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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 9
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Kautzsch, Rudolf: Die Südseite des Wormser Doms
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Moeller van den Bruck, Arthur: Meister Wilhelm
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0104

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Die Sudseite des Wormser Doms.

einzelner gegen die Ansicht der anderen seinen Kopf
durchsetzen wollen, dann wäre ja immer noch Zeit, zu
erklären, die Überreste unserer künstlerischen Vergangen-
heit müssen der Willkür einzelner entzogen werden usw.
Von alledem ist hier nicht die Rede. Ganz besonders
ist es für jeden, der den Dombaumeister des Wormser
Doms kennt, eine wahnwitzige Vorstellung, dieser Mann
wolle aus irregehendem Ehrgeiz um jeden Preis am
Dom anbauen, etwa um sich selbst zur Geltung zu
bringen. Auch auf solche Vorstellungen scheint man
anderswo — hoffentlich nicht in den Kreisen der Leser
unserer Rheinlande — verfallen zu sein.
Es ist hohe Zeit, einer weiteren Täuschung der
öffentlichen Meinung entgegenzutreten. Ich hoffe, den
Lesern dieser Blätter wenigstens die Überzeugung bei-
gebracht zu haben, daß in Worms nicht vorsünd-
flutliche Restauratorengelüste sich austoben werden,
daß vielmehr die Frage, ob und wie an der Süd-
seite des Doms „angebaut" werden kann, von be-
rufenen Leuten sachlich erwogen und vor allem nach
künstlerischen Gesichtspunkten entschieden werden wird.
Rudolf Kautzsch.
eister Wilhelm?
Wie würden die Deutschen malen? In
derselben Zeit, in der sich entschied, wie die
Deutschen dichteten, mußte sich auch diese Frage ent-
scheiden. Aber es war bereits ein anderes Geschlecht,
das sie gestellt fand, nicht mehr das der Ritter und
Fahrenden, sondern das der Bürger und Seßhaften.
Schon die Dichtung war schließlich von dem Leben der
Höfe auf das Leben der Städte, vom Landadel auf
den Stadtadel, auf den weiter- gezogenen Kreis des
Patriziates übergegangen. Nur aus ihm heraus, aus
der ersten, weichen, wohligen Kultur beginnender Groß-
städtischkeit, ist der Ausgang der Epik, ein Liebes-
roman wie Gottfried von Straßburgs „Tristan und
Isolde", zu verstehen. Und ganz ebenso war auch die
neue Kunst der Malerei, die geradezu wie ein Mode-
sport die Bürger ergreifen und im Wetteifer des
Bilderstiftens sich auSbildcn sollte, nur aus diesem
Kreise heraus denkbar. Auf den Burgen konnte man
sich schließlich mit dem Reiz kriegerischer Architektur be-
gnügen, mit gewaltigen Umrissen, felsblockgeschichteten
Mauern, hochgewölbtcn Znnenräumcn. Im übrigen
aber war die Natur, in der die Burgen standen, ihr
bester Schmuck, und der Ritter, der hoch zu Roß in
freiem Leben sich tummelte, hatte für Kunst wenig
übrig. Den Schmuck des BürgcrlebenS dagegen mußte
man in die Städte erst hincintragen; unterließ man es,
so waren sie nichts als eng, elend und schmutzig.
Anderseits gab die wesentlich friedliche Architektur der
Städte, gab die Kirche, gab das Kloster und das ein-
zelne Wohnhaus zur Ausbildung von Kunst die volle
räumliche Möglichkeit. Hinzu kam alsbald die öko-
nomische Möglichkeit, da gerade jetzt die Städte er-
* Aus dem fünften Bande von Moeller van den Brucks
„Deutschen", der unter dem Titel „Gestaltende Deutsche", Herbst
I?07 bei S. C. C. Bruns, Minden i. W., erscheint.

