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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 9
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Schürmann, Johannes: Der lange Häck von Haide
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Schäfer, Wilhelm: Der Spazierstock
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0111

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Den Großen pflegt aus Erz und Stein
Man Maler zu errichten;
Die Nachwelt wird kein Denkmal weihn
Dem Bauersmann, dem schlichten.
Doch preist kein Mal sein Heldentum,
Dann singen wir zu seinem Ruhm
Mit Klipp und Klapp
Und Klipp und Klapp
Das Lied vom Hack von Haide.
Johannes Schürmann.
er Spazierstock.
Eine Anekdote von Wilhelm Schäfer.
Im goldenen Mainz begann die Revolution mit
einem Knall, weil ein Spazierstock von der Galerie
mitten ins Hoftheater fiel. Es war gerade ein Trauer-
spiel im Gang und eine blasse Rührung im Parterre,
als mit dem Knopf nach unten der Stock an einem
leeren Sitz aufknallte und mit Geklapper auf den
Boden sprang. Trotzdem die Gräfin Coudenhoven, des
geistlichen Kurfürsten Favorite, sehr erblaßte, wäre der
kleine Schrecken rasch vergessen worden, wie man den
großen Donner auch vergißt, wenn nicht der Knopf
an dem spanischen Rohr aus purem Gold und von so
reicher Arbeit gewesen wäre, daß sich zuerst die eilig
zugelaufenen Diener, nachher die Kammerherren, zu-
letzt der Kurfürst selber verwundern mußten, wie solch
ein kostbarer Stock auf die Galerie gekommen wäre.
Es wurde auf Befehl der Gräfin nachgeforscht und
rasch herauögebracht, daß ein Student und reicher
Hcrrensohn auö Trier mit Namen Hermes den Stock
getragen hatte. Und weil man den als tollen Kerl
und gar nicht sparsam oder kunstbegeistert kannte: so
kam aufs peinlichste vor die Behörde, daß sich die
Mainzer Bürgcrmädchen den Studenten auf der Galerie
zuliebe schon seit langem fürs Theater interessierten,
zumal es nach dem Brauch der Zeit da oben ganz
unbeleuchtet war. Da konnte einer Hand im Spiel der
süßen und erhitzten Heimlichkeiten wohl ein Stock ent-
fallen, wie es dem langen Hermes auö Trier geschehen
war, und nun so üble Folgen brachte.
Denn um die teuren Dtöcke mitsamt den Bürger-
mädchen vor solchen Stürzen und anderen Unbedacht-
samkeiten zu behüten, wurden fortab da oben auch
Kerzen aufgcsteckt. So stiegen die Studenten zwar
noch, jedoch die Mädchen nicht mehr in das zerstörte
„Paradies". Und weil die Bürger, auf Verlangen der
Gräfin öffentlich gewarnt vor der Thcaterliebe ihrer
Töchter, abends die Haustüren streng verschlossen hielten,
so sah es in dem goldenen Mainz auf einmal aus, wie
wenn Custine schon vor den Toren stände.
Wie aber, wer in der Welt etwas verändern will,
gleich einen Brauch zerstört, und Rechte, die immer
heilig sind, mit Füßen treten muß, ganz ohne Absicht
meist: so sah der Kurfürst, nach einigen Abenden wieder
ins Theater kommend, die Studenten auf der Galerie
verdrossen an den Säulen und über die Rampe gelehnt,
und jeder hielt gleichmütig den Hut auf seinem Kopf,

wie sie es bei der Dunkelheit sich eingerichtet hatten
und nun als angestammtes Recht auch in der Helligkeit
ausübten. Der dicke Kurfürst konnte darin nur eine
Unart, die Gräfin Trotz und Verhöhnung seiner fürst-
lichen Gewalt erblicken, so daß noch an dem selben
Abend die strenge Weisung kam, daß jedermann, auch
auf der Galerie, beim Eintritt seines Hofes die Kopf-
bedeckung abzunehmen und barhäuptig zu bleiben habe,
bis er den Saal verließe.
So hatte sich der Kursürst und Erzbischof Karl
Friedrich von Mainz am Souverän der Zeit vergriffen
und die Freiheit der akademischen Bürger schwer ver-
letzt; denn wenn die auch mit Bürgermädchen oder
Hüten wenig zu tun hat, verwirrt sich das doch leicht
in jungen Köpfen, denen die Schulbank noch so nahe
und das Leben schon erlaubt ist. Es summte einen
Tag in Mainz, wie wenn Custine schon eingezogcn
wäre, und als am Abend der Erzbischof geräuschvoll
in der Loge der Gräfin Coudenhoven erschien, standen
die Studenten auf der Galerie gedrängt und nahmen
auf ein Zeichen, das der Spazierstock von dem langen
Hermes gab, mit feierlichem Schwung die Hüte ab
und zeigten einer wie der andere weiße Nachtmützen auf
dem Kopf.
Das wäre zu anderen Zeiten ein dummer Schaber-
nack gewesen, der hier zum bösesten Verhängnis wurde;
denn weil es eine dreiste Anspielung auf einen Vorfall
war, wo der bequeme Kurfürst bei einem nächtlichen
Radau am Fenster der Gräfin in der Nachtmütze er-
schienen war, und weil die freche Absicht der Studenten
sich in den Gassen herumgesprochen hatte: so waren an
dem Abend die Tribünen des Theaters angefüllt von
Menschen, die schon seit Wochen auf einen Anlaß zur
offenen Empörung warteten, so daß der Hof sich kaum
mit größerer Gefahr in eine offene Feldschlacht hätte
begeben können, als in den Aufruhr dieses Theater-
abends. Wohl waren der Emigranten viele über den
Rhein geflohen, weil sie dem aufgerührten Sinn der
Mainzer mißtrauten, wohl bedrohte Custine die Pfalz
und also auch die kurfürstliche Residenz: der goldene
Leichtsinn aber war am Hof zu Mainz geblieben, wie
wenn die grellen Blitze auö Paris, der Blutgeruch, der
gleichsam in den Kleidern der Emigranten hing, von
denen manche kaum ihr Leben aus schrecklichen Gefahren
hierher gerettet hatten, nur ein Anreiz gewesen wäre,
die Stunden auszunützen.
Nun aber versank das alles durch den Studenten-
streich, wie ein gemalter Theatervorhang vom Klingel-
zug des Regisseurs versinkt. Der Kurfürst, der seine
Gräfin begrüßend gar nicht zur Galerie hinaufgesehen
hatte, stand noch zu ihr gebeugt, als in den pein-
lichen Unmut des Gefolges recht nach rheinischer
Art aus zwei Knöcheln geblasen ein überlauter Pfiff
aus den Tribünen dem Scherz der Galerie entgegnete.
Noch war der Vorhang nicht aufgetan, schon aber
schwoll der Beifall wie nach einem wohlgelungenen
Stück frech zum Gelächter an, darin ein silberheller
Zornruf der Gräfin sich verirrte wie ein letzter Klang
der alten Welt. Zuerst erloschen die Kerzen auf der
Galerie, dann fiel von allen Seiten der Schatten in
das flimmernde Licht, auch klirrte eS bedrohlich wie von
 
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