, die wie aufgestörte Tauben durcheinander-
z
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Von K. Ammann.
Nicht selten verketten sich in der Geschichte einer
Familie scheinbar unzusammenhängende Schicksale und
wirken durch die Zeiten weiter, als wenn ein höheres
Wesen die Dinge nach Gutdünken oder Laune zum
Besten des Geschlechtes oder zu seinem Untergang lenkte.
Das Volk, wenn es solches zu sehen glaubt, hilft der
Erklärung dann wohl mit angeblichen Weissagungen
oder allerhand Spuksagen, Legendenzeug und Dichter-
gebilden nach, neben denen der Begriff des Naturgesetzes
wie ein unfaßlicher Schemen erscheint oder ein Hirn-
gespinst des Gelehrten, das in der Volksseele nicht
wirkende Gestalt zu finden vermag. Den es aber trifft,
der ahnt wohl am wenigsten oder wehrt sich gar noch
dagegen, daß gerade an ihm ein Schicksal soll sich er-
füllen wollen.
Der junge Student der Baukunst Maxman Meidinger
hatte seinem etwas ungewöhnlichen Vornamen nie sonder-
liche Obacht geschenkt, bis ihn eines Tages seine Mutter
nachdenksam machte. Die Bemerkung der nichtsahnenden
Frau, die wie ihr verhätschelter Sohn selber ein porzellan-
zartes, blasses Menschengefäß war und nur an ihrem
Mann einen efeuhaften Halt in der ruppigen Welt
fand, sonst aber am liebsten der Musik, alten Liedern,
Sagen, Ahnungen und jeglichem Gerümpelzeug der
Erinnerung nachhing — die Bemerkung der Frau besagte
bloß, daß der Name Maxman schon seit Gedenken der
Ahnen in ihrer Familie üblich sei. Einmal habe gar
eines der beiden einzigen Ahnenkinder Maxmana geheißen,
was der Pfarrer erst nicht habe als christlichen Namen
gelten lassen wollen und schließlich noch unwillig darob
geworden sei, weil er statt dessen Maximiliane Emanuela
habe schreiben müssen, als was auf dem Taufschein
nicht in eine Linie zu bringen war. Eine noch lebende
Großtante habe nach dem Tod ihrer sogehcißcncn Ver-
wandten diesen Namen übernommen, crinnerungshalber.
Der herkömmliche Maxman aber sei jetzt Er, und wenn
er einst einen Sohn zu taufen habe, so sei er um einen
Namen nicht verlegen, der zugleich einen schönen Familien-
hang pflege.
Seither glaubte Maxman, hinter derlei Übung einen
tieferen Grund suchen zu müssen; und mit ebensolchen
Gedanken stieg er eines Nachmittags, an einem sonnigen,
heilig-stillen Augustsonntag mit einem Buch die breiten
Treppen des alten weiten Wohnhauses hinaus zum Dach-
boden, der durch eine schwere Tür gegen den ersten Stock
abgeschlossen war und mit seinem Schweigen wie ein
Geheimnis auf dem Hause lag. Wo durch die offene
Dachkammer des Dienstmädchens einige Helle hinfiel,
da wollte er sich eben zum Lesen niedersetzen, als er im
Hintergrund des Speichers, in der Nähe des dort empor-
führenden Rauchsangs, wo ein durch einen Lichtziegel
fallender Sonnenstrcis am dunkeln Boden forschte, matt
Etwas herblinken sah. Er gedachte der phantasievollen
Furcht, mit der er als Kind einst jenes Halbdunkel
schauerlich belebt hatte, und ging mit dieser rückgerufencn
Empfindung langsam aus das Geheimnis zu, das unter
den Dachsparren halb versteckt sich als einen gelbledernen.
mit reichem Messingzierat beschlagenen Handkoffer von
alter Arbeit und bester Erhaltung darwies. Nachdem
er das Stück in den Weg des Sonnenstrahls gerückt
und den Staub abgestreist hatte, der wie ein goldner
Sternchenreigen emporwirbelte, begann er nach etwelchem
Verschluß zu tasten, und entdeckte ihn schließlich erratend
in zwei Messingplättchen, die mit drolligen, säst lachenden
Löwenköpfen geschmückt waren, sich aber erst nach einem
Druck aus einen ganz unverfänglichen Nagel verschieben
ließen, worauf sie das Schlüsselloch srcigaben. Obzwar
ihm der Koffer, worin sich nichts rührte, ganz leer schien,
so forschte der Neugierige doch nach ähnlichen Zauber-
nägeln, um ihn zu öffnen, und indem er hier schob,
da zog, dort drückte, fand er im unscheinbarsten Teil
deö Zierats ein absonderlich geformtes Stäbchen, nicht
unähnlich einem langausgezerrten Löwen, einen Ver-
wandten anscheinend jener beiden Löwenköpfe, die das
Schloß verdeckten. Dies Stäbchen war mit einiger Mühe
zur Seite zu drehen und bot dann unter sich ein winziges
Schlüffelchen mit der vertraktestcn Bartform her, welches
wiederum, wenn es nicht gehörig in seiner Lage war,
ein Zurückdrehen und Verankern des Löwenstäbchens
verhinderte, so daß der Kundige schon aus dem Zierat
absah, ob er Schloß und Schlüssel richtig bedacht habe.
Von solchem Gcheimwesen völlig angereizt, das Innere
deö Koffers zu kennen, trieb er das Schlüffelchen kräftig
inö Schloß und drehte und drückte und bohrte; doch
erst als er es zweimal nach rechts, dann tiefer gestoßen
und endlich linkshin gedreht hatte, gab das Schloß nach,
und die beiden Kofferfchalen taten sich auf und boten
ihren Kern dar.
Das war eine genau nach der Jnnenform gemodelte
Wattemcnge, die den Forschenden anfangs nicht wenig
enttäuschte, so daß er erst nach einigem Zögern in den
Ballen griff. Und dem entwickelte er jetzt ein mittel-
großes, altertümlich cingcrahmteS Bild, einen Kupferstich,
dessen Rand aber so stockfleckig und wurmfräßig war,
daß die Trümmer der Inschrift zu entziffern nicht locken
konnte. Das Bild wies im Mittelgrund einen aus-
gedehnten regelmäßigen Schloßbau mit einer doppelten
Freitreppe. Davor eine schnurgerad abgezirkelte Garten-
anlage mit zwei Reihen Marmorbildern und Vasen,
während der Vordergrund vornehmes Damenvolk in
alten Kostümen und aufgedonnertem Kopfputz zeigte,
daö um einen perückengezicrtcn Mann hcrumstand, wie
eine Schar fremdrassiger Hühner um einen aufgeblähten
Gockel. Auf der Rückseite war das Bild mit altem
fleckigem Handpapier verklebt.
Weiter fand er ein in verschossene Lilascidcnfetzcn
gewickeltes kleines Bildnis wiederum eines vornehmen
Perückcnträgers, rein und fein gemalt und eingcfügt in
ein mit gepreßtem Goldblech verkleidetes Rähmchen.
Das Bildchen lag nicht unter Glas; durch das Herz
des Mannes aber klaffte ein dreieckiges Loch, als wenn
man es heftig durchstochen hätte. Keine Inschrift deutete
den starknasigen Menschen mit den vollen Lippen; die
Rückseite zeigte wieder jenes Loch, und eine abgerissene
Ecke ließ unter der Verklebung ein paar Buchstaben in
vexgilbter Schnörkelschrist sehen.
Anderes gab der Koffer nicht. Und nur einen Schwarm
Vermutungen, die wie aufgestörte Tauben durcheinander-
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