stärkten, die Hansa auswuchs und Reichtümer von allen
Enden der Welt einzogen. So kam es, daß die beste
Kunst von den mächtigsten Städten geschaffen wurde.
Überall ging der Wechsel des künstlerischen Schwer-
punktes genau mit dem Wechsel der jeweiligen städtischen
Vormacht vor sich. Es war die Entwickelung, die sich
schließlich in allen Ländern vollzog, gleichgültig, ob man
an Pisa, Siena und später Florenz denkt, oder an
Dijon und Paris, oder an Brügge und Utrecht, oder
an deutsche Verhältnisse. Deutschland nun besaß in
diesen Jahrhunderten nur eine einzige städtische Vormacht,
die sich dauernd, über allen Wandel der Zeiten hinweg,
unter anderem von einem aristokratischen zu einem
demokratischen Regiment, an erster Stelle erhielt. Diese
politische Vormacht nahm auch hier die künstlerische
Entwickelung in sich auf: es war Köln, das Haupt der
Hansa. Kaum, daß ihm vorübergehend Nürnberg, Prag
oder auch eine Stadt wie das benachbarte Soest den
politischen Rang streitig machte und zwar bezeichnender-
weise gleichfalls stets mit künstlerischem Erfolge. Doch
die Kultur blieb bei Köln. In Köln allein konnte der Stil
entwickelt werden, der das ganze Leben der bürgerlichen
Gotik ausdrückte — bis dann in der Renaissance erst
beide, Stadt und Kunst, endgültig von Nürnberg über-
holt wurden. Doch auch dann noch blieb die Kölner
Arbeit die Vorarbeit der allgemein deutschen, der Kölner
Stil war es, der auswuchs zum allgemein deutschen
Stil. Den Mann aber, der das Genie besaß, diesen
deutschen Stil anfänglich zu bestimmen, indem er den
Kölner Stil bestimmte, nennen wir Meister Wilhelm.
Freilich war der materielle Grund wohl der mensch-
lichste, aber doch nicht der einzige Grund, aus dem
diese ganze Entwickelung erwuchs. Ergänzend zu ihm
trat noch ein spiritueller Grund. Neben der Zeit der
Hansa war die Gotik auch noch die Zeit der Mystik.
Zwar können wir nicht sagen, daß Meister Wilhelm
unmittelbar die Umsetzung Meister Eckeharts sei. Der
Geist Meister Eckeharts — das war die Architektur,
nicht die Malerei der Gotik. Meister Eckehartö Geburt
und Jugend fiel zusammen mit der Grundsteinlegung
der großen Kathedralen in Deutschland, des Kölner
Doms, des Straßburger Münsters, und ganz so, wie
sein Leben dahinging in Straßburg und Köln, so können
wir uns denken, daß auch künstlerisch diese weiten, hohen
Hallenkirchen, ungeschmückt wie sie noch waren, nur mit
gewaltiger Kanzel versehen, zu seiner Predigt den rechten
Hintergrund bildeten. Ebenso paßte zu Tauler, dem
eigentlichen Protestanten unter den Mystikern und fast
puritanischen Manne, der ästhetisch gefärbte Kultus des
späteren Mittelalters nicht, und gerade den Kölnern hat
er denn auch ob ihrer Ausschmückungssucht das kunst-
ablehnende Wort gesagt: „Sie bauen große und stattliche
Häuser, lassen allerlei Affenwerk und Leichtfertigkeit daran
malen, zieren sie sonst inwendig und auswendig vom Dach
bis auf den Boden auf mancherlei Weise, so daß man sich
nicht genug verwundern kann, wie sie doch allenthalben
nur ihrer Sinne Lust und Ergötzlichkeit suchen." Erst
die katholische Mystik, ihr junger berauschter Schwärmer
Heinrich Seuse, hat unmittelbar das Denken der Gotik
in ein Bilden übergeleitct. Seine Zelle, so ist uns
ausdrücklich überliefert worden, war mit Bildern
 
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