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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 8
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Jacques, Norbert: Kentaur
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Doering, Katharina: Wanderskizzen aus der Rhön
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0071

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mit, wie ein verliebtes Cello. Magdalene ... weißt du
noch, wie ich von: Konservatorium kam und daS erste
Mal bei euch spielte. Deine Augen schauten mich an
und ich vergaß Blatt und Noten und Geige und spielte
in deinem Blick. Es war das süße keusche Wiegen-
liedchen Mozarts, und als ich zu dem Satze kam: Wer
ist beglückter als du? schlug mein Herz so hoch auf in
deinem Blick, daß ich glaubte, die Töne, die ich spielte,
strömten in beglückenden Harmonien aus deinen stillen,
sehnsüchtigen Augen und wiegten mich, schläfrig, in
göttlichem Aufgelöstsein aller Dinge.
Magdalene: Ja, wie weiß ich diese Stunde noch!
Und einige Tage später fuhren wir beide nach Düsseldorf
zum Niederrheinischen Musikfest. Wir waren das erste
Mal allein zusammen. Und wie da im dämmrigen
Dunkel des großen Saales die H-Moll-Messe von Bach
aufwogtc, größer als ein Meer, da sah ich dich weinen.
Im heißen Drang vieler ungestillter Sehnsucht legte ich
meinen Kopf an deine Schulter, bezwungen von Bach
und von deinen Tränen. Du sähest es nicht und
weintest weiter. Als du aus deinem Traun: erwachtest
und meinen Kops an deiner Schulter sandest, hast du
dich dunkel meiner Bewegung erinnert. Sie war als
eine seelische Regung, die von außen in dein Herz hinein-
floß, mit in die Herrlichkeit der Musik gezogen, wie in
ein Gefilde der Seligen.
Der Geiger: Magdalene, ich spiele noch einmal...
für dich... Frau. Noch einmal! Ium Abschied!
Magdalene streckt ihm die Arme entgegen. Der
Geiger aber nimmt die Violine. Er setzt sich, der Frau
den Rücken wendend, auf den Tisch, zieht einen Holz-
stuhl nut hoher Lehne heran und stemmt seine Füße
aus dessen Sessel. Dann beginnt er. Der Abend liegt
im Zimmer wie ein graueö, weiches Netz, mit kosenden
Maschen leise gewoben, und wehmütig, nut bizarr selt-
samen Gebärden, schlingen sich die säuselnden Violintönc
hinein. Schon bei den ersten Tönen beginnt Magdalene
zu weinen. Sie läßt ihre Tränen ungetrocknet fließen
und umgibt mit dem wehen Glanz ihrer Blicke den
Geiger, ihn wie in einem Heiligenschein einsassend.
Währenddessen stärkt sich die Zartheit der Geige, derbe
Einsätze setzen daher, wie Fahnen, die knallend im prallen
Wind einen Augenblick hincinschlagen. Und gleich wieder
Milde, Süße und Sehnsucht, bis ein Motiv fremd hinein-
zuklingcn beginnt, raufend sich in das Spiel krallt,
lärmend aufschwält, in Leidenschaft einen langen ex-
altierten Schrei ausstößt.
Knallend springt plötzlich die Saite, in der dieser
Schrei bebt. Der Bogen gleitet im Weitersließen der
Leidenschaft noch ein Stück weit über die Nebensaite
und entzieht ihr einen kläglichen Mißton.
Da springt der Geiger aus, saßt die Violine am
Halo und schlägt sie schreiend mit einem Hieb über der
Stuhllehne in Stücke.
Der Geiger: So hab ich den Wolkcnkopf von:
Pferderumpf geschlagen. Frau, cs ist vollbracht. Gehst
du nut? . . . Freier Vagabund! . . .
Der Geiger stürzt zur Tür hinaus.
Die Frau ist entsetzt, wie aus einen: Traun: auf-
gefahren. Nun ringt sie die Hände nach der offenen
unerbittlichen Tür, und verzweifelt schluchzt sie: Ich
liebe dich!

anderskizzen aus der Rhön.
Von Katharina von Doering.
Haben Sie, verehrte An- oder vielmehr Abwesende,
eine ungefähre Vorstellung davon, wo die Rhön ihr Dasein
fristet? Ich würde Sie ungemein gern darüber ausklären,
da ich augenblicklich in der Rhöngeographie sehr beschlagen
bin. Ich versichere Sie: cs ist ein irdisches Gebirge,
sogar ein europäisches, noch näher, ein deutsches. Wenn
ich nun hinzusüge, daß es unterm 10." östlicher Länge
von Greenwich und zwischen dem 50.° und 51.° nörd-
licher Breite liegt, so sind Sie ebenso gescheit wie zuvor;
:ch auch.
Ein weiser Universitätsmann hat mir mal (als
einem oder einer Unweisen mtsr xaris) gesagt: Meine
Herren (die Damen zählen sie nie; sie befinden sich
nur im Unterbewußtsein), lassen Sie sich nie auf Defini-
tionen ein, weil man sich absolut nichts dabei denken
kann. Ich will aber durchaus, daß Sie sich bei der
Rhön etwas denken können; also hinaus mit den
Graden, langen wie breiten. Ich will einen andern
Weg versuchen.
Haben Sie schon mal was von Kissingen gehört?
Aber ich bitte Sie!
Schon gut, schon gut. Manchem wärö lieber, er
kennte es nicht. Nehmen Sie Kissingen als südliche
OperationSbasis an: Kissingen, Untcrsranken, Bayern.
Dann gibt es eine Stadt, die sehr viele Kirchen hat,
an der Fulda liegt, und nicht besonders protestantisch ist:
Provinz Hessen-Nassau. Haben Sieö? Westliche Stütze.
Dann haben wir eine Stadt mit einem Herzog
darin, der die Meininger erfunden hat. Also Meiningen,
Sachsen-Meiningen. Östliche Stütze.
Im Norden Salzungen.
So zwischen zwei Badeanstalten oben und unten,
Kirche und Theater links und rechts, liegt die Rhön.
Anschaulich, nicht? Schön, und nun kommen Sie mit.
* *
*
In der Gesellschaft zweier Blaustrümpfe wandert
es sich ungemein lustig. Der eine beschäftigt sich mit
Notenklecksen, der andere mit natürlichen Klecksen. Dies
so nebenbei. Vor allen: halten wir aus wenig Gepäck,
nur so viel, als man im Rucksack tragen kann, einen
Stock oder Schirm und ein ungeheures Quantum guter
Laune. Außerdem darf man etwas Reisegeld mitnehmen.
Dann ist dabei noch etwas für den Deutschen ungemein
Fesselndes: der eine Blaustrumpf ist ein bluo stooLmx;
so gewissennaßen auö dem blauen Teil des starsxauxlsä
dannor herausgeschnittcn. Gott, wie reizend, und so
aktuell! Diese Vereinigung des starsxcmAlsä baunsr
mit der Zipfelmütze des deutschen Michels . . . schön,
nicht? Übrigens, ich bin die deutsche Zipfelmütze.
Wenn man von Kissingen über Waldaschach, Premich
und Waldberg (kein Idyll) aus den heiligen Kreuz-
berg steigen will, so braucht man sechs Stunden. Geht
man eines Sonntagnachmittags um zwei Uhr von
Kissingen fort und verfehlt den Weg nicht, so ist man
um 8 Uhr oben. Ist es ein Herbsttag und droht ein
Wetter, so kommt man bei Dunkelheit und strömendem
Regen an. Daö war unser Fall.


